Großbritannien Die Abhör-Saga um Murdochs Medienimperium, Scotland Yard und die britische Spitzenpolitik nimmt die Qualität einer TV-Serie an: Steht am Ende der Sturz David Camerons?
Vor über zehn Jahren schrieb der US-Autor Neal Gabler in seinem Buch Das Leben, ein Film, die größten Ereignisse – von Nachrichten bis hin zur Spitzenpolitik – würden inzwischen als Massenunterhaltung erlebt. Wir würden Geschehnisse des wirklichen Lebens verfolgten, als seien sie bloß eine Geschichte, die vor unseren Augen aufgeführt wird und einem unsichtbaren Drehbuch folgt.
Schon bevor Rupert und James Murdoch vor einem Ausschuss des britischen Parlaments erschienen, hatte die Abhör-Saga eben jene Qualität angenommen. Die Leute gaben zu, süchtig nach der Story zu sein und die Abendnachrichten zu verfolgen, als handele es sich dabei um die neue Folge einer gefeierten TV-Serie. Immerhin entspricht die Geschichte ja auch ziemlich
te ja auch ziemlich genau den Regeln des High-Class-Thrillers – vielschichtige Intrigen, eine sich andeutende und durch das Herz der mächtigsten Institutionen des Landes ziehende Verschwörung, zwielichtige Schurken – in diesem Fall Journalisten eines Klatschblattes –, die anfangs im Mittelpunkt standen und dann nach und nach von wichtigeren Akteuren ersetzt wurden, bis die Verdachtsspur ganz nach oben führte.Schwindelerregende GeschwindigkeitWenn überhaupt irgendetwas, dann ist an der Story nur auszusetzen, dass sie ein klein bisschen überladen ist: zu viel Handlung und zu viele aufsehenerregende Charaktere in eine zu kleine Zeitspanne gestopft. Die meisten Dramatiker wären wohl glücklich mit einem Plot, in dem Betrügereien innerhalb des mächtigsten Medienunternehmens der Welt ans Licht kämen. Der NoW-Skandal aber umfasst die Londoner Metropolitan-Police, hat deren Chef und seinen Vize zu Fall gebracht und scheint sich immer weiter der Downing Street wie der britischen Regierung zu nähern. Und die Geschwindigkeit ist schwindelerregend.Am 19. Juli kam es zu einer Art Höhepunkt, allerdings einem, der eher für die Bühne als fürs Fernsehen geschrieben schien. Ein Medienmogul, der einst auf mehreren Kontinenten als allmächtig galt, musste sich einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss stellen. Allein das war schon dramatisch: Der Zauberer von Oz wurde den Zwergen vorgeführt und war gezwungen, sich vor jenen Parlamentariern zu verteidigen, die er früher eingeschüchtert und verachtete hatte.Ein globaler Wirtschaftsgigant, der sich erklären muss. Da war aber auch die junge Ehefrau, nervös über ihren viel älteren Gatten wachend und ihn beschützend. Die Videoaufnahmen, die zeigen, wie sie einem Angreifer, der ihrem Mann einen Teller voll Schaum ins Gesicht klatschen wollte, einen rechten Haken versetzt, wurde von einigen TV-Sendern zur Belustigung gesendet. Wendy Deng erntete selbst von denjenigen Applaus, die ihren Mann am verbissensten anklagten. Sie war die Tigermutter, die ihren Mann verteidigte.Murdoch versuchte, während der Sitzung in auffälliger Weise Punkte zu sammeln – er erinnerte sich an Auflagenzahlen aus den neunziger Jahren und war sich der juristischen Bedeutung des Ausdrucks „vorsätzliche Blindheit“ bewusst. Dies führte unglaublicherweise dazu, dass Rupert – der jahrzehntelang durch die Albträumen aller Linken geisterte – als verletzliche, ja mitleiderregende Figur dastand. Gegen Ende, lobten die Abgeordneten den alten Mann gar dafür, dass er den Mut besessen habe, vor dem Ausschuss zu erscheinen.Zeit für den GenerationenwechselAuf die News-Corp-Investoren