Konkurrenz Konzerne aus Silicon Valley beherrschen die digitale Ökonomie. Den Europäern reicht es jetzt. Sie wollen endlich die Vormacht der USA zurückdrängen
Tech-Paradies Silicon Valley: Nicht nur Google ist hier zuhause
Bild: Justin Sullivan/Getty Images
Das alte Europa bereitet sich auf einen neuen Krieg vor. Doch dieses Mal geht es nicht um Religion oder Politik, um Land, Bodenschätze oder andere Rohstoffe. Die Ressource, die es nun zu schützen gilt, ist viel abstrakter: Es geht um die digitale Welt. Und um die Frage, wer diese Welt beherrscht. Die Mobilmachung läuft bereits – im Pariser Élysée-Palast, im Bundestag, im Europäischen Parlament. Und das Feindbild steht: Gekämpft wird gegen die Konzerne aus dem Silicon Valley, gegen Google, Amazon, Facebook und Apple, die in Europa, in unserer digitalen Welt die Vorherrschaft anstreben.
Denn anders als in der industriellen Revolution, deren Treibstoffe Kohle, Gas und Öl waren, sind nun, im digitalen Zeitalter, unsere Daten die wertvollsten aller R
en aller Ressourcen. Die Fähigkeit, Daten zu sammeln und auszuwerten, hat Unternehmen entstehen lassen, deren Macht bisweilen größer scheint als die von Nationalstaaten. Und so bezieht das politische Europa Stellung. Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel etwa fand unlängst in einem Gastartikel für die Frankfurter Allgemeine Zeitung ja ebenso große wie deutliche Worte. Da war vom „Zurückerobern“ der Verfügungsmacht über das Digitale die Rede, von der „Würde des Menschen“, vom „digitalen Totalitarismus“ und vom „ungezähmten Datenkapitalismus“, den es „zu bändigen und zu zähmen“ gelte. Dann zitierte Gabriel seinen SPD-Parteikollegen Martin Schulz als Präsident des Europäischen Parlaments mit dessen Kampfaufruf: „Entweder wir verteidigen unsere Freiheit und ändern unsere Politik, oder wir werden zu digital hypnotisierten Mündeln der Datenherrschaft.“ Es gehe, so Gabriel, „um nichts weniger als die Zukunft der Demokratie im Zeitalter der Digitalisierung und damit um Freiheit, Emanzipation, Teilhabe und Selbstbestimmung von 500 Millionen Menschen in Europa“.Der französische Wirtschaftsminister Arnaud Montebourg warnte, Europa riskiere, zu einer „digitalen Kolonie der globalen Internetgiganten“ zu werden. Die französischen Minister haben Google aufgefordert, einen Teil der Kosten für den Ausbau der Breitbandinfrastruktur des Landes zu übernehmen. Gabriel sagt, das deutsche Kartellamt prüfe derzeit, ob Google seine marktbeherrschende Stellung missbrauche und „kartellrechtsähnlich“ reguliert werden solle – in Deutschland hat der Konzern bei den Internetsuchen einen Marktanteil von 91,2 Prozent.Als letzte Option hält Gabriel deshalb sogar eine „Entflechtung“ des Konzerns für denkbar, bei der die Suchmaschine von anderen Diensten wie Youtube oder Gmail losgelöst würde. Doch zunächst setzt Gabriel auf Regularien, die es Wettbewerbern ermöglichen sollen, die Google-Plattform fair zu nutzen.Nur Druck hilft weiterDoch nicht nur gegen Google, auch gegen den Onlinehändler Amazon gibt es bereits erste konkrete Vorstöße: Auf Druck des Bundeskartellamts gewährt der Onlinehändler unabhängigen Verkäufern nun auf seiner deutschen Webseite die Möglichkeit, ihre Waren andernorts – auch auf ihren eigenen Webseiten – günstiger anzubieten. Eine Option, die der Internetriese seinen „Partnern“ bisher versagt hatte.Inzwischen sind auch die europäischen Aufsichtsbehörden aktiv geworden. Im Mai gab der Europäische Gerichtshof einer Klage des Spaniers Mario Costeja González statt. Er wollte erwirken, dass in Europa durchgeführte Google-Suchen keine Treffer mehr listen, die seinen Namen in Zusammenhang mit einem 15 Jahre alten Vorfall brachten. Die Richter entschieden, dass Privatpersonen das Recht haben, die Tilgung von nicht mehr aktuellen oder relevanten, auf ihre Person