Der Tod des Multilateralismus

Nach-Rio Es scheint ein Irrglaube gewesen zu sein, dass die Staats- und Regierungschefs die Zerstörung der Erde verhindern wollen - es regiert der Wirtschaftswachstumswahnsinn
Nur Augen für´s Geld. Für eine nachhaltige Wirtschaft müssen wir vor allem unser Konsumverhalten ändern
Nur Augen für´s Geld. Für eine nachhaltige Wirtschaft müssen wir vor allem unser Konsumverhalten ändern

Christophe Simon / AFP / Getty Images

Es ist vielleicht das schwerwiegendste Versagen kollektiver Führung seit dem Ersten Weltkrieg. Die lebenden Systeme dieser Welt kollabieren und die Regierungschefs der mächtigsten Staaten (USA, Großbritannien, Deutschland und Russland) halten es noch nicht einmal für nötig, persönlich in Rio zu erscheinen. Und die, die zum Gipfel gekommen waren, haben feierlich vereinbart, das Feuer der Zerstörung weiter zu schüren: In ihrer Erklärung geloben sie sechzehn Mal, den Pfad des "nachhaltigen Wirtschaftswachstums" weiter zu beschreiten – der wichtigsten Ursache für die Verluste der Biosphäre.

Die Anstrengungen der Regierungen sind nicht darauf gerichtet, die Erde vor ihrer Zerstörung zu bewahren, sondern sie sind die Maschine, die sie zerstört. Jedes Mal, wenn sich der Konsumenten-Kapitalismus in seinen eigenen Widersprüchen verheddert, beeilen sich unsere Regierungen, die Maschine wieder zum Laufen zu bringen, auch wenn sie unsere Existenzgrundlagen vernichtet. Sie soll dann möglichst noch schnell laufen als zuvor. Der Gedanke, es könnte sich um die falsche Maschine handeln, die das falsche Ziel verfolgt, kann vom herrschenden politischen Betrieb noch nicht einmal artikuliert werden.

Unser aller Versagen

Wir nutzen unsere Freiheiten, die so groß sind wie nie zuvor, nicht dafür, uns für Gerechtigkeit, Umverteilung und die Verteidigung unserer gemeinsamen Interessen einzusetzen, sondern jagen den Dopamin-Schüben nach, die uns der Kauf von Dingen bereitet, die wir eigentlich überhaupt nicht brauchen. Die erfinderischsten Köpfe der Welt verwenden ihr Talent nicht darauf, das Schicksal der Menschheit zu verbessern, sondern erfindet statt dessen immer wirkungsvollere Stimulationsmittel, um dem Fall der Befriedigungsrate entgegenzuwirken, die der Konsum hervorbringt. Die Abhängigkeiten des Konsumentenkapitalismus sorgen dafür, dass wir bei der Zerstörung unseres Planeten mitmachen. So ist das Versagen von Rio das Versagen von uns allen.

Es steht mehr oder weniger für das Ende multilateraler Bemühungen zum Schutz der Biosphäre. Das einzige erfolgreiche internationale Instrument – das Montrealer Protokoll über Stoffe, die zu einem Abbau der Ozonschicht führen – wurde schon vor dem ersten Weltklimagipfel 1992 beschlossen. Es war die letzte Frucht einer politischen Ära, in der der Eingriff in die Märkte zum Wohle des größeren Ganzen noch kein Tabu darstellte – noch nicht einmal bei Leuten wie Thatcher oder Reagan. Alles, was seitdem an sinnvollen Dingen diskutiert wurde, führte wenn überhaupt zu schwachen, nicht einklagbaren Abkommen.

Die Regierungen, die den Weltklimagipfel und alle anderen derartigen Gipfel haben scheitern lassen, zeigen keinerlei Verantwortungsgefühl und scheinen kein bisschen beunruhigt von dem Gedanken, dass mit einem System etwas nicht in Ordnung sein kann, das 20 Jahre lang nicht funktioniert hat. Sie gehen einfach auseinander, denn sie wissen, dass sie keine politischen Konsequenzen zu befürchten haben.

Zwei-Grad-Ziel verpasst

Das soll nicht heißen, dass man den Multilateralismus völlig aufgeben sollte. Abkommen über Artenvielfalt, die Weltmeere und den Handel mit bedrohten Arten können den Angriff der Konsummaschine auf die Biosphäre vielleicht ein wenig abmildern. Mehr aber auch nicht. Wenn denn gehandelt wird, dann zumeist woanders. Die Regierungen, die ein Interesse am Erhalt des Planeten haben, werden alleine oder mit Gleichgesinnten vorangehen müssen. Es scheint offensichtlich, dass wir die Chance verpasst haben, die Erderwärmung unter zwei Grad zu halten. Was also bleibt uns jetzt noch übrig zu tun? Einige Leute werden aufgeben und sich von der politischen Arbeit zurückziehen. Was soll´s, werden sie fragen, wenn am Ende doch alles verschwindet – Wälder, Bäche, Sümpfe, Korallenriffe, Pole, Gletscher, Vogelgezwitscher?

Ich glaube, dass es sich dennoch lohnt, weiterzukämpfen. Erstens um unserer Kinder und Enkel Willen. Das wäre schon Grund genug. Zweitens besteht zumindest theoretisch die Möglichkeit, dass sich etwas ändert. Deshalb sollten wir bewahren, was wir können. Ich glaube zwar nicht, dass die Maschine, die den Planeten zerstört, noch vor den lebenden Systemen, von denen sie sich ernährt, in sich zusammenbrechen wird. Aber vielleicht irre ich mich ja auch. Wäre es nicht schrecklich, dem Aussterben der Arten zuzusehen, wenn sich nachher herausstellt, dass diese intensive Phase der Ausbeutung nur eine vorübergehende war?

Drittens: Während wir vielleicht keinen Einfluss auf die Entscheidungen haben, die anderswo getroffen werden, können wir innerhalb unserer eigenen nationalen Grenzen eine ganze Menge tun. Renaturierung in Form von Rewilding bietet die größte Hoffnung auf die Schaffung von Refugien für die Natur.

Den Glauben an internationale Abkommen, die Hoffnung aufzugeben, dass sie unsere Beziehung zur Natur grundlegend verändern können, ist beinahe eine Entlastung. Denn es bedeutet, einen Schlussstrich unter Jahrzehnte von Wut und Frustration zu ziehen. Gleichzeitig ist es aber auch sehr traurig, denn wir geben so viel anderes auf. War es denn zu viel verlangt von Leuten, die bei der Entwicklung von Stealth-Bombern, Dronenkriegen, Weltmärkten und Rettungspaketen in Billiardenhöhe wahre Wunder vollbracht haben, zu erwarten, dass sie auch nur ein Zehntel der Energie und Ressourcen, die sie auf diese Projekte verwendet haben, auf die Bewahrung unseres Planeten verschwenden? Leider scheint es so.

Der digitale Freitag

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Übersetzung: Holger Hutt
Geschrieben von

George Monbiot | The Guardian

Der Freitag ist Syndication-Partner der britischen Tageszeitung The Guardian

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