Deutschland ist das Sorgenkind

Im Gespräch Der US-amerikanischen Ökonom und Wirtschaftsnobelpreisträger Paul Krugman über die fatale Exportorientierung und das Risiko der Schrottpapiere in der Bundesrepublik

Herr Krugman, Sie warnen davor, dass sich das japanische Beispiel weltweit wiederholen könnte. Das dortige Bruttoinlandsprodukt wird am Ende dieses Jahres nicht höher sein als 1992 – das sind für Japan 17 verlorene Jahre. Sie sagen, hierbei handele es sich um eine Gefahr, die für die gesamte nordatlantische Wirtschaft und vielleicht sogar für die Weltwirtschaft virulent bleibt.

Paul Krugman: Ja. Das Risiko des japanischen Syndroms ist nicht zurückgegangen. Die Gefahr einer umfassenden Großen Depression, bei der alles zusammenbricht, ist in den vergangenen Monaten stark zurückgegangen. Aber dieses erste Krisenjahr war viel schlimmer als alles, was im Verlauf des vergangenen Jahrzehnts in Japan passiert ist. In gewisser Weise ist unsere Situation also schon viel schlechter als alles, was Japan durchgemacht hat. Das Risiko einer langanhaltenden Stagnation ist wirklich hoch.

Was liegt ihrem Pessimismus zugrunde? Ein Kritiker würde sagen: Moment mal, Japan ist ein Sonderfall. Das Land hatte einen überdehnten Exportsektor, der zu groß für den US-amerikanischen Markt geworden war. Der Yen war stark überbewertet. Diese Probleme fielen dann zusammen mit einer Kreditkrise und einem bankrotten Bankensystem.

Im Falle Japans hatten die Probleme viel mit Demographie zu tun. Diese machte das Land zu einem natürlichen Kapitalexporteur von älteren Sparern und erschwerte zudem, für genügend Binnennachfrage zu sorgen. Das Ausmaß des Schocks, der jetzt unser System im Griff hält, wird aber viel größer sein als das, was Japan in den neunziger Jahren widerfahren ist. Wir wissen, dass es Situationen gibt, in denen gewöhnliche Geldpolitik jegliche Wirkung verliert. Und ich denke, dass wir uns nun in einer solchen Situation befinden.

Welche Länder scheinen Ihrer Meinung nach derzeit am ehesten gefährdet, „nipponisiert“ zu werden? Wer hat sowohl Probleme mit den Bilanzen als auch eine alternde Gesellschaft?

Nun, in den USA gibt es diese Kombination so nicht. Aber in Europa sehen Deutschland und Italien vergleichbar aus. Um Frankreich steht es besser, auch Europa als Ganzes steht wesentlich fester da. Deutschlands Binnennachfrage ist völlig unangemessen. Die wirtschaftliche Erholung des Landes in den ersten sieben Jahren dieses Jahrzehnts basierte auf einem gigantischen Leistungsbilanz-Überschuss. Wie ist es möglich, dass Deutschland, wo es keine Immobilienblase gab, einen größeren Rückgang des BIP zu verzeichnen hat als alle anderen großen Volkswirtschaften? Die Antwort besteht darin, dass es vom Export in die Blasen-Regionen Europas abhing und vom Wegfall dieser Exporte dann stärker getroffen wurde als die Blasenregionen selbst. Deutschland gibt auf globaler Ebene Anlass zur Sorge. Wir machen uns Sorgen um den negativen Effekt, der durch die aus Asien und dem Nahen Osten kommenden Ersparnisse für die Nachfrage auf dem Weltmarkt entsteht, aber mitten in Europa gibt es eine Ersparnisschwemme, die aus Deutschland kommt. Und sie ist im Verhältnis zur Größe der Ökonomie viel größer.

Und dann die einzigartige und nicht angegangene Bankenkrise. Die Deutschen rühmen sich ihres dreigliedrigen Bankensystems, aber die einzelnen Säulen sind unglaublich miteinander verbunden. Der IWF warnt davor, dass Deutschland möglicherweise 500 Milliarden abschreiben muss, was seine Banken aber noch nicht realisiert haben. Deutsche Banken halten Schrottpapiere über rund eine Billion Dollar. Deutschlands BIP wird in diesem Jahr um sechs Prozent fallen, noch bevor die Bankenkrise es getroffen hat.

Ja, das ist die finanzpolitische Sicht. Es ist wichtig, den Finanzstatus der Banken im Auge zu behalten. Man muss aber auch immer die Realwirtschaft betrachten. Es ist nur eine Hypothese, dass das Problem ein im Wesentlichen finanzielles ist. Ob diese Hypothese aber wahr ist, weiß keiner.


Paul Krugman, Jahrgang 1953, lehrt Volkswirtschaftslehre an der Princeton University und erhielt 2008 den Wirtschaftsnobelpreis. Über Fachkreise hinaus bekannt wurde er nicht zuletzt durch seine wöchentlichen Kolumnen in der New York Times

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Übersetzung der gekürzten Fassung: Holger Hutt
Geschrieben von

Will Hutton, The Observer | The Guardian

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