Die Bauern kommen

Im bergigen Hinterland von Kreta liegt das Dorf Vamos, das von nachhaltigem Tourismus lebt. Die Bewohner wollen nun noch mehr junge Urlauber für das Landleben begeistern

Sie sind wirklich weiß, zumindest bis in den späten Frühling hinein: Kretas weiße Kalkberge - Lefka Ori - erheben sich bis zu 2.453 Meter über den Meeresspiegel und sind von Mitte Dezember bis Anfang Mai schneebedeckt. Ich sitze in dem Bus, der morgens um sieben von Chania nach Vamos fährt und als die Sonne herauskommt, bin ich wie versteinert vom Anblick der glitzernden weißen Alpenlandschaft, die sich hoch über üppige mediterrane Olivenhaine erhebt. Dies ist die andere Seite Kretas. Eine Welt entfernt von den Badeorten im Norden ist das bergige Hinterland vollständig von verschlafenen ländlichen Dörfern und gewaltigen, nach Pinien duftenden Schluchten geprägt.

Als ich in Vamos ankomme, treffe ich mich mit Giorgos, einem der Mitbegründer der Vamos-Kooperative, die 1995 ihren Anfang nahm, als fünf Paare aus dem Ort sich zusammentaten, um drei steinerne Landhäuser zu Ferienhäusern auszubauen. Weil sie sich wegen des schrittweisen Bevölkerungsschwundes und der wirtschaftlichen Stagnation der Gegend Sorgen machten, fassten sie den Plan, mithilfe von nachhaltigem Tourismus Gästen das Landesinnere näher zu bringen und das Dorf mit neuem Leben zu erfüllen.

Umbau zu einem nachhaltigen Feriendorf

Sie ließen die steinernen Fassaden intakt, modernisierten das Innere der Häuser mit Zentralheizung und Klimaanlage und versahen sie mit traditionellen Holzmöbeln. Mittlerweise verwaltet die Kooperative 35 Ferienwohnungen, von denen sich einige auch in den umliegenden Dörfern befinden. Auch wenn manche der Häuser etwas luxuriöser geraten sind, Platz für bis zu acht Leute bieten und über umzäunte Gärten mit eigenen Swimming-Pools verfügen, so sind sie doch alle mit vor Ort vorfindlichen Materialien in traditioneller landestypischer Bauweise errichtet.

Ich wohne in einem von zwei Gebäuden des 1860 aus Sandsteinen errichteten Aggelamos-Hauses. Drinnen ist es warm und gemütlich, an der Decke befinden sich Holzbalken, die Wände sind weiß gekalkt, die Fenster aus Holz. Das Kaminfeuer ist schon vorbereitet und über der kompakten Küchenzeile führt eine Holztreppe zu einem wundervoll gelb und blau gefließten Badezimmer und einem kleinen Balkon, von dem aus man auf das Dorf hinab blicken kann. Oben wie unten gibt es Fernseher, wobei das offene Feuer unendlich unterhaltsamer ist.

Später erzählt mir Giorgos in einem Café namens To Liakoto, wie es der Kooperative gelungen ist, das Landleben wieder aufleben zu lassen und mitzuhelfen, dass neben den Vermietungen noch andere Gewerbe entstehen. Die Taverna Bloumosifis bietet landestypische Spezialitäten an, die mit frischen lokalen Zutaten zubereitet werden: arni me anginares (Lamm mit Artischocken), oder kouneli stifado (Hasenragout), im Mirovolon Delikatessengeschäft gibt es organisches Olivenöl, Wein, Raki, Honig, Marmelade, getrocknete Kräuter, verschiedene Käsesorten, Nudeln und Seifen auf Olivenöl-Basis – all dies wird in Vamos selbst hergestellt. Im Künstlercafé gibt es ein tägliches Frühstücksbuffet und kulturelle Veranstaltungen wie Ausstellungen, Konzerte und Filmvorführungen. Draußen erlaubt eine kleine Terrasse eine großartige Aussicht auf die schneebedeckten Berge.

Gäste können bei Olivenernte und Weinkelte mithelfen

Das Frühjahr ist die beste Zeit, um auf Kreta wandern zu gehen. Die Tage sind mild und die Auen mit wilden Blumen bedeckt. Vom Dorf aus mache ich mich entlang eines ausgezeichneten Pfades auf den Weg durch Wälder und Olivenhaine, vorbei an byzantinischen Kapellen aus dem 12. Jahrhundert.Frühling bedeutet immer auch Ostern – das wichtigste Fest im griechisch-orthodoxen Kirchenjahr: Mitternächtliche, vom Schein der Kerzen erleuchtete Prozessionen in der Osternacht und ganze Lämmer, die auf Spießen für Ostersonntag gebraten werden. Ende April haben in Vamos Kochkurse begonnen. Sie werden in Gruppen von sechs bis zwölf Teilnehmern abgehalten und enden mit einem Open-Air-Dinner an einem großen Holztisch.

Wenn Sie im Sommer nach Vamos kommen: Das Meer mit seinen Sandstränden und Wassersportangeboten in Kalives und Georgioupoli liegt keine vier Meilen entfernt. Im Herbst stehen landwirtschaftliche Aktivitäten an: Obsternte und Weinkelter von August bis September, im Oktober wird der Raki gemacht. Als letztes sind von November bis Ende Dezember die Oliven dran. Bei all dem sind die Gäste herzlich eingeladen mitzuhelfen. Im Winter ist Vamos das Domizil griechischer Wochenendurlauber, vor allem aus Kretas Hauptstadt Heraklion.

Ich brauche eine Weile, um den Rest des Dorfes zu erkunden. Es gibt eine Schule, einen Lebensmittelladen, eine Bäckerei, eine Post und sogar eine Bank. Auf dem Hauptplatz erinnern pastellfarbene Gebäude daran, dass Kreta sich jahrhundertelang unter venezianischer Herrschaft befand. Jasmin und Topf-Geranien treiben ihre Blüten, Katzen dösen in der Nachmittagssonne.
Abends bereitet Nikos, ein ehemaliger Photograph, der jetzt das Café betreibt, Pasta mit Miesmuscheln. Wir trinken den örtlichen Wein und reden über die Zukunft von Vamos. Giorgos würde gerne in Laufnähe des Dorfes Bio-Gemüse und –Obst anbauen und verkaufen. Er hätte auch gerne, dass mehr junge Leute nach Vamos kommen und denkt daran, zu diesem Zweck eine Art Hostel mit günstigeren Übernachtungsmöglichkeiten zu eröffnen.

Was auch immer passieren mag, in Vamos wird es immer etwas besonderes sein. Denn anders als die Badeorte im Norden gewährt es dem Urlauber Einblicke in ein anderes Kreta, wo Landleben und Tourismus friedlich koexistieren.

Kontakt: 00 30 282 502 3251

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Übersetzung: Holger Hutt
Geschrieben von

Jane Foster, The Observer | The Guardian

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