Der Segen des Fleisches

Ernährung Ein neues Buch offenbart erstaunliches über die Produktion tierischer Nahrung: Sie ist besser als ihr Ruf.

Es fällt mir nicht leicht, diese Kolumne zu verfassen. Ich werde 1.200 Wörter niederschreiben, um ein Buch zu verteidigen, das damit beginnt, dass ich angegriffen werde und das auch in den Folgekapiteln immer wieder auf diesen Sport verfällt. Aber es hat mich davon überzeugt, dass ich falsch gelegen habe. Genauer gesagt hat es mir die Augen für einige faszinierende Komplexitäten geöffnet, in einem Fall, in dem es für mich eine klare Trennung zwischen Gut und Böse gab.

2002 habe ich im Guardian über die starke Zunahme der globalen Viehbestände geschrieben und den Zusammenhang zwischen den Getreidemengen, welche diese verschlingen, und der Unterernährung der Menschen diskutiert. Nach einer Analyse der Zahlen bin ich damals zu dem Schluss gekommen, dass der Veganismus „die einzige ethisch korrekte Antwort auf das wohl drängendste Problem für die soziale Gerechtigkeit auf der ganzen Welt“ ist. Ich glaube noch immer, dass es ungeheuerlich und absurd ist, immer größere Abschnitte urbaren Bodens nicht mehr für die Ernährung des Menschen, sondern für die Ernährung von Vieh zu nutzen. Das Buch, über das ich schreiben möchte, ist derselben Meinung. Ich glaube nur nicht mehr daran, dass die einzig ethisch korrekte Antwort darin besteht, kein Fleisch mehr zu essen.

Der Autor Simon Fairlie zollt den Veganern in seinem Buch Meat: A Benign Extravagance Tribut dafür, dass sie die Debatte angestoßen haben. Dann unterzieht er ihr Argument, soweit mir bekannt als erster, einer sowohl objektiven als auch forensischen Prüfung. Sein Buch ist ein Schlachthof für irreführende Behauptungen und zweifelhafte Zahlen – das gilt für beide Seiten.

Rinder können ihr Futter nicht verwerten

Es besteht kein Zweifel daran, dass mit unsem Viehzucht-System etwas entsetzlich schiefgelaufen ist. Fairlie beschreibt die Rindermast-Industrie der USA als „eines der größten Schlamassel der jüngeren Geschichte“. Sie pumpt Getreide und Gras, das auf bewässerten Äckern gezogen wird, in die Mägen von Nutztieren, die am wenigsten dazu in der Lage sind, dieses effektiv zu verdauen, um Fleisch zu produzieren, das fett genug für die Hamburger-Produktion ist. Rinder können exzellent Gras verwerten, konzentriertes Futter hingegen können sie nur ganz schlecht umwandeln. Das Futter ließe sich viel sinnvoller darauf verwenden, um Schweine zu mästen.

Schweinen ist unterdessen in großen Teilen der reichen Länder verboten worden, was sie am besten können: Abfall in Fleisch zu verwandeln. Bis in die frühen Neunziger hinein bestand Mischfutter für Schweine nur zu 33 Prozent aus Getreide, das auch als Nahrung für den Menschen geeignet wäre: der Rest bestand aus Getreiderückständen und Lebensmittelabfällen. Seither hat sich der Anteil einwandfreien Getreides in Schweinefutter verdoppelt. Dafür gibt es mehrere Gründe: die Vorgaben der Supermärkte; die Dominanz einiger großer Unternehmen auf dem Futter-Markt, die mit Abfällen aus mehreren Quellen nicht arbeiten können; am ausschlaggebendsten war jedoch die panische Überreaktion auf BSE und die Maul- und Klauenseuche

Fleisch für Schweine ergibt Sinn

Fleisch und Knochenmehl an Kühe zu verfüttern war geisteskrank. Es an Schweine zu verfüttern, deren natürliche Ernährung einen nicht unerheblichen Anteil an Fleisch enthält, ergibt Sinn, so lange man es korrekt macht. Dasselbe gilt für Küchenabfälle. Wenn man Schweine mit abgekochten Essensresten füttert, löst das zwei Probleme: Abfälle werden entsorgt und das Getreide kann anderweitig verwendet werden. Stattdessen laden wir abermillionen Tonnen möglichen Schweinefutters auf die Müllkippen oder verbrennen es und verwenden stattdessen Soja, dessen Produktion den Amazonas kaputt macht. Fairlie hat berechnet, dass sich mit den Küchenabfällen der USA 800.000 Tonnen Schweinefleisch erzeugen ließen – ein Sechstel unseres gesamten Fleischkonsums.

Diese Idiotien, das zeigt Fairlie auf, sind jedoch kein Argument gegen den Fleischkonsum an sich, sie sind lediglich Argumente gegen das aktuelle Viehzucht-Modell. Er zeigt auf, dass wir mit den falschen Vergleichsgrößen arbeiten, wenn wir die Effizienz der Fleischproduktion bewerten. Anstatt zu zitieren, wieviel Futter benötigt wird, um eine bestimmte Menge Fleisch zu erzeugen, sollten wir vergleichen, welche Anbauflächen benötigt werden, um entweder eine bestimmte Menge Fleisch oder eine bestimmte Menge an pflanzlicher Nahrung zu erzeugen, die jeweils dieselbe Menge an verwertbaren Kalorien enthält. Die Ergebnisse unterscheiden sich radikal.

