Soap Die mutmaßlichen russischen Agenten in den USA scheinen eine Vorliebe für altbackene Spiele wie Parkbank-Verabredungen und Morse-Botschaften zu besitzen
Kennen Sie die unglaubliche Geschichte des Hiroo Onoda? Leutnant Onoda war Nachrichtenoffizier der japanischen Armee und Ende 1944 auf einer philippinischen Insel eingesetzt. Sein Auftrag: gegen mögliche Angriffe der Alliierten Widerstand leisten und diese vereiteln. Kapitulation oder Selbstmord seien keine Option. Und so machte er sich mit einer Einheit von drei anderen Soldaten daran, seinen Dienst zu versehen: Sie zerstörten jedes Areal, das irgendwie als Landebahn hätte taugen können, sie hielten Wache, was man eben so macht, in einer solchen Situation.
Im Oktober 1945 stieß Onodas Einheit – so steht es in seinen faszinierenden Memoiren – auf einen Flyer. „Der Krieg wurde am 15. August beendet“, stand darauf. „Kommt zurück aus
52;ck aus den Wäldern“. Sie stuften ihn als Propaganda ein und machten weiter wie zuvor, bis ein paar Monate später ein Flugzeug weitere Flugblätter abwarf, dieses Mal mit dem Befehl zu kapitulieren. Da dies gegen ihre ursprüngliche Anordnung verstieß, wurde auch das ignoriert. Sie machten stur weiter, bis etwa vier Jahre später der erste aus ihren Reihen genug hatte und von dannen wanderte, um sich zu ergeben. Verständlicherweise fürchteten die verbliebenen Offiziere, Fahnenflucht könnte ihre Mission gefährden, und so verdopppelten sie ihre Abwehranstrengungen. Es genügt wohl, wenn ich sage, dass die beiden, Onoda verbliebenen Kampfgefährten im Verlauf der nächsten 20 Jahre starben. Er selbst konnte erst 1974 entdeckt und davon überzeugt werden, dass der Zweite Weltkrieg vorbei war.Nicht der richtige Ort Ich musste an diese seltsame Geschichte denken, als bekannt wurde, dass die USA einen russischen Agenten-Ring aufgestöbert hatten, der offenbar unter der Illusion litt, der Kalte Krieg sei noch in vollem Gang. Hier war eine Gruppe von Menschen, die im Zeitalter des Ein-Mann-Jihads und der Märtyrervideos das herrlich altbackene Spiel aus Parkbank-Verabredung und Morsecode-Botschaft einfach weiterspielten.Kaum, dass die Geschichte Schlagzeilen machte, da rief sie die nostalgischsten Schauer hervor. Wie weit nach oben reichten ihre Verbindungen? Wen hatten sie herumgekriegt? Standen Anklagen gegen Beamte des Außenministeriums bevor? Enttäuschenderweise nein. Ohne die wichtige Arbeit der Eltern-Lehrer-Verbände in Boston abwerten zu wollen, erscheint es doch fair zu sagen, dass diese Affäre nicht bis in die höchsten Kreise reicht. Abgesehen von dem einen Typen, der sich in Washington niederließ und den man auf seiner Facebook-Seite unbeholfen vor dem Weißen Haus grinsen sieht, scheint der Rest der Angeklagten die Vororte der Ostküste infiltriert zu haben. Doch kommt man nicht umhin zu denken, dass Wisteria Lane nicht unbedingt der richtige Ort ist, wenn man auf der Suche nach Staatsgeheimnissen ist.Bislang erscheinen die Spione so mickrig, dass sie noch nicht einmal der Spionage angeklagt werden können. Vielleicht haben wir es mit einem Szenario wie aus der Truman Show zu tun – eine gigantische List, die extra ersonnen wurde, um die Täter glauben zu machen, sie seien Geheimagenten, obwohl sie Teil eines Vergnügungsparks waren, dessen Unterhaltungswert erst jetzt langsam klar wird.Ein Haufen Rüpel Zweifellos hat diese Geschichte für uns Zuschauer etwas sehr Tröstliches. Im Nachhinein hatte in der Tat ja sogar der Kalte Krieg etwas Beruhigendes. Man wusste, wo man stand. Das ist vermutlich auch der Grund, weshalb so viele Leute davon bis heute nicht loslassen können – das gilt selbst für mächtige Akteure wie Condoleezza Rice, Spezialistin für russische Bedrohung, der man ihre Behauptung, sie sei vor 9/11 über die Bedrohung durch Al-Qaida auf dem Laufen gewesen, nie ganz abgenommen hat.Mag sein, dass Osama bin Laden der Shooting-Star der Moderne ist, aber in den Tagen des Kalten Krieges hätte er weder bei uns noch bei den Russkies einen Fuß auf den Boden bekommen, weil er einfach nicht der richtige Typ gewesen wäre. In der aktuellen BBC-Doku-Serie The Great Offices of State gibt es eine wunderbare Szene, in der ein ehemaliger hoher Beamter des Außenministeriums trocken darüber spricht, dass Beamte des Außenministeriums gern in die „Privatschüler-Falle“ tappen:„Geheimdienstfehler werden oft nicht deshalb gemacht, weil man nicht vorausgesehen hat, was kommt“, lächelt er, „sondern weil man die gegnerischen Absichten falsch interpretiert. Man beurteilt ihre Absichten, als wären auch sie auf das Elite-Internat Winchester gegangen, aber das sind sie nun einmal nicht. Sie sind ein Haufen Rüpel. Ihre Absichten sind nicht unsere Art von Absichten. Und es kann durchaus sein, dass sie nicht bluffen, sondern sie haben vielleicht etwas katastrophal Gefährliches vor.“Das Schöne an diesen mutmaßlichen russischen Spionen ist, dass sie sich genau so verhalten, wie es sich für anständige feindliche Agenten gehört. Sie tun das, was wir von den Russen erwarten. Sie tauschen im Park Zeitungen aus, in denen Geldscheine versteckt sind. Sie benutzen durchsichtige Tinte. Sie erschaffen ausgeklügelte falsche Identitäten. Sie gehören nicht zu diesen unverständlichen, bärtigen Verrückten, die sich am Hindukusch verstecken und nichts anderes wollen, als unsere Lebensweise komplett auszulöschen – nein, sie wollen vermutlich einfach nur wissen, wie sie irgendein Computerüberwachungssystem im Kreml updaten können. Also sollten wir angesichts der Tatsache, dass wir mit der anderen Sorte Gegner einfach nicht arbeiten können, dieses trügerisch ermunternde Zwischenspiel einfach genießen.Übersetzung: Christine Käppeler
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