Die französische Parfümhauptstadt ringt mit den Folgen des Klimawandels
Klimakrise Im französischen Grasse unweit der Côte d'Azur wachsen Blumen für die teuersten Parfüms der Welt. Doch die anhaltende Dürre und Hitzewellen, verursacht durch die Klimakrise, bedrohen den Anbau. Über eine