Der Soundtrack zum Roman

E-Book Nick Caves neuer Roman kommt noch vor der Printausgabe als Hörbuch mit Musik auf den Markt und weist der Belletristik damit die Zukunft, meint Guardian-Autor Sam Leith

Bei der technologischen Ergänzung oder Weiterentwicklung einer Kunstform ist im Grunde eine Frage entscheidend: Handelt es sich um Smell-O-Vision? Erinnern sie sich an Smell-O-Vision? Nein? Nun, genau das meine ich. Diese cineastische Revolution basierte auf der Idee, die Erfahrung würde umfassender, wenn man beispielsweise bei einer Liebesszene Rosenduft über die Klimaanlage in den Vorführungsraum pumpen würde; oder wenn es beim Erscheinen von Zombies auf der Leinwand plötzlich nach verfaultem Fisch stinken würde. Natürlich fanden alle die Idee schrecklich. Man kam aus dem Kino und roch nach fischigen Rosen.

Mitte des vergangenen Jahrhunderts war entsprechend einmal der Glaube weit verbreitet, die Zukunft des Kinos liege im 3D und man ging davon aus, die rotblauen Brillen würden bald für jeden Kinogänger zur Standardausrüstung werden und die Flachbildprojektion bald eine historische Kuriosität darstellen. Was uns der 3D-Trubel schließlich einbrachte, war freilich nicht viel mehr als einen Tiefpunkt im Geschäft mit Der-weiße-Hai-Franchise und einen kurzlebigen Comic namens Adolescent Radioactive Black-Belt Hamsters.

Was uns zu Enhanced Editions (Erweiterte Ausgaben) bringt, einem neuen Buchprojekt von Peter Collingride von dem für digitales Design zuständigen Apt Studio – einem Unternehmen, das gegenwärtig mit Canongate zusammenarbeitet. Im Laufe dieses Monats soll Nick Caves neuer Roman The Death of Bunny Munro" target="_blank">The Death of Bunny Munro – die Geschichte der letzten Tour eines sexbesessenen Handelsreisenden – über den I-Phone-App-Store in einer erweiterten Version noch vor der Printausgabe auf den Markt kommen.

Plurale Rezeption

Diese erweiterte Ausgabe hat einige Applikationen, die wir bei elektronischen Texten mittlerweile als Standard kennen: man kann Schriftart und Farbe ändern, sich Stellen markieren und so weiter. Es gibt auch ein paar recht intelligente Social-Networking-Funktionen. Einen spürbaren Effekt auf die Leseerfahrung könnten indes folgende Erweiterungen haben: Anstatt den Text wie üblich mit Seitenzahlen zu versehen, präsentiert er sich als ein kontinuierlicher Scroll (ein Gimmick, der nur Freaks begeistern dürfte, besteht darin, dass man die Scroll-Geschwindigkeit mittels des Neigungswinkels des Phone bestimmen kann). Und der App enthält auch ein Hörbuch, das mit dem geschriebenen Text sychronisiert ist. Sie setzen die Kopfhörer auf, berühren den Bildschirm, und Caves Stimme fährt da fort, wo Sie aufgehört haben.

Das ist interessant. Man könnte es als reinen Gimmick betrachten, sollte es sich aber durchsetzen, wird es auf subtile Weise die Art verändern, wie wir Literatur erfahren. Wenn Sie den Roman zur Hälfe gelesen und zur Hälfte angehört haben, wird Ihre Leseerfahrung zum Teil durch die Stimme des Hörbuches beeinflusst, Ihre Erinnerung an den Text um die Hörerfahrung reicher sein.

Zum anderen enthält das Gerät auch einen von Cave und Warren Ellis von den Bad Seeds komponierten Soundtrack. Romane mit Soundtrack: Das wird die Leseerfahrung nun definitiv verändern. Könnte der Soundtrack-Roman in der Belletristik wohl das werden, was das Lied im Verhältnis zum Gedicht ist? Oder Smell-O-Vision fürs Kino? Sicher werden hier einige Autoren wie Cave geeigneter sein als andere.

Es führt kein Weg daran vorbei, dass das E-Book bald mit dem Taschenbuch in Konkurrenz treten wird und es ist sehr wahrscheinlich, dass einige Leser mehr damit machen werden als es nur zu lesen. Es ist eine alte Wahrheit, dass jeder Leser ein anderes Buch liest. Wenn mehr Pakete wie dieses ihren Weg auf den Markt finden, werden sowohl Romane als auch ihre Lesarten pluraler, vielförmiger und weniger monolithisch auf das Buch beschränkt werden. Für mich hört sich das gut an.

Nur für kurze Zeit!

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Übersetzung: Holger Hutt
Geschrieben von

Sam Leith, The Guardian | The Guardian

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