Die eiserne Faust

Ägypten Die Reaktion der Regierung auf die Zusammenstöße zwischen Moslems und Christen riecht stark nach dem autoritären Gebaren der Ära des Präsidenten Hosni Mubarak

Nach erneuten Gewaltausbrüchen zwischen Moslems und Christen hat der ägyptische Justizminister Abdel-Aziz al-Gindi angekündigt, der Staat werde in Zukunft mit „eiserner Faust“ gegen Gesetzesbrecher vorgehen. Der genaue Verlauf der Ereignisse in der Kairoer Sankt-Menas-Kirche ist nach wie vor unklar, aber diese Art der Gewalt hat in Ägypten eine lange und verstörende Geschichte. Es ist richtig, dass die Behörden keinerlei Toleranz gegenüber jeglicher Form von organisierter sektiererischer Obstruktion gegen die kleine koptische Gemeinde des Landes an den Tag legen wollen. Aber eine eiserne Faust? Und fast 200 Leute vor Militärgerichte zu stellen? Das riecht stark nach dem Autoritarismus der Mubarak-Ära und ist nur das jüngste Beispiel für das drakonische Gebaren der militärischen Übergangsregierung, während die Welt ihre Blicke abwendet.
Als er vor einer Woche Kairo besuchte, erklärte der britische Außenminister Hague, der Erfolg des Arabischen Frühlings müsse sehr stark danach beurteilt werden, was in Ägypten geschieht. Trifft dies zu, ist die Zukunft der arabischen Demokratie-Bewegung, die Hague „die wichtigste Entwicklung des frühen 21. Jahrhunderts“ nennt, bereits jetzt äußerst fraglich.

Bericht über Folter

Ziehen wir Bilanz, was in Ägypten wirklich passiert ist: Ende Februar ging die drei Jahrzehnte währende Herrschaft Hosni Mubaraks zu Ende. Der Preis hierfür war sehr hoch: Nach offiziellen Angaben wurden 840 Menschen von den Sicherheitskräften getötet und 6.500 verletzt. Statt einem Aufblühen von Demokratie und einer Wahrung der Menschenrechte ist seither von Seiten der Armee ein ebenso hartes Vorgehen gegen Demonstranten zu beobachten wie zuvor. Als ich im April das Land besuchte, erfuhr ich aus mehreren verbindlichen Quellen: Das Oberste Militärgericht hat bis Mitte April die Inhaftierung von rund 5.000 Menschen veranlasst, unter denen sich diesen Berichten zufolge auch 14- und 15-Jährige befinden sollen. Es gibt zahlreiche Berichte, wonach Gefangene gefoltert werden.

Während der Bürgerkrieg in Libyen und die Gewalt in Syrien andauern, ist Ägypten weitgehend aus den Nachrichten verschwunden, obwohl weiterhin Menschen mutwillig verhaftet und drangsaliert werden. Man kann von einer konzertierten Aktion gegen die Versammlungs- und Meinungsfreiheit reden. Am 12. April trat ein Gesetz (Gesetz Nr. 34) in Kraft, das Demonstrationen und Streiks kriminalisiert und Teilnehmern hohe Geld- und Haftstrafen androht.
Es geht in Ägypten immer noch vor und zurück. Auf der einen Seite waren die Ägypter erleichtert darüber, dass der verhasste staatliche Sicherheitsdienst (SSI) Mitte März aufgelöst wurde, auf der anderen hat das Innenministerium nun die Einrichtung einer neuen Sicherheitsagentur angekündigt. Und es ist nicht klar, ob ehemalige SSI-Offiziere in irgendeiner Form überprüft werden, bevor man sie in einen neuen Dienst übernimmt, oder ob sie in neuen Uniformen weiter foltern werden.

Hoffnungen verraten

Unterdessen haben sich Mitglieder von Mubaraks alter Nationaldemokratischer Partei (NDP) ein neues Label verpassen, um bei den Wahlen im September als unabhängige Kandidaten anzutreten. Auch die Muslim-Bruderschaft bereitet sich darauf vor, für die Hälfte der Sitze im Parlament zu kandidieren. Frauengruppen sagten mir, sie fürchteten um die Rechte der Frauen, wenn ihre politische Partizipation nicht endlich ernst genommen werde.

Wenn man heute über den Tahrir-Platz geht, fällt einem neben der ausgebrannten Hülle der NDP-Parteizentrale als nächstes auf, dass die revolutionären Transparente mit der Aufschrift Die Armee und das Volk sind vereint! immer noch zu sehen sind. Doch viele Ägypter bleiben gegenüber ihrer Übergangsregierung wesentlich misstrauischer, als dies den Anschein erwecken mag – und aus gutem Grund. In der letzten Phase der Herrschaft Mubaraks befanden sich bis zu 10.000 Menschen ohne Gerichtsverfahren in Haft, von denen bis Mitte März erst 1.659 entlassen wurden. Die neuen Machthaber haben bisher nicht bekanntgegeben, wie viele dieser Gefangenen noch immer festgehalten werden, selbst wenn für die Freilassung ein richterlicher Beschluss vorliegt.

Die Wahrheit ist, dass Ägyptens Gefängnisse sich in jüngster Zeit mit Männern, Frauen und Kindern gefüllt haben, und dass die neuen Machthaber die Hoffnungen der Massendemonstrationen vom Februar verraten haben. Sollten der britische Außenminister und andere führende Politiker von diesen düsteren Vorkommnissen wissen, so halten sie äußerst still in dieser Angelegenheit. Wenn Hague zu Recht von der Gefahr spricht, der Arabische Frühling könnte wieder in Autoritarismus, gewaltsame Konflikte und einen Anstieg des Terrorismus zurückfallen, wie kann er da noch länger über das Durchgreifen der eisernen Faust schweigen?

Kate Allen ist die Vorsitzende von Amnesty International in Großbritannien

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Übersetzung Holger Hutt
Geschrieben von

Kate Allen | The Guardian

Der Freitag ist Syndication-Partner der britischen Tageszeitung The Guardian

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