Die Beschaffenheit des Grases

Kino Die alte Schwarz-Weiß-Optik wird derzeit in relativ vielen neuen Filmen eingesetzt – von "Oh Boy" mit Tom Schilling bis "Frances Ha“, von "The Artist" bis "Tabu". Warum?
Ausgabe 31/2013
Die Beschaffenheit des Grases

Foto: Pine District

Warum Schwarz-Weiß? Es gibt Filme, für die erübrigt sich die Frage: Der Stummfilm The Artist ist schwarz-weiß, weil es ein Stummfilm ist. Aber es gibt einen kleinen Trend. Natürlich, es gibt weit mehr Farb- als Schwarz-Weiß-Filme. Von einem Comeback auf breiter Front zu sprechen, wäre falsch; der Reiz des Schwarz-Weißen beruht auch darauf, dass die Optik nicht inflationär auftritt. Aber dem Branchenmagazin Variety zufolge gab es in den vergangenen zwei Jahren mehr Schwarz-Weiß-Filme als je zuvor seit der Erfindung des Farbfilms. Frances Ha (siehe obige Kritik) ist ein Beispiel. Der britische Horrorfilm A Field in England von Ben Wheatley. Tabu von Miguel Gomes. Tim Burtons Frankenstein-Parodie Frankenweenie. Der deutsche Film Oh Boy. Alexander Paynes Nebraska. Aber warum?

Ben Wheatley machte für A Field in England viele Probeaufnahmen. Bei den Farbaufnahmen, sagt Ben Wheatley habe sich „alles um die Farbe der Dinge gedreht, die eine Figur anhatte, das Gras und den Himmel. Das lenkte ab. Bei den Schwarz-Weiß-Aufnahmen hingegen ging es nur um das Gesicht der Figur, ihr Haar, die Schnürsenkel und die Beschaffenheit des Grases“. Auch Joss Whedon, der den 3D-Superhelden-Kassenerfolg Marvel‘s The Avengers gedreht hat, erlag dem Reiz und drehte direkt danach eine Low-Budget-Version von Viel Lärm um Nichts, in nur zwölf Tagen, mit Fernsehschauspielern bei sich zu Hause in Santa Monica. In Schwarz-Weiß.

Ein Film, der diese Optik hat, hat sie nicht zwangsläufig aus kommerziellen Erwägungen. Schwarz-Weiß-Filme gelten noch immer als riskant – trotz des Erfolgs etwa von The Artist. Als der mit einem Oscar ausgezeichnete Autor und Regisseur Alexander Payne seine Absichten für Nebraska erklärte, versuchte das Studio, ihn umzustimmen. Er setzte sich durch, musste aber mit einem kleineren Budget auskommen.

Was reizt zeitgenössische Filmemacher trotzdem an Schwarz-Weiß? Payne erklärt: „Die Form ist nicht aus künstlerischen, sondern aus rein kommerziellen Gründen aus unserem Kino verschwunden.“ Über Nebraska, in dem ein Vater und ein Sohn sich auf einen Roadtrip machen, sagt er: „Diese zurückgenommene verhaltene Geschichte bot sich an, in einem visuellen Stil gedreht zu werden, der so nüchtern ist wie das Leben der Menschen in dem Film.“

Schwarz-Weiß wird im zeitgenössischen Kino natürlich auch verwendet, um die Vergangenheit zu thematisieren oder in irgendeiner Form Nostalgie auszudrücken. Nebraska spielt zwar nicht in der Vergangenheit, handelt aber doch von ihr. Frances Ha hingegen handelt von einer jungen Frau im New York unserer Zeit, die über die Zukunft rätselt. Der Film blickt aber doch eindeutig zurück auf die Regisseure der französischen Nouvelle Vague, insbesondere François Truffaut, und auf Schwarz-Weiß-Klassiker wie Woody Allens Manhattan, der selbst eine Hommage an eine frühere Ära des Filmemachens ist.

Das englische Wetter

Regisseur Noah Baumbach zufolge „hat Schwarz-Weiß etwas an sich, das den Film fast unmittelbar nostalgisch macht.“ Joss Whedon wiederum sagt, er habe das Format genutzt, um seiner Shakespeare-Adaption „etwas von diesem alten Hollywood-Glamour zu verleihen“. Schwarz-Weiß hat aber auch praktische Vorteile. A Field in England, Nebraska, Frances Ha, Viel Lärm um Nichts – alle Filme wurden digital in Farbe gedreht und dann in Schwarz-Weiß umgewandelt. Ben Wheatley sagt: „Wir haben bei Außenaufnahmen und der Verbindung verschiedener Einstellungen einen größeren Spielraum, wenn wir schwarz-weiß drehen. Das englische Wetter ist schrecklich. Die Sonne kommt und geht schneller, als man gucken kann. Wenn du bei einem Farbfilm eine Aufnahme, bei der es bewölkt ist, und eine mit scharfen Kontrasten zusammenschneiden müsstest, würde das nicht funktionieren. Schwarz-Weiß kaschiert vieles.“

Das Format ersparte es Joss Whedon auch, sein Haus neu zu streichen. Er hatte das Gefühl, die Wände seien zu hell, um in Farbe gefilmt zu werden. Und da vor einer geschniegelten Kulisse und mit TV-Schauspielern gedreht wurde – wer weiß, ob der Film in Farbe weniger wie eine Shakespeare-Adaption mit Reminiszenzen an das alte Hollywood als wie eine Daily Soap ausgesehen hätte. Schwarz-Weiß hat – in diesem Fall – das Kino gerettet.

Killian Fox schreibt u. a. im Observer übers Kino

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Übersetzung: Holger Hutt
Geschrieben von

Killian Fox | The Guardian

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