bezogenen Informationen aus den Suchergebnislisten zu verlangen. Ende Juni hat Google begonnen, die Entscheidung umzusetzen, und arbeitet die vorliegenden Löschungsanträge ab. Allerdings wird die EuGH-Entscheidung auch dahingehend diskutiert, inwieweit sie die Pressefreiheit bedroht. Einen Wendepunkt markiert sie jedoch insofern, als sie den ersten großen regulatorischen Schlag Europas gegen die Such- und Softwarekolosse darstellt.Am 11. Juni warnte EU-Wettbewerbskommissar Joaquín Almunia seine Kollegen in einem Schreiben, die Untersuchung Unregelmäßigkeiten in der Platzierung von Google-Suchergebnissen könnte möglicherweise wieder aufgenommen werden, nachdem neue Beschwerden eingegangen seien. Zugleich kündigte er ein potenziell weitreichendes Prüfungsverfahren wegen möglicher Steuervermeidung an, das sich zunächst auf drei Firmen konzentrieren würde: erstens Apple und dessen internationalen Hauptsitz in Irland, zweitens Starbucks und dessen Europazentrale in den Niederlanden. Und drittens den Autohersteller Fiat. Aus Brüssel durchgesickerte Informationen lassen inzwischen darauf schließen, dass auch Amazon, das über einen europäischen Hauptsitz in Luxemburg operiert, ins Visier der Ermittler geraten ist. „Im gegenwärtigen Klima knapper öffentlicher Budgets ist es besonders wichtig, dass große multinationale Konzerne ihren gerechten Anteil an Steuern zahlen“, sagte Almunia. Und man kann sein Eingreifen kaum anders als politisch motiviert verstehen.„Don’t be evil“ – so lautet Googles Motto: Tue nichts Böses. Dennoch scheint das Unternehmen aus Brüsseler Sicht die Rolle des Bösewichts übernommen zu haben, nachdem zuvor Microsoft jahrelang wegen monopolistischer Praktiken in Auseinandersetzungen mit den Aufsichtsbehörden verwickelt war. Und obwohl der Vergleich mit Microsoft nicht ganz fair ist, weil Google eine weitaus weniger konfrontative Haltung als Bill Gates’ Elektronikkonzern einnimmt, ist Ian Maude, Spezialist für Neue Medien beim Marktbeobachter Enders Analysis, dennoch überzeugt: „Den Regulierungsbehörden gilt Google als das neue Microsoft, der neue große, böse Wolf.“ Historisch gesehen seien die Medienmärkte national geprägt. Maude ist der Ansicht, dass Google nicht zuletzt deshalb von vielen als Bedrohung für die europäische Wirtschaft empfunden werde: „Google überschreitet Grenzen und ist allen anderen Onlineakteuren um Längen überlegen. Der Konzern ist zu einem solchen Giganten herangewachsen, dass die Aufsichtsbehörden – allen voran die europäischen – ihn verstärkt unter die Lupe nehmen werden. Deshalb besteht für Google die derzeit größte Herausforderung wohl eher in der Regulierung als im Wettbewerb.“Google hat ein freundliches Gesicht, die schleichende Macht des Konzerns allerdings lässt mancherorts die Alarmglocken läuten. Mit einem Marktanteil von weltweit rund 70 Prozent betreibt das Unternehmen die mit Abstand größte Suchmaschine. Microsofts Bing oder die chinesische Seite Baidu sind in den Rankings weit abgeschlagen. Der Google-Browser Chrome gehört neben Firefox und dem Microsoft-Explorer zu den beliebtesten Webbrowsern, Gmail ist der weltgrößte E-Mail-Service, und Googles Android-Software läuft auf mehr Smartphones als jedes andere Betriebssystem.Nun hält Google auch in private Wohnräume Einzug – bei den jüngsten Anschaffungen des Konzerns handelt es sich um den Heimkamerahersteller Dropcam und die Firma Nest, die cloudgestützte Thermostate und Rauchmelder produziert. Google will unsere selbstfahrenden Autos lenken und ist darüber hinaus am Ausbau eines Satellitennetzwerks beteiligt, das die Internetanbindung in unterversorgten Regionen verbessern soll.Springer-Vorstand Mathias Döpfner hat für den Konzern eine außergewöhnliche Metapher gefunden und Google mit dem Riesen Fafner in Wagners Ring des Nibelungen verglichen, der