Die Abschaffung des Plattenspielers

Ton und Text Der technologische Fortschritt hat dem Kult um das Medium Vinylplatte jegliches rationale Argument entzogen. Schade ist es um das Nebenher

Es war eine Meldung buchstäblich vom anderen Ende der Welt, die sich rasant schnell verbreitete: Keine „Technics“ mehr. Zu wenig Verkäufe, die Produktion würde im nächsten Februar eingestellt. Der Aufschrei ist heftig.

Früher war Technics mal eine recht renommierte Marke für HiFi-Geräte, wer allerdings heutzutage in einem akzeptablen Kulturkreis lebt und „Technics“ sagt, meint in der Regel das – nach dem Walkman – zweitberühmteste Monument der Unterhaltungselektronik, den Plattenspieler in silber oder anthrazit. 1978 kam das Gerät auf den Markt, 11 Kilo schwer, gefedert, mit brutal starkem Direktantrieb und Pitch-Regler. Seit Anbeginn dessen, was wir heute Clubkultur nennen, war er praktisch unverändert das Standardgerät in allen ernstzunehmenden Clubs dieser Welt.

Produziert werden die Geräte heute von der japanischen Firma Panasonic, die also ihren Händlern in Übersee den Produktionsstopp verkündete. Man möchte dieser Tage nicht in einer Vertriebs- oder Pressestelle des Konzerns arbeiten, wer will schon einer fassungslosen Fangemeinde beibringen, dass ihr Kultgegenstand Nummer eins nicht mehr genug Profit erwirtschaftet. Inzwischen schießen die Spekulationen ins Kraut, niemand weiß Genaues, vielleicht gibt es ihn nicht mehr lange, vielleicht doch noch ein paar Jahre. Eigentlich ist es egal.


Denn was Legionen von mehr oder weniger gelungenen Nachbauten oder weitaus billigeren Konkurrenzprodukten und hochgerüstete CD-Player über all die Jahre nicht geschafft haben, erledigen die Akteure jetzt selbst: die Abschaffung des Plattenspielers im Club. Das gängige Bild vom DJ, der hinterm Pult in seinen riesigen Plattentaschen nach den richtigen 12-Inches wühlt, um mit zwei Technics „den perfekten Disco-Mix“ (so steht es tatsächlich in der Produktbeschreibung auf der Panasonic-Homepage) abzuliefern, ist Folklore. Wer heutzutage wirklich professionell „auflegt“, hat zumeist nur noch einen Laptop dabei mit schier unbegrenzter Auswahl an Musik und einer Software für – wenn sie gut ist – zwei- oder dreihundert Euro auf der Festplatte. Einen Technics braucht er im Moment eigentlich nur noch, um mit einer Timecode-Platte die MP3s auf gewohnt altmodische Art anzusteuern. Was auch bald kaum noch jemand machen wird.

Erstaunlich ist eigentlich nur, dass die Clubszene so lange gebraucht hat, um ihr Standard-Musikproduktionsgerät Computer auch als Standard-Musikabspielgerät zu akzeptieren. Der technologische Fortschritt hat dem Kult um das Medium Vinylplatte jegliches rationale Argument (sogar das Hi-End-Scratchen) entzogen, zumindest im Club, wo sich niemand um großflächige Artworks oder – auch das wird ja immer mal wieder allen Ernstes angeführt – analoges Knistern schert.

Es braucht schlicht keine 11-Kilo-Trutzburg mehr. So, wie es auch andere Kulturikonen der Menschheit nicht mehr braucht, keinen Walkman, keinen VW-Käfer, keine Thompson-Maschinenpistolen. Aussterben wird der Technics aber genauso wenig wie die Vinylplatte. Dafür ist er schlicht zu robust, zu unzerstörbar, zu langlebig. Wer sich heute einen Technics kauft, hat noch gute 15 Jahre oder mehr Zeit für den Abschied. Bei vollem Betrieb. Nur eben zu Hause, bei Hobby-DJs und Liebhabern.

Schade ist es um das Nebenher: Slipmats zum Beispiel, die schwarzen Filzscheiben zwischen Plattenteller und Vinyl, erhältlich mit jedem erdenklichen relevanten Szene-Logo (selbstredend auch Technics) und die wohl absurd-charmanteste Form von Promotion, sichtbar nur für den DJ, wenn keine Platte auf dem Teller liegt und damit wohl der Gipfel an Distinktionsgewinn. Das soll mal ein Laptop nachmachen!

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Geschrieben von

Jörg Augsburg | The Guardian

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