Diamanten, Dünnsein und Ditto

Modebranche Schmutzige Diamanten und Magermodels: Oder ist nun Dicksein der neue Trend? Die Modewelt ist jedenfalls verdorben, glaubt unsere Autorin

Die Modebranche, die ich mir gerne als eine Mischung aus Nancy Reagan und einem Faustschlag vorstelle, hat diese Woche mit zwei verschiedenen Vorfällen Schande über sich gebracht. Sie ist so tief in den Morast der Verdorbenheit gesunken, dass selbst ich, als erfahrene Wächterin über die Anorexia-Industrie, überrascht bin.

Zunächst war da die Geschichte mit den Kriegsverbrechen und den Diamanten, die nicht deshalb so faszinierend ist, weil Naomi Campbell tatsächlich versuchte, zu sprechen, sondern weil sie die kindische Verblüffung der Modewelt bloßstellt, sollte die Realität einmal in sie eindringen. Ich kann Campbell ihr pampiges Auftreten vor dem Internationalen Strafgerichtshof nicht übel nehmen, soweit ich weiß, glaubt sie, dass Genozid eine Gesichtscreme ist und der Internationale Strafgerichtshof ein Themen-Spa.

Zu klein für Größe 44?

Auch die auf Facebook markierte „Blood Diamond Party“, die Campbells Ex-Managerin Carole White geschmissen haben soll – egal, ob sie nun feierte, dass Campbell sich zum Affen macht oder einfach nur die Eröffnung eines neuen Model-Kerkers – ist mir egal. Aber was mir einfach nicht aus dem Kopf gehen will, ist Campbells Einstellung gegenüber den Steinen.

Campbell beschrieb die Diamanten, die sie geschenkt bekam, als „kleine, schmutzig-aussehende Steine“. Für ein Supermodel, das sich von Spiegeln nährt, waren die Diamanten keine funkelnden Granatsplitter eines Krieges. Sie waren ein Gebrauchsgut, und da sie nicht hübsch waren – oder weil das richtige Label fehlte – verschmähte sie die Steine. Als sie erkannte, dass sie jenseits ihres Aussehens eine Bedeutung hatten, war sie beinahe rührend perplex. Würde man Campbell einmal mit bulimischen Teenagern bekannt machen, dann wäre sie vermutlich ähnlich perplex.

Womit ich zur zweiten Geschichte komme – bei der es offensichtlich um Wiedergutmachung geht. Robert Duffy, Vorstand von Marc Jacobs, hat via Twitter verraten, dass er über Kleidung jenseits der Größe 44 nachdenkt – was im Moment die allergrößte Größe ist, die man tragen kann, wenn die Modewelt denken soll, dass man überhaupt Kleidung braucht. Jeder über Größe 44 ist tot.


Ich weiß nicht, weshalb Marc Jacobs nicht sein eigener Vorstand sein kann, aber was ich weiß, ist, dass ich angesichts seines Versprechens gerade laut und verächtlich geprustet habe. Kein „was-auch-immer-dich-so-lange-davon-abgehalten-hat“- Schwanengesang meinerseits und ich werde auch nicht auf dem Bürgersteig vor Marc Jacobs liegen, und darauf warten, dass sein Shop etwas in Größe 46 in meine offenen Arme ausspuckt. Ich glaube es erst, wenn Kate Moss explodiert und nichts als eine kleine Pfütze und ein paar Haare von ihr übrig bleibt.

Jedes Jahr lässt die Mode durchblicken, sie werde Buße tun und ab sofort ein gutes Mädchen sein, verantwortungsbewusst und nützlich, allein dem weiblichen Vergnügen verpflichtet. Und dann bekommen wir vielleicht ein Model mit Brüsten zu sehen oder die fettleibige Sängerin Beth Ditto setzt sich in die erste Reihe bei einer Modenschau, wo sie, wie immer, wie eine überraschte Kirsche aussieht, die in eine Schale mit ausgehungerten Ameisen geworfen wurde.

Vielleicht wird davon gesprochen, dass man einen Gang runter schalten wird, und davon, dass die Mode weniger extravagant und dafür ehrenwerter werden will. Manchmal kursieren Gerüchte, zu dünne Models würden für alle Zeiten von den Laufstegen verbannt, was lächerlich ist, da für die Mode – wie für jeden, der jemals bei einer Modenschau war – die Kategorie „zu dünn“ nicht existiert. Immerhin haben wir es mit der Branche zu tun, die nicht bemerkt hat, dass Karl Lagerfeld gestohlen und durch einen Spielzeug-Kobold ersetzt wurde.

Mode bleibt dumm

Die alljährliche Buße ist für gewöhnlich eine Reaktion auf ein PR-Fiasko, das zu grotesk ist, als dass man es ignorieren könnte. Das können zum Beispiel die stetig wachsenden Zahlen der Teenager sein, die unter Magersucht oder Fettleibigkeit leiden (die eine Psychose ist das Pendant der anderen, nicht etwa ihr Gegenteil) oder der Anblick eines Models, das so energiegeladen gehungert hat, dass es vom Laufsteg fällt und stirbt. Doch jede Form von Buße, und darunter fällt auch Robert Duffys Tweet, ist eine große, dicke Lüge. Die Mode wird sich nicht ändern. Sie kann es nicht. Ihre Dummheit ist essentiell für ihr Überleben und sie wird ewig währen – Duffys Plan wird im Keim erstickt werden.

Allen, die glauben, dass die Mode und eine mörderische Zwangsherrschaft nicht im selben Gerichtssaal verurteilt werden können, sage ich: Warum nicht? Beide sind in der Vernichtungs-Branche tätig. So bekommt man zwei zum Preis von einem.

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Übersetzung: Christine Käppeler
Geschrieben von

Tanya Gold | The Guardian

Der Freitag ist Syndication-Partner der britischen Tageszeitung The Guardian

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