Die afrikanischen Länder können sich nicht einfach an die Klimakrise „anpassen“

Cop27 in Sharm el-Sheikh Die ugandische Klimaaktivistin Vanessa Nakate erlebt tagtäglich die verheerenden Auswirkungen der Klimakrise auf ihre Heimat. Sie fordert: Die Verursacher müssen für den Schaden zahlen
Das Horn von Afrika wird seit Jahren von schweren Dürren heimgesucht. Auch dieser Fluss ist dabei ausgetrocknet
Das Horn von Afrika wird seit Jahren von schweren Dürren heimgesucht. Auch dieser Fluss ist dabei ausgetrocknet

Foto: Tony Karumba/AFP via Getty Images

Im September reiste ich von meinem Heimatland Uganda in den Bezirk Turkana in Kenia, der unter einer historischen Dürre leidet. Eines Morgens traf ich einen Jungen in einem Krankenhaus, in dem Ärzt:innen Patient:innen mit den schlimmsten Fällen von schwerer akuter Unterernährung behandeln. Seine Familie war nicht in der Lage gewesen, rechtzeitig die notwendige Behandlung zu erhalten. Als die Sonne am Abend unterging, war er bereits tot.

Der Junge war einer von 37 Millionen Menschen, die am Horn von Afrika vom Hungertod bedroht sind. Nach vier ausgefallenen Regenperioden besteht in Kenia die akute Gefahr einer weit verbreiteten Hungersnot. Dieses Leiden wird sich noch verschlimmern. Experten sagen voraus, dass die von der Dürre betroffenen Gebiete in Äthiopien, Kenia und Somalia für den Rest des Jahres deutlich weniger Niederschlag erhalten werden als normalerweise.

Der gesamte afrikanische Kontinent ist für weniger als vier Prozent der historischen globalen Emissionen verantwortlich, doch die Menschen in Afrika tragen die Hauptlast der Klimakrise. Unsere Gesellschaften, unsere Volkswirtschaften und vor allem unsere Menschen erleiden tiefgreifende Schäden. Die gleiche Ungerechtigkeit trifft auch andere einkommensschwache Teile der Welt: In Pakistan wurde Anfang des Jahres ein Drittel des gesamten Landes durch extreme Überschwemmungen überflutet, wobei mehr als 1.700 Menschen ums Leben kamen. Die Weltbank schätzt den wirtschaftlichen Gesamtschaden in Pakistan auf über 30 Milliarden Dollar; der Wiederaufbau wird weitere 16 Milliarden Dollar kosten.

Den Ländern fehlen die Ressourcen

Pakistan hat nur 0,3 Prozent der weltweiten Emissionen verursacht, muss aber wie Kenia und Somalia buchstäblich für die von anderen Ländern freigesetzten Treibhausgase bezahlen. Hinzu kommt, dass diese Länder nicht die Mittel haben, um für die Schäden, die ihnen zugefügt werden, aufzukommen. Als Deutschland im Jahr 2021 von schrecklichen Überschwemmungen heimgesucht wurde, konnte die Regierung sofort 30 Milliarden Euro mobilisieren, um den Wiederaufbau der von der Flut zerstörten Städte und Infrastrukturen zu bezahlen. Pakistan hingegen musste sich auf einen UN-Notruf verlassen, der nur zu 34 Prozent finanziert ist. Mosambik war gezwungen, ein IWF-Darlehen aufzunehmen, um den Wiederaufbau nach dem Zyklon Idai im Jahr 2019 zu finanzieren, was das Land weiter in die Schuldenfalle trieb.

Das Erbe der kolonialen Ausbeutung und Ausplünderung durch reiche Länder hat dazu geführt, dass Länder wie Pakistan, Kenia und Mosambik nicht genügend Ressourcen haben, um mit dem extremen Klimawandel fertig zu werden. Ohne das Geld, um sich von extremen Wetterereignissen zu erholen, gibt es für Länder wie das meine wenig Hoffnung, die nächsten Jahrzehnte zu überleben.

