Sie war Wirtschaftsministerin im Schattenkabinett von Jeremy Corbyn und Schatzkanzler John McDonnell. Bleibt sie in dieser exponierten Position? Vorerst dürfte unter dem neuen Parteichef Keir Starmer am Status von Rebecca Long-Bailey nicht groß gerüttelt werden. Auch wenn die 40-jährige Labour-Politikerin beim parteiinternen Championat um die Parteiführung mit 27,6 Prozent deutlicher hinter den gut 56 Prozent des neuen Parteichefs lag als angenommen. 30 Prozent hatte man ihr als der Favoritin des Corbyn-Lagers schon zugetraut.
Dass es weniger waren – daran hatte gewiss auch mancher Patzer bei ihrer Kampagne seinen Anteil. Ihre Behauptung, sie sei in der Kindheit davon geprägt worden, dass ihr Vater als Hafenarbeiter an den Salford-Docks in Manchester unter der konservativen Premierministerin Thatcher eine Entlassungsrunde nach der anderen durchgemacht habe, wurde stark angezweifelt und der Kategorie alternative Wahrheit zugeordnet. Die Docks schlossen 1982, da war Rebecca gerade zwei Jahre alt. Für Irritationen hatte auch ihre Bemerkung gesorgt, sie sei am 22. September 1979 „zum Klang des Gebrülls des Stretford End“, einer Tribüne in Old Trafford, dem Stadion von Manchester United, geboren worden. Reporter fanden heraus, dass der Klub an jenem Tag ein Auswärtsspiel hatte.
Verwundern musste auch, dass sie die Wahlkampfstrategie ihrer Partei kritisierte, die zum desaströsen Ergebnis bei der Unterhauswahl am 12. Dezember geführt hatte. Zum einen war sie daran beteiligt, zum anderen bewarb sich Long-Bailey mit der Versicherung um den Parteivorsitz, sie werde an Jeremy Corbyns Programm – dem „Green New Deal“ – festhalten, da sie diesen Parteichef „vergöttert“ habe. Sicher ein respektables Bekenntnis, aber in taktischer Hinsicht kein cleverer Schachzug. Corbyn war schließlich nicht ganz unschuldig daran, dass Labour beim wegen des Brexits vorgezogenen Unterhausvotum mit einem Abstand von elf Prozent hinter den siegreichen Torys landete und den Verlust von 59 Mandaten verschmerzen musste.
Andererseits hätte sich Rebecca Long-Bailey selbst demontiert und ihrer Glaubwürdigkeit beraubt, wäre der mit dem „New Deal“ gemeinte sozial-ökologische Radikalumbau Großbritanniens von ihr plötzlich mit Argwohn bedacht worden. Sie hatte an dieser Agenda nicht nur mitgeschrieben – ihr war sie maßgeblich zu verdanken. Insofern erschien sie im Wettstreit um die Nachfolge wie die natürliche Erbin Jeremy Corbyns.
Sie war die am stärksten linksgerichtete Bewerberin einer nach den bleiernen Blair-Jahren wieder stark linksgerichteten Partei, der es zum Nachteil gereichte, sich mit ihrem Kurs ausgerechnet am Brexit aufreiben zu müssen. Auf Rebecca Long-Bailey ging die Aussage von der „Notwendigkeit einer ökonomischen Transformation“ zurück, die allein bewirken könne, dass sich die Klimaerosion dämpfen lasse. Der „Green New Deal“ sei im Wahlkampf „tragisch unter Wert verkauft“ worden, blieb sie überzeugt. Sie besitze das „politische Rückgrat“, um „unsere sozialistische Agenda“ zu vertreten.
Man habe Long-Baileys Arbeitsethik gegen sie verwendet, sagen Freunde, räumen aber ein, dass sie zuletzt bei TV-Interviews stets einen sehr ernsten Eindruck hinterlassen habe und nicht die Wärme ausstrahlte, die sonst in persönlichen Gesprächen mit ihr zu spüren sei. Es ist schwer zu leugnen, dass Long-Bailey den Zweikampf mit Starmer um den Parteivorsitz nicht schadlos überstanden hat. Rückhalt bei einzelnen Gewerkschaften wie der Communications Workers Union ist zwar noch vorhanden, aber entschlossen hinter ihr steht nur die Graswurzelorganisation Momentum. Immer wieder bekam sie zu hören, dass zu viele Männer ihre Kampagne dominierten. „Wer bist du eigentlich?“ – so die auch medial kräftig orchestrierte Frage. Die Marionette von Ex-Schattenkanzler McDonnell, von Jeremy Corbyn oder von Momentum-Gründer Jon Lansman? Long-Bailey versuchte das auf die leichte Schulter zu nehmen und scherzte, dass sie wohl auch die Marionette des Papstes sei, nachdem ihr Katholizismus und ihre Ansichten zur Abtreibung zum Thema gemacht worden waren. Sie hatte anklingen lassen, sich bei einem Schwangerschaftsabbruch wegen schwerer Missbildungen des Fötus nach der 24. Woche unwohl zu fühlen. Doch wollte sie nie geltendes Abtreibungsrecht verschärfen und bekannte sich zum Recht der Frau auf eine freie Wahl.
Long-Bailey steht für das Dauerproblem in der Politik, die Balance zwischen Inhalten und Persönlichkeit zu wahren. Ihre Anhänger schwärmen von ihrer Loyalität, ihrem Esprit und ihrer „Normalität“. Sie bedauern, dass die Leute stets nur die konzentrierte, ehrgeizige Kandidatin im Businesskleid zu sehen bekamen und sich von ihrer Arbeitswut überzeugen konnten, die sowjetischen Bestarbeitern wie Alexei Stachanow zur Ehre gereicht hätte. Vielleicht hat diese Unbedingtheit auch etwas mir ihrer Herkunft zu tun. Es war eben nicht selbstverständlich, als Tochter eines Dockers das Katholische Gymnasium Chester zu besuchen, in Manchester Politik wie Soziologie zu studieren und in einer Anwaltskanzlei zu arbeiten. Sie hat gewusst, was sie erreicht, aber auch, was sie zu verlieren hatte.
In Keir Starmers Schattenkabinett hat sie nun die Zuständigkeit für Bildungspolitik übernommen und wird wohl auch in dieser Position darum kämpfen, dass Labour das politische Erbe der Zeit unter Jeremy Corbyn nicht vollends verscherbelt.
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