Der Sensenmann kommt

Enthauptungsschläge Mit Drohnen kann man gezielt Menschen töten, so dass Kriege kein Ende finden. Auch der Bundeswehr droht dieses Dilemma, sollte sie mit Flugrobotern aufgerüstet werden
Ausgabe 19/2013
Der Sensenmann kommt

Illustration: der Freitag

Man hat zuweilen den Eindruck, das nationale Verteidigungsestablishment der USA ist einer intellektuellen Leichenstarre verfallen. Besonders dann, wenn es um strategische Fragen geht, etwa die fortwährende Liebe zu von Drohnen ausgeführten gezielten Tötungen islamistischer Feinde.

Anstatt darüber zu streiten, wie wirksam diese Tötungen als Teil einer Anti-Terror-Strategie sind, können die Republikaner nichts Falsches daran erkennen, dass der Staat jeden Monat eine Todesliste erstellt. Die Demokraten wollen aus rechtlichen Gründen lediglich, dass Richter diese Verzeichnisse in Augenschein nehmen, bevor sie abgearbeitet werden. Wenn es je ein Paradebeispiel für eine Taktik auf der Suche nach einer Strategie gab, ist es hier der Fall. Leider passiert es nicht zum ersten Mal, dass vom US-Sicherheitsestablishment Taktik mit Strategie verwechselt wird.

Die USA haben während des vergangenen Jahrzehnts erlebt, wie Führungsfiguren aus Politik und Armee gleichermaßen die Vorteile der „Strategie der Aufstandsbekämpfung“ und des Drohneneinsatzes als angemessene Herangehensweise an die Kriege im Irak und in Afghanistan beschworen haben Dabei handelt es sich bei der Aufstandsbekämpfung lediglich um ein taktisches Vorgehen auf dem Schlachtfeld, das zumeist elend gescheitert ist, wenn sich in den vergangenen 100 Jahren westliche Armeen daran hielten.

In der Fokussierung auf den Mord an mutmaßlichen Terroristen durch Hellfire-Raketen aus der Luft oder Sonderkommandos am Boden kommt eine besondere Form der Aufstandsbekämpfung zum Ausdruck. Sie will Führungspersonal enthaupten. Doch solche Schläge gegen relevante Kader islamistischer Verbände sind als Strategie zu kurzsichtig. Tatsächlich können sie die Gefahren für die USA sogar noch erhöhen. Belege dafür finden sich bei der Betrachtung sämtlicher irregulärer Kriege, die Besatzungsarmeen im 20. Jahrhundert führten.

Stets die gleiche Folie

Dass die Franzosen diese Technik während ihrer Kolonialzeit in Algerien perfektionierten, änderte nichts daran, dass sie diesen Kolonialkrieg in Nordafrika letztlich verloren. Ein anderes Beispiel ist Israel, das seit 60 Jahren immer wieder feindliche Anführer gezielt tötet, um so Terroranschläge zu verhindern. Aber so wenig die Franzosen mit gezielten Tötungen in Algerien siegen konnten, so wenig sind dieselben für Israel geeignet, mehr Sicherheit zu gewinnen. Auch wenn man es vielleicht nicht so klar vor Augen hat, sind die USA heute jene Nation, die Drohnen bei weitem am häufigsten einsetzt, um Führer auszuschalten. Wie fährt man mit dieser Strategie?

Ich erinnere mich, wie mir 2010 bei einem Briefing in Afghanistan eine PowerPoint-Folie gezeigt wurde, auf der mit roten Kreuzen die Führungsstruktur der Taliban in der Provinz markiert war, die ich gerade besuchte. Naiv sagte ich zu dem Offizier, der das Briefing veranstaltete: „Wenn das so ist, dann können wir ja nur gewinnen.“ Er lachte. „Sie hätten hier in den vergangenen Jahren herkommen können, wann sie wollen – sie hätten jedes Mal haargenau die gleiche Folie gesehen. Sie kommen einfach immer wieder zurück.“

Darin liegt das Problem. Unter der Führung von General Stanley McChrystal und seines Nachfolgers David Petraeus haben die USA in Afghanistan die Taktik der Enthauptungsschläge seit 2009 in einem geradezu industriellen Ausmaß umgesetzt. Beide riefen das gleiche Joint Special Operations Command (JSoc) ins Leben, das 2007 und 2008 viele Menschen im Irak tötete. Das half zwar, den dortigen Rückzug Ende 2011 abzusichern, aber nicht mehr. JSoc-Teams und die Drohnenexperten der CIA haben viele Taliban getötet, doch haben die deswegen aufgegeben?

Gelegenheit verspielt

Selbst wenn man die ethischen Aspekte staatlicher Hinrichtungen ohne vorheriges Verfahren beiseite lässt, bleibt immer noch das strategische Problem, dass wir uns der Konflikte mit militanten Islamisten nicht durch Drohnen entledigen können. Sie werden so lange zurückkommen, bis ein politischer Konsens erreicht ist oder sie alle tot sind. Da wir sie nicht alle töten können, gibt es weiter Krieg. Durch das Eingreifen in die lokalen Konflikte solcher Länder wie Somalia, Afghanistan, Jemen und Mali gehen wir das Risiko ein, genau die Art von Angriffen gegen uns zu provozieren, die wir eigentlich verhindern sollten.

