Am Mittwoch wurde in den frühen Morgenstunden ein Brandanschlag auf die Redaktionsräume des französischen Satiremagazins Charlie Hebdo verübt. Zeitgleich wurde die Internetseite des Blattes gehackt und dort ein Foto von Mekka und einige Koransuren eingestellt. Die Angriffe hängen offensichtlich mit der aktuellen Ausgabe zusammen, die am Mittwoch an die Kioske kam. Ein Teaser war jedoch bereits am Montag veröffentlicht worden. Darin wurde als „Herausgeber ehrenhalber“ der Prophet Mohammed genannt, womit man dem Wahlsieg der moderaten Islamisten in Tunesien und der Einführung des islamischen Rechtes und der Befürwortung der Polygamie durch die neuen Machthaber in Libyen Tribut zollen wollte.
An der gewalttätigen Reaktion auf diese Neuauflage der Kontroverse um die dänischen Mohammed-Karikaturen von 2006 zeigt sich, wie stark die Haltung zum Islam die französische Gesellschaft polarisiert.
Charlie Hebdo hat seine Wurzeln in den 1960er Jahren, als es noch unter dem Namen Hara-Kiri Hebdo erschien und mit seinen respektlosen Karikaturen dem Geist entsprach, der in dem späteren Slogan des Pariser Mai zum Ausdruck kam, „Es ist verboten, zu verbieten“.
Aus Hara-Kiri wurde Charles
Gleichzeitig steht Charlie Hebdo in der Tradition der antiklerikalen Satire in Frankreich, die auf die hitzige Debatte um den Laizismus zurückgeht, die 1905 zur Trennung von Kirche und Staat führte. Der respektlose Ton der Karikaturentruppe um Hara-Kiri sorgte schon bald für Schwierigkeiten. Als der Gründer der fünften Republik, Charles de Gaulle, 1970 in seiner Heimatstadt Colombey-les-Deux-Églises verstarb, nachdem eine Woche zuvor über 100 Jugendliche bei einem Brand in einer Disko ums Leben gekommen waren, machte das Magazin mit der zutiefst pietätlosen Schlagzeile „Tragischer Ball in Colombey: Ein Toter" auf.
De Gaulles Anhänger waren außer sich und ließen das Blatt unter Zuhilfenahme eines veralteten Gesetzes, das mittlerweile außer Kraft gesetzt ist, verbieten. Hara-Kiri wurde eingestellt, tauchte aber unter dem neuen Namen Charlie Hebdo mit gleichem Furor und gleicher Respektlosigkeit bald wieder auf.
Zu Beginn des 21. Jahrhunderts ist die Respektlosigkeit gegenüber der Religion allerdings riskanter als die gegenüber konservativen Politikern. 2006 entschloss Charlie Hebdo sich, ein Zeichen für die Pressefreiheit und das Recht zur Karikatur zu setzen, indem die Redaktion die dänischen Mohammed-Karikaturen abdruckte und dazu mit einer zutiefst provokativen Titelseite aufmachte, die den Propheten einer Milliarde Moslems mit der Sprechblase zeigte: „Es ist hart, von Dummköpfen geliebt zu werden“.
Die Ausgabe wurde ausverkauft, die Redaktion aber musste mehrere Wochen unter Polizeischutz gestellt werden und wurde von mehreren muslimischen Organisationen, einschließlich der angesehenen Großen Pariser Moschee vor Gericht gebracht. Der damalige Innenminister und konservative Präsidentschaftskandidat Nicolas Sarkozy sprach sich untertützend für die Meinungsfreiheit aus. Charlie Hebdo gewann die Prozesse.
Selbstjustiz statt Gerichtsprozess
Fünf Jahre später haben die Kritiker des Magazins nicht auf eine Gerichtsverhandlung gewartet, sondern griffen zum Mittel der Gewalt. Sie haben nicht versucht, zuerst eine Diskussion darüber anzustoßen, ob das Magazin nicht in der Tat schlechten Geschmack bewies und die arabischen Revolutionen und den Sieg der Islamisten in Tunesien falsch analysierte. Sie haben die Gerechtigkeit in die eigenen Hände genommen und zum ersten Mal in der französischen Nachkriegsgeschichte die Redaktionsräume einer Zeitung zerstört.
Was sagt dies über die französische Gesellschaft von heute aus? Frankreich hat mit ungefähr sechs Millionen Menschen die größte muslimische Bevölkerung Europas. Das sind fast zehn Prozent der Gesamtbevölkerung. Eine große Mehrheit von ihnen sind französische Staatsbürger, die im Land geboren und aufgewachsen sind.
Gleichzeitig fühlen sich Moslems aber diskriminiert und nicht willkommen – nicht nur von Anhängern des rechtsradikalen Front National, dessen Kandidatin Marine LePen bei den kommenden Präsidentschaftswahlen zwischen 15 und 20 Prozent der Stimmen erhalten könnte, sondern auch von Teilen der traditionellen Rechten. Nicolas Sarkozys Innenminister und rechte Hand, Claude Guéant, bezeichnete die wachsende muslimische Bevölkerungsgruppe sogar einmal als „ein Problem für Frankreich“.
Für viele französische Moslems ist die Religion Teil ihrer kulturellen Identität geworden, ein Ort, an den sie sich aus einer in Schwierigkeiten befindlichen Gesellschaft zurückziehen können, in der sie sich nicht akzeptiert fühlen, wie eine jüngste Studie über die Banlieus gezeigt hat.
Vor vierzig Jahren schrieb Jean-Paul Sartre über die „Judenfrage“, viele jüdische Franzosen würden ihr „Jüdischsein“ erst in den Augen ihrer Mitmenschen erblicken. Heute haben viele Muslime das Gefühl, dass dies auf sie zutrifft. Und wenn ein Satiremagazin sich über den Islam in der gleichen Art und Weise lustig macht, wie über jedes beliebige andere Thema, dann können französische Muslime nicht lachen. Die meisten von ihnen reagieren mit unterdrückter Wut oder Gleichgültigkeit. Eine Minderheit aber fühlt sich ermächtigt, zur Gewalt zu greifen. Eine beunruhigende Erinnerung an die Spannungen, die unter der Oberfläche in der Gesellschaft herrschen.
Pierre Haski war als Korrespondent für AFP und Libération in Johannesburg, Jerusalem und Peking und stellvertretender Chefredakteur vonLibération. Haski ist Mit-Gründer und CEO der unabhängigen NachrichtenseiteRue89.com.
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