Der Vorwand

Wikileaks Die Anklage gegen Julian Assange ist der nächste Schritt in Donald Trumps Kampf gegen die Pressefreiheit
Die Sache stinkt zum Himmel
Die Sache stinkt zum Himmel

Foto: Carl Court/Getty Images

Wikileaks-Gründer Julian Assange ist unter Journalisten und Politikern so unbeliebt, dass viele regelrecht gejubelt haben, als die Trump-Regierung eine Anklage gegen ihn erlassen hat, die mit seiner Zusammenarbeit mit der Whistleblowerin Chelsea Manning in den Monaten vor der Veröffentlichung der Kabel von Pentagon and State Department im Jahr 2010 steht. Darauf sollte man aber nicht hereinfallen, denn es ist genau das, was die Trump-Administration sich vom nächsten Schritt des Justizministeriums in seinem Kampf gegen den Journalismus und die Pressefreiheit erhofft.

Der weitere Kontext dieses Falles ist fast so wichtig wie die Anklage gegen Assange selbst. Donald Trump ist fuchsteufelswild wegen der Informationen, die seit seinem Amtsantritt über ihn an die Öffentlichkeit dringen – und sauer auf die Nachrichtenorganisationen, die diese veröffentlichen. In seinen Twitter-Triaden beschwert er sich permanent darüber und hat das Justizministerium schon wiederholt angewiesen, gegen die Leaks vorzugehen. Er hat sogar beim ehemaligen FBI-Direktor James Comey angefragt, ob der Journalisten nicht ins Gefängnis bringen könne.

Das Justizministerium hat daraufhin eine Rekordzahl an Verfahren gegen Informanten angestrengt und darüber nachgedacht, die Regeln zu ändern, um es leichter zu machen, Journalisten unter Strafandrohung vorzuladen. Doch man ist dort nicht so einfältig und setzt unmittelbar und offen das in die Tat um, was dem Präsidenten gerade in den Sinn kommt, und verfolgt Reporter der New York Times oder der Washington Post. Die öffentliche Reaktion wäre so überwältigend, dass ein Richter mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit der Sache ein Ende bereiten würde – wenn der Fall nicht bereits vor der Verhandlung auseinanderfiele. Das Justizministerium hat andere Möglichkeiten, um schließlich das zu bekommen, was Trump will, und der Fall gegen Assange ist das perfekte Vehikel.

Vertrauen Sie Trump?

Wie lassen sich die Rechte aller am effektivsten beschneiden? Indem man sich zunächst jemanden aussucht, der unbeliebt ist, vielleicht sogar verachtet wird, und für den sich nur sehr wenige Verteidiger finden werden. Assange passt da perfekt. Wenn es erst einmal ein Gesetz gibt, das besagt, „dieser journalistische Aspekt ist illegal“, wird es wesentlich einfacher für das Justizministerium, andere Fälle gegen gemäßigtere Regierungskritiker durchzubringen – und wesentlich schwieriger für Richter, diese Anklagen umgehend abzuweisen. Anstatt zu denken „Ich hasse Julian Assange, deshalb bin ich froh, dass er bestraft wird“, sollte man sich fragen, ob man Trumps Justizministerium vertraut, wenn es um den Schutz der Pressefreiheit geht.

Die Trump-Regierung versucht, ihre Motive im Fall Assange zu verschleiern, indem sie es vermieden hat, den Akt der Veröffentlichung selbst offen zu kriminalisieren. Stattdessen wird Assange vorgeworfen, er habe sich „verschworen“, gegen ein Gesetz gegen Internetkriminalität zu verstoßen, als er Chelsea Manning 2010 geholfen habe, ein Passwort zu hacken. (Die Anklage unterstellt noch nicht einmal, sie hätten das Passwort überhaupt jemals wirklich gehackt oder die Sache hätte Assange dabei geholfen, auch nur ein Dokument von Manning zu erhalten.)

Es stimmt, dass die meisten Journalisten ihren Quellen nicht helfen, ein Passwort zu hacken, und niemand behauptet, hierbei handle es sich um ein Recht, das vom ersten Verfassungszusatz geschützt ist. Doch wenn man die gesamte Anklage liest – und nicht nur die zugespitzte Überschrift mit „Verschwörung zum Hacken“, die das Justizministerium einen sehen lassen möchte –, ist es klar, dass sie die Verschwörungsanschuldigungen als Vorwand benutzen, um Assange zu treffen und gleichzeitig potenziell wichtige und durchaus übliche journalistische Praktiken der Informationsbeschaffung zu kriminalisieren.