Fleisch kann ein effektives Nahrungsmittel sein

Wenn Schweine mit Rückständen und Abfällen gefüttert werden und Rinder mit Stroh, Restpflanzen und Gras, das auf Brachen gepflanzt wird, dann wird Fleisch zu einem äußerst effektiven Nahrungsmittel. Auch wenn die Zahlen durch den verschwenderischen Getreidekonsum in den reichen Ländern verzerrt werden, so beträgt das Verhältnis verwertbarer Pflanzennahrung zu verwertbarem Fleisch nicht 5:1 oder 10:1, wie beinahe überall zitiert wird, sondern weniger als 2:1. Würden wir damit aufhören, Tieren essbares Getreide zu verfüttern, dann könnten wir die Hälfte des globalen Fleischbedarfs decken, ohne der Welternährung zu schaden: in der Tat ein signifikanter Nettogewinn.

Die andere Hälfte jedoch – die dadurch erzeugt wird, dass Tiere mit Getreide gemästet werden, um den Fleisch- und Milchkonsum anzukurbeln, beeinträchtigt die Lebensmittelversorgung. Würde man diese Hälfte streichen, dann könnte man 1,3 Milliarden Menschen zusätzlich ernähren. Fairlie argumentiert, dass wir es uns leisten könnten, einen kleinen Anteil des Weizens als Tierfutter zu verwenden – die Tiere könnten in fetten Jahren die Überschüsse aufbrauchen und in mageren geschlachtet werden. Halb so viel tierische Produkte wie jetzt ständen dann weltweit zum Konsum zu Verfügung – vor allem in den westlichen Ländern würde das bedeuten, dass weit weniger Fleisch auf den Tisch kommen dürfte als aktuell der Fall ist.

Drei Nullen zu viel in der Wasserrechnung

Fairlie macht sich daraufhin an die Schlachtung einer ganzen Herde von heiligen Kühen. Wie so viele Grüne, habe ich gedankenlos die Behauptung wiedergekäut, dass für die Produktion eines Kilos Fleisch 100.000 Liter Wasser benötigt werden. Fairlie zeigt auf, dass diese Zahl drei Nullen zuviel hat. Sie beruht auf der absurden Annahme, dass jeder Tropfen Wasser, der auf eine Weide fällt, auf Nimmerwiedersehen in den Tieren, die dort Grasen, verschwindet. In Kalifornien wird eine absurde Menge an Wasser darauf verwendet, Vieh mit Getreide von bewässerten Anbauflächen zu füttern, aber das ist eine krasse Ausnahme.

Ähnlich dämlich sind die Annahmen, die der berühmten Behauptung der Welternährungsorganisation (FAO) zugrunde liegen, die Viehzucht sei für 18 Prozent des weltweiten CO2-Ausstoßes verantwortlich – für mehr als der Verkehr. Fairlie weist nach, dass sie eine ganze Reihe von Fehlern gemacht hat. So wird etwa die gesamte Abforstung für Rinderfarmen im Amazonas auf das Vieh zurückgeführt: In der Realität sind der treibende Motor dahinter jedoch oft Spekulationen und Holzgewinnung. Sie vermischt einmalige Emissionen durch die Abholzung mit anhaltender Verschmutzung. Ähnliche Schnitzer weist er bei der Berechnung von Stickstoffoxid und Methan nach – hier gerät durcheinander, wieviel brutto, wieviel netto produziert wird. Umgekehrt schätzt die Organisation viel zu niedrig ein, wieviel fossiles Wasser in den Intensivanbau fließt: Der Bericht scheint von einer starken Abneigung gegen die Massentierhaltung geprägt).

Pflanzenöle sind schlechter fürs Klima als Fleisch

Fairlie geht davon aus, dass die Viehzucht alles in allem für etwa 10 Prozent des weltweiten CO2-Austoßes verantwortlich ist: Das ist immer noch zu viel, aber weniger als der Verkehr ausmacht. Des Weiteren weist er nach, dass viele Pflanzenöle eine schlechtere CO2-Bilanz haben als tierische Fette und erinnert uns daran, dass selbst die vegane Landwirtschaft das Töten und die Vertreibung von Tieren aus ihrer natürlichen Umwelt erforderlich macht: In diesem Fall eben Schädlinge. Andererseits fegt er die Behauptung einiger Viehzüchter vom Tisch, sie könnten den Bodenkohlenstoff davon abhalten, sich zu zersetzen und auszutreten.

Die Fleischproduktion, für die Fairlie plädiert, unterscheidet sich scharf von der gegenwärtigen Praxis in den reichen Ländern: gering, was Energieverbrauch und Abfall betrifft, gerecht, vielfältig, in kleinem Rahmen. Doch würden wir es annehmen, dann könnten wir mit reinem Gewissen Fleisch, Milch und Eier essen (wenn auch weit weniger). Indem wir uns aus der Debatte, wie Tiere gehalten werden sollten, herausgehalten haben, haben wir als Anwälte des Veganismus zugelassen, dass die Befürworter einer grausamen, destruktiven, Hungersnöte verursachenden Fleischproduktion sich durchsetzen. Es ist Zeit, dass wir loslegen.

George Monbiot ist Kolumnist des Guardian und schreibt vor allem zu Umwelt-Themen

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Übersetzung: Christine Käppeler
Geschrieben von

George Monbiot | The Guardian

Der Freitag ist Syndication-Partner der britischen Tageszeitung The Guardian

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