wird das möglicherweise weniger Eindruck gemacht haben. Es ist gut möglich, dass wir den Schwanengesang des Keith Rupert Murdoch und die De-facto-Übergabe des Imperiums an seinen Sohn miterlebt haben. James mit seinem transatlantischen Business-Habitus, mit dem Gerede von „pro-aktiv“ sein, von „nach vorne gehen“ trieb die Journalisten in den Wahnsinn. Die Männer mit dem Geld wird dies freilich beruhigt haben. Sie werden nun vollends überzeugt sein – es ist Zeit für einen Generationenwechsel.Wenn Murdoch Senior seine bedrohliche Ausstrahlung verloren hat, dann versank vor dem Untersuchungsausschuss das, was von der Reputation der Metropolitan Police zu diesem Zeitpunkt noch übrig war, noch ein Stück tiefer im Morast. Jeder der drei Met-Offiziere, die erschienen waren, versuchte die Schuld auf dem Schreibtisch eines Kollegen abzuladen und behauptete, kaum etwas falsch gemacht zu haben – seltsam, wenn man bedenkt, dass zwei von ihnen zurückgetreten sind. Die Enthüllung, dass zehn der 45 Presseoffiziere der Met Ex-Angestellte des Murdoch-Verlags News International waren, in Verbindung mit der völlig beiläufigen Einstellung des früheren stellvertretenden Chefredakteurs der News of the World, Neil Wallis, bestätigte nur, dass die britische Polizei und die Zeitungsgruppe so eng miteinander verbandelt sind, dass Scotland Yard mittlerweile der Sicherheitsabteilung von News International gleicht.Für Politiker und Parlament war es ein guter Tag. Sie spürten ihre Stärke, als wäre es das erste Mal gewesen. Nachdem sie die Mächtigen vor den Augen der internationalen Medien gegrillt haben – wie ihre Kollegen im amerikanischen Kongress dies schon seit Jahren zu tun pflegen – könnten sie auf den Geschmack gekommen sein.Camerons Aktien fallen Was uns zu dem Mann bringt, der nicht anwesend war, dessen Schicksal aber von diesen Ereignissen abhängen könnte. Die aufgeregtesten Kommentatoren – und interessanterweise waren dies eher konservative Blogger als Guardian-Typen – stellen sich die Frage, ob die derzeitige Krise mit dem Sturz David Camerons enden könnte.Fröhlich twittern sie bereits über mögliche Nachfolger. Angeblich „kauften“ einige Abgeordnete bereits „Aktien“ von Theresa May. Skepsis scheint angeraten: Was wir bislang wissen, beschädigt Cameron ohne Zweifel – er hat seiner Urteilsfähigkeit ein extrem schlechtes Zeugnis ausgewiesen, als er einen Mann als Kommunikationsdirektor und Berater einstellte; der bei der NoW wegen einer Abhöraktion hinausgeflogen war – aber es bedroht noch nicht sein politisches Überleben.Dennoch könnte ihm zwei Entwicklungen heftig wehtun. Die erste wurde mit der Enthüllung in Gang gebracht, dass Neil Wallis selbst dann noch als informeller Berater für Coulson gearbeitet hat, als der bereits an Camerons Seite installiert war. Dies bedeutete, dass die New of the World nicht die Vergangenheit Coulsons darstellte, wie Cameron stets behauptet hat, sondern die Verbindung weiter bestand. Natürlich wollen jetzt alle wissen, welche Ratschläge Wallis denn gegeben hat: Hat er illegal erworbene wertvolle Information über die Labour-Partei weitergegeben? Wenn ja, würde dies für Cameron mit Sicherheit das Aus bedeuten. Der gestern veröffentlichte E-Mail-Verkehr zwischen seinem Stabschef und der Met kommt ihm ebenfalls wenig entgegen. Er legt einen Grad der Absprache zwischen Met und Downing Street nahe, der äußerst verdächtig wirkt, selbst wenn er so gehalten war, dass der Kopf des Premiers sicher außerhalb der Schlinge verblieb.
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