Journalistisches Standardrepertoire

Die Anklage bezieht sich auf die Verwendung eines verschlüsselten Chat-Programms, mit dem Assange monatelang mit Manning kommuniziert haben soll. Sie beschreibt, wie Assange Mannings Anonymität beschützen wollte und dies tat, indem er Informationen wie Usernamen von den Dokumenten, die Manning ihm schickte, bearbeitete. Es ist auch davon die Rede, Assange habe Manning aufgefordert, ihm zusätzliche Dokumente und nachrichtenwertes Material zuzusenden.

Bei all dem handelt es sich um Standardpraktiken, unzählige Journalisten im ganzen Land und auf der ganzen Welt arbeiten so. Verschlüsselungen zu verwenden und die Anonymität seiner Quellen zu schützen ist in einer Zeit, in der Ermittlungen gegen geheime Informanten an der Tagesordnung stehen, quasi unabdingbar. Reporter würden ihren Job nicht richtig machen, wenn sie Quellen nicht nach Informationen fragen und stattdessen darauf warten würden, dass diese ihnen auf wundersame Weise in den Schoß fallen.

CNN hat bereits darüber berichtet, das Justizministerium gehe davon aus, noch mehr Anklagen gegen Assange zu erheben. Zusammen mit der Tatsache, dass es in der gegenwärtigen Anklage einen ominösen Bezug zum Spionage-Gesetzgibt, deutet dies alles darauf hin, dass die Staatsanwälte immer noch darüber nachdenken, ihn wegen eines Verbrechens anzuklagen, in dem der Akt der Veröffentlichung ebenfalls enthalten ist – ein Rubikon, der für Reporter auf der ganzen Welt eine Katastrophe darstellen würde.

Man darf sich nicht zurücklehnen

Für diejenigen, die Wikileaks über die Jahre hinweg verfolgt haben, ist keine der Informationen aus der Anklageschrift gegen Assange neu. Die Obama-Administration verfügte seit 2011 über diese Informationen. Damals dachte sie zum ersten Mal darüber nach, Anklage gegen Assange zu erheben. Trotz Barack Obamas äußerst enttäuschender Bilanz in Sachen Pressefreiheit traf sein Justizministerium letzten Endes doch die richtige Entscheidung, als es beschloss, dass es zu gefährlich sei, WikiLeaks zu verfolgen, ohne Nachrichtenorganisationen wie die New York Times und den Guardian in Gefahr zu bringen.

Diejenigen, die Assange nicht mögen, sollten sich fragen, ob sie Trumps Justizministerium in dieser Sache mehr trauen als dem Obamas. Ist es angesichts der Tatsache, dass die Behörde ihre fadenscheinige Anklage wegen „Verschwörung“ zum Hacken eines Passwortes auf neun Jahre alte Beweise stützt – ein Plan, von dem selbst das Justizministerium selbst einräumt, dass er nicht funktioniert hat – wirklich so abwegig, zu vermuten, dass die Behörde in diesem Fall eigentlich ganz andere Ziele verfolgt?

Praktisch alle großen Organisationen, die sich für die Pressefreiheit und Bürgerrechte einsetzen, haben die Anklage umgehend kritisiert und große Bedenken in Bezug auf die Pressefreiheit geäußert. In einer Zeit, in der die Pressefreiheit so sehr im Mittelpunkt des öffentlichen Bewusstseins steht wie nie zuvor, wenn sie in Werbeclips bei den Super Bowls und bei Preisverleihungen thematisiert wird, sollte niemand sich zurücklehnen und sagen: „Ja, ich vertraue darauf, dass die Trump-Regierung in diesem Fall meine Rechte schützt.“ Das zu glauben, würde in die sichere Katastrophe führen.

Trevor Timm ist Executive Director der Freedom of the Press Foundation

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Mit Lust am guten Argument

Übersetzung: Holger Hutt
Geschrieben von

Trevor Timm | The Guardian

Der Freitag ist Syndication-Partner der britischen Tageszeitung The Guardian

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