sich aus Gier in einen Drachen verwandelt und fortan den Nibelungenhort bewacht.Geschäftsprinzip der MafiaWie Fafner sitze Google „auf dem gesamten gegenwärtigen Datenschatz der Menschheit“, schrieb Döpfner im April in einem offenen Brief an Google-Chef Eric Schmidt – und kritisierte darin auch Almunias Einigung mit Google bezüglich der Darstellung von Suchergebnissen. Google war vorgeworfen worden, Firmen, deren Angebote seinen eigenen ähneln, bei der Darstellung der Suchergebnisse zu benachteiligen, auch wenn deren Dienste mehr Traffic generieren als die Google-eigenen. Almunia hatte sich daraufhin mit Google geeinigt, dass Unternehmen, die in der Liste der Suchergebnisse zu weit unten erscheinen, um Internetverkehr auf sich zu ziehen, gegen Bezahlung in einem oben auf der Seite positionierten Fenster präsentiert werden können. Döpfner sagte hierzu kürzlich dem britischen Sender Radio 4: „Ich würde es Schutzgeld nennen. Das ist im Grunde das Geschäftsprinzip der Mafia.“Tatsache ist: Werbetools wie Google Adwords und Google Adsense, mit denen Unternehmen Werbung auf eigenen und Fremdseiten schalten können, haben mit dazu beigetragen, dass die Anzeigenerlöse europäischer Zeitungen, Magazine und Radiosender eingebrochen sind. Buchläden und Elektronikfachgeschäfte wiederum verschwinden aus den Einkaufsstraßen, weil die Käufer, sei es aus Bequemlichkeit oder wegen der geringeren Preise, scharenweise zu Amazon abwandern – oder lieber in einem Apple-Outletladen vorbeischauen. Die europäischen Mobilfunkanbieter, die einst als globale Technikpioniere galten, haben Unsummen an Zuschüssen für Geräte von Apple oder den südkoreanischen Konzern Samsung gezahlt.Was bleibt, ist der Eindruck einer Ungerechtigkeit, der durch die Enthüllungen über die Steuerpraktiken der Großkonzerne noch verstärkt wird. So haben Amazon, Google und Apple Wege gefunden, bestimmte Gewinne grenzüberschreitend so zwischen verschiedenen Unternehmensteilen zu verschieben, dass diese nur sehr gering oder gar nicht besteuert werden. Eine Praxis, der die Europäische Union nun einen Riegel vorschieben will. So einigten sich die EU-Staaten noch im Juni darauf, einige Schlupflöcher in der Unternehmensbesteuerung zu schließen. Ob und wie das gelingen kann, ist offen.Beflügelt durch Edward Snowdens Enthüllungen zur Onlineüberwachung durch den US-amerikanischen Geheimdienst NSA, nehmen auch die Bedenken wegen der Datensammelwut der Internetunternehmen zu. So warnte Sigmar Gabriel etwa, dass wir jedes Mal, wenn wir persönliche Daten gegen Zugang zu kostenloser Musik, Gratis-E-Mail-Diensten, billigen Smartphones oder eine Seite bei sozialen Medien eintauschten, nicht nur die nationale Sicherheit gefährden, sondern auch unsere persönliche und ökonomische Freiheit verkaufen. Schließlich könnten die Informationen über uns nicht nur für gezielte, personalisierte Werbung verkauft werden, sondern „grundsätzlich auch unserer Bank, unserer Krankenkasse, unserer Kfz- oder Lebensversicherung oder bei Bedarf einem Geheimdienst zur Verfügung stehen“.Als Bundeskanzlerin Angela Merkel bei der Wahl des EU-Kommissionspräsidenten dem britischen Premier David Cameron bei seinem Vorstoß zur Findung eines Alternativkandidaten zum ehemaligen luxemburgischen Premierminister Jean-Claude Juncker ihre Unterstützung entzog, wurde hinter vorgehaltener Hand vermutet, dass Google-Gegner Döpfner dahinterstecke. Der Springer-Chef soll Merkel überzeugt haben, sich für Juncker einzusetzen – in der Annahme, dieser werde den Kampf gegen das Internetunternehmen unterstützen.