Auf der Cop27-Konferenz in dieser Woche bringen die Länder, die am meisten von den Auswirkungen der Klimakrise betroffen sind, eine Lösung auf den Tisch. Wir fordern diejenigen, die diese Krise größtenteils verursacht haben, dazu auf, für die von ihnen verursachten Schäden aufzukommen. In der UN-Sprache heißt das „Loss and Damage Finance“ (Finanzierung von Verlusten und Schäden). Das Thema hat bereits die Gespräche dominiert und die Unterhändler:innen bis spät in die Nacht beschäftigt.

Vanuatu, eine Pazifiknation, die zu den am stärksten vom Klimawandel bedrohten Ländern der Welt gehört, schlug eine solche finanzielle Unterstützung erstmals 1991 vor. Aber das Thema ist seit Jahren in technischen UN-Verhandlungen stecken geblieben. Dadurch konnten die reichen Länder jegliche Fortschritte bei der Bereitstellung von Geldern für die Menschen, die sie für den Wiederaufbau benötigen, verzögern. Jetzt wird die Frage nach Entschädigung für Verluste und Schäden endlich unausweichlich. Die Menschen auf der ganzen Welt beginnen zu verstehen, warum dies notwendig ist.

Wer trägt Schuld an dem Ungleichgewicht?

Manche mögen sagen, dass eine solche Finanzierung angesichts der Energie- und Lebenshaltungskostenkrise immer noch unwahrscheinlich ist. Aber wenn es um die Frage geht, wer die Schuld trägt, sticht ein Schuldiger hervor: die fossile Brennstoffindustrie. Ein neuer Bericht der Loss and Damage Collaboration hat ergeben, dass in der ersten Hälfte des Jahres 2022 nur sechs Unternehmen, die mit fossilen Brennstoffen arbeiten, genug Geld verdient haben, um die Gesamtkosten extremer Wetter- und Klimaereignisse in Entwicklungsländern auf der ganzen Welt zu decken – und dabei immer noch fast 70 Milliarden Dollar (69 Milliarden Euro) an reinem Gewinn übrig haben. Sogar der UN-Generalsekretär hat Steuern auf fossile Energieriesen gefordert, um Zahlungen für Verluste und Schäden zu finanzieren.

Andere argumentieren, dass wir nicht kontrollieren können, wie das Geld tatsächlich verwendet wird – dass die Regierungen, die es erhalten, es vielleicht nicht an die Bedürftigen weitergeben und es stattdessen für ihre eigenen Projekte ausgeben. Aber wir wissen, was funktioniert. Ein letzte Woche veröffentlichter Bericht des Stockholmer Umweltinstituts kommt zu dem Ergebnis, dass das Geld am effektivsten zu den Menschen gelangt, die es brauchen, wenn es ihnen direkt zur Verfügung gestellt wird. Solche direkten Transfers könnten in Form von kleinen und leicht zugänglichen Zuschüssen an Gemeinden in dringendem Bedarf erfolgen.

Das Einzige, was noch fehlt, ist der politische Wille, dies zu erreichen. Aber da sich die Klimakatastrophen häufen, wird es immer schwieriger, Verluste und Schäden zu ignorieren. Man hat Cop27 als den „afrikanischen Cop“ bezeichnet. Sie kann diesem Namen nur gerecht werden, wenn die Staats- und Regierungschefs der Welt bereit sind, sich tatsächlich mit den Bedürfnissen der Menschen zu befassen, die unter einer Krise leiden, an deren Entstehung sie kaum beteiligt waren. Den Staats- und Regierungschefs, die diese Woche in Sharm el-Sheikh zusammenkommen, sage ich: Sie können sich nicht an den Hunger anpassen. Hören Sie auf, Zeit zu verschwenden. Fangen Sie an, die Mittel an diejenigen zu verteilen, die sie am dringendsten benötigen.

Vanessa Nakate ist Klimaaktivistin, Unicef-Botschafterin und Autorin von A Bigger Picture.

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Übersetzung: Alina Saha
Geschrieben von

Vanessa Nakate | The Guardian

Der Freitag ist Syndication-Partner der britischen Tageszeitung The Guardian

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