Die einen lächeln, die anderen ertrinken

Europa Die EU-Regierungschefs sind verantwortlich für den Tod Tausender Geflüchteter. Doch der neu ausgehandelte Deal steht für eine noch inhumanere Politik
Statt sich anzulächeln, sollten Emmanuel Macron und Angela Merkel beschämt zu bode blicken
Statt sich anzulächeln, sollten Emmanuel Macron und Angela Merkel beschämt zu bode blicken

Foto: Ben Stansall/AFP/Getty Images

Europa leidet an keiner Flüchtlingskrise. Europa hat es mit einer humanitären Krise zu tun. Doch für die europäischen Regierungschefs sind Flüchtlinge und Migranten keine Menschen – sie sind Statistiken. Oder sie sind Futter für hasserfüllte politische Kampagnen von Scharlatanen, um an hohe Ämter zu gelangen.

Bei all dem Gerangel um einen Flüchtlingsdeal auf EU-Ebene könnte man meinen, die Zahl der Flüchtlinge und Migranten stiege an. Tut sie aber nicht. Während 2015 über eine Million Menschen an den Küsten Europas ankamen, waren es im vergangenen Jahr nur noch 172.362 und in diesem Jahr bislang weniger als 43.000. Doch die Zahl, die eigentlich zählt, lautet 12.397. Das ist die Zahl der registrierten Toten zwischen Januar 2014 and Februar 2017 – von Kindern, Rentnern, Männern und Frauen, die im Mittelmeer ertranken. Die Verantwortung für diese Tode trägt die Führung der EU.

Was die EU-Regierungschefs getan haben, ist abscheulich und wurde bei weitem noch nicht genügend kommentiert. Im vergangenen Jahr konstatierte ein Bericht von Amnesty International, dass die steigende Zahl von Toten im Mittelmeer „eindeutig mit dem Scheitern der Politik der EU in Verbindung steht“. Die Entscheidung vom April 2015, Suche und Rettung zu stärken, habe die Opferzahlen gewaltig reduziert, sei aber nur von kurzer Dauer gewesen, so der Bericht.

Die Zahl der Todesopfer hat sich verdreifacht

Stattdessen verfolgten die Regierungen der EU die katastrophale Strategie, gegen Schlepper vorzugehen und Boote in Libyen am Auslaufen zu hindern. Die Überfahrt verhindern sollte die skrupellose libysche Küstenwache, deren gefährliche Manöver weitere Menschenleben kosten. Das Ergebnis? Ein dreifacher Anstieg der Todeszahlen im Jahr 2017 verglichen mit der zweiten Hälfte des Jahres 2015. „Europäische Staaten haben sich schrittweise von der Such- und Rettungsstrategie abgewandt, die die Zahl der Toten verringert hatte, und sie durch eine ersetzt, die Tausende ertrinken sah“, erklärte Amnesty International.

Schlimmer noch bedeutet die Strategie der EU, Geflüchtete und Migranten in Libyen zu lassen, wegzusehen, während die Behörden dieses Failed States diejenigen, die vor Not, Diktatur und Krieg fliehen, weiterhin foltern, missbrauchen, versklaven, vergewaltigen. Die EU hat ein Abkommen mit der Türkei geschlossen – ein Land mit einer furchtbaren Menschenrechtsbilanz –, um Flüchtlinge dorthin zurückschicken zu können. Im Gegenzug hat die Türkei syrische und irakische Flüchtlinge in deren vom Krieg zerstörte Länder zurückgetrieben.

In Ländern wie Italien, Ungarn und Polen verdanken die politischen Führer ihre Macht zum Teil ihrer Hetze und harten Haltung gegen die verzweifeltsten Menschen auf dem Planeten. Der in der vergangenen Nacht geschlossene Deal bedeutet, dass die Politik der EU sogar noch inhumaner wird und sogenannte Migrationszentren für die Ankommenden errichtet werden – die man auch Gefängnisse nennen könnte. Sie werden damit durchkommen, denn die Geflüchteten wurden bereits all ihrer Rechte beraubt. Heute sind noch viele Migranten und Flüchtlinge am Leben, die in den kommenden Wochen und Monaten sterben werden. Die Regierungschefs der EU sollten dafür zur Verantwortung gezogen werden.

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Geschrieben von

Owen Jones | The Guardian

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