Öffentlich hat Juncker sich nicht am Google-Bashing beteiligt. Aber er hat die Schaffung einer starken digitalen Wirtschaft zur obersten Priorität seiner Präsidentschaft erklärt. „Europas Weg zu Wachstum ist gepflastert mit Tablets und Smartphones“, heißt es in seinem Wahlprogramm. Juncker nutzt den Traum, in Europa den nächsten Technikgiganten entstehen zu lassen, als Schlachtruf für größere Integration, insbesondere die Einrichtung eines gemeinsamen Marktes für digitale und Kommunikationsunternehmen.Die von Junckers Mannschaft entworfene Industriepolitik sieht eine Harmonisierung der nationalen Gesetze zum Urheberrecht, Datenschutz, zur Telekommunikationsregulierung und der Versteigerung der elektromagnetischen Frequenzen für die Mobilfunknetze durch Brüssel vor. Die Mobilfunkanbieter gelten – vielleicht unrealistischerweise – als zentral im Kampf gegen den amerikanischen Informationskapitalismus. Mit Unternehmen wie dem britischen Vodafone-Konzern, der Deutschen Telekom und der spanischen Telefónica ist es in Europa gelungen, multinationale Konzerne aufzubauen, die weit größer sind als die amerikanischen, rein inländisch operierenden Anbieter.Dieser Wettbewerbsvorteil ist inzwischen jedoch verloren. Bei der Versteigerung von UMTS-Lizenzen im Jahr 2000 zahlten die Mobilfunkanbieter enorme Summen an die nationalen europäischen Regierungen. Großbritannien erhielt auf diese Weise 22 Milliarden Pfund, Deutschland umgerechnet rund 50 Milliarden Euro. Danach jedoch blieb den Unternehmen kein Geld mehr für den Ausbau der 3G-Netzwerke. Bei den Auktionen für die 4G-Frequenzen im vergangenen Jahr, die noch schnellere Internetgeschwindigkeiten ermöglichen, kam es zu Unstimmigkeiten bezüglich des Zeitpunkts der Auktionen, die nicht in ganz Europa zeitgleich stattfanden, was unter anderem den USA und anderen Ländern einen Vorteil verschaffte.Ein riesiger Markt locktAngesichts der 310 Millionen Einwohner der Vereinigten Staaten erreichen US-amerikanische Unternehmen naturgemäß schon eine beträchtliche Größe, bevor sie sich überhaupt dem Ausland zuwenden. Gleiches gilt für China, wo die E-Commerce-Gruppen Alibaba und Baidu den Markt beherrschen. Juncker hofft nun, dass auch europäische Firmen wie beispielsweise der Billigflugfinder Skyscanner oder der Musikstreamingdienst Spotify auf ähnliche Weise wachsen könnten, wenn man die 500 Millionen Einwohner Europas in einen gemeinsamen Markt einbände.Die deutsche Politik ist hingegen noch weitgehend unentschlossen, wie sie mit der Marktmacht der US-amerikanischen Internetgiganten umgehen soll. Zwar gibt es bereits Versuche, die heimische Start-up-Szene zu stärken und so langfristig den Riesen aus Übersee Konkurrenz zu machen, kurzfristig setzt die Regierung jedoch weiterhin auf harte Bandagen – und zwar nicht nur Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel. „Wir haben in der Finanzkrise wieder gelernt, dass es den Primat der Politik gibt. Das gilt ebenso für die Welt des Internets“, sagte Innenminister Thomas de Maizière (CDU) kürzlich in einem Interview. Die Marktmacht des US-Konzerns mache ihm Sorge wie jede übergroße Marktmacht. Der Primat der Politik sei dort zumindest teilweise in Gefahr. Der Präsident des Bundeskartellamts, Andreas Mundt, mahnte zudem bereits an, dass die derzeit geltenden Gesetze für eine weitere Regulierung nicht ausreichen könnten.In der Großen Koalition sehen das einige Politiker zumindest skeptisch: „Was mir an dieser Diskussion nicht gefällt, ist der kulturpessimistische Zungenschlag“, meint etwa Thomas Jarzombek. Er ist IT-Berater und Obmann der Union im Bundestagsausschuss Digitale Agenda. Mit dem Kartellrecht hätte man das richtige Instrument gegen einen Konzern wie Google, wo das Unternehmen eigene Angebote bevorzuge, so Jarzombek. Dass die EU-Kommission dies könne, habe sie schon im Fall Microsoft bewiesen. „Ich bin allerdings dagegen, dass wir eine protektionistische Haltung gegenüber diesen Unternehmen einnehmen, weil uns hier die eigene Innovationskraft fehlt“, so der CDU-Mann.
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