Enthauptungsschläge mit Drohnen sind eine sichere Gewähr dafür, dass Krieg nie ein Ende finden wird. Auch wenn dies einigen Politikern vielleicht gut ins politische Kalkül passt, so bleibt es doch eine grauenvolle Strategie. Man braucht nur die Israelis zu fragen, ob sich das für sie bewährt hat. Anders als die verlockende Vorstellung von einem Krieg auf Knopfdruck suggeriert, der nichts kostet und aus sicherer Entfernung allein von Drohnen geführt wird, betreibt Amerika ein gefährliches Spiel.

So sehr man auch das Gegenteil glaubt: Es handelt sich bei extremistischer Gewalt um ein politisches Problem, das militärisch nicht gelöst werden kann. Durch den Einsatz von Drohnen schon gar nicht. Da wird versucht, ein eckiges Holzstück in ein rundes Loch zu stecken. Weder in Saudi-Arabien noch irgendwo sonst klettern die Leute auf die Barrikaden, um den fundamentalistischen Ruf nach einem Kalifat zu unterstützen. Wir sollten daher al-Qaida eines natürlichen Todes sterben lassen. Wenn sie überhaupt etwas bewirkten, dann haben Amerikas Militärinterventionen die Bedeutung militanter Islamisten, die sich unter diesem Banner zusammengeschart haben, nur vergrößert. Das Geringste, was man sich von einem vernünftigen strategischen Ansatz verspricht, wäre eine Debatte, derer die USA wegen ihrer verteidigungspolitischen Entscheidungen dringend bedürfen. Als die neuen Minister der Regierung Obama bestätigt werden mussten, bot sich die Gelegenheit, sie zu führen. Aber das Schweigen, das von der Exekutive wie der Legislative zu vernehmen war, fiel beredt aus.


Verteidigungsminister Thomas de Maizière ist guter Hoffnung. Noch im Mai könnte ein „letter of offer and acceptance“ aus Washington eintreffen, falls auch der US-Kongress zustimmt, dass sich die Bundeswehr mit Drohnen aus den USA ausrüstet. Zunächst sollen Flugroboter des Typs „MQ-9 Reaper“ erworben werden, erprobt in Afghanistan, Pakistan und Nordafrika. Dass man sich damit der zweifelhaften Praxis des exzessiven Tötens von Menschen nähert, die oft nur unter dem Verdacht des Terrorismus stehen, erscheint offenbar sekundär.
Bei Drohnenattacken sterben zudem immer wieder unbeteiligte Zivilisten. Von Amerikanern, Briten oder Israelis wird das notfalls als bedauernswerter Kollateralschaden wahrgenommen. Wenn überhaupt. Wollen das auch deutsche Militärs künftig verantworten? Man muss es annehmen. Drohnen passen zu einer hedonistischen und risikoscheuen Gesellschaft, die längst nicht mehr in den Krieg ziehen will und auch nicht muss, weil das Töten Kriegsrobotern übertragen wird. Die müssen nur programmiert werden wie das Navi im PKW. Was daraus folgt, erledigen Drohnen still und zuverlässig. Kurztexte: LH
Die Großdrohne „Heron 1“ wurde für die israelische Luftwaffe entwickelt, um Aufklärung über der Westbank und dem Libanon betreiben zu können. Der Flugkörper bleibt mit einer Spannweite von 26 Metern etwa 45 Stunden in der Luft. 2012 wurden drei Drohnen dieser Kategorie von der Bundeswehr für ihren Einsatz in Afghanistan geordert, um eigene Feldlager besser überwachen zu können.
Drohnen der Bauart „MQ-9 Reaper“,mit denen sich nun auch die Bundeswehr ausrüsten will, wurden 2007 für die US-Armee in Dienst gestellt. Mit einer Länge von elf Metern hat der „Sensenmann“ eine Reichweite von maximal 3.065 Kilometern und kann bis zu 15.000 Meter hoch fliegen. Ausgerüstet ist diese Drohne mit Hellfire-Raketen, die unabhängig voneinander ins Ziel gelenkt werden.
Drohnen vom Typ „ScanEagle“ wurden einst für zivile Zwecke (Fischfang) gebaut, dann ab 2002 von der US-Armee ein-gesetzt. Der Start für seegestützte Missionen erfolgt per Katapult, bevor es eine Beschleunigung auf 90 km/h gibt. Bei einer Flugdauer von maximal 28 Stunden können 1.500 Kilometer zurückgelegt werden. Gekauft haben diese Drohne bereits Kanada, Australien und Polen.
Der Typ „MQ-1 Predator“ ist quasi der Veteran unter den Angriffs- wie Aufklärungsdrohnen der US-Streitkräfte und wurde seit 1995 bereits in Bosnien, Serbien, Afghanistan, Pakistan und Libyen, im Irak und Jemen eingesetzt. Sie kann maximal 3.700 Kilometer weit fliegen. Ausgestattet mit einer Bomben- oder Raketenfracht wird sie besonders am Hindukusch für gezielte Tötungen gebraucht.

James Russell ist Professor am Department für Nationale Sicherheit an der Naval Postgraduate School in Monterey

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Übersetzung: Holger Hutt
Geschrieben von

James Russell | The Guardian

Der Freitag ist Syndication-Partner der britischen Tageszeitung The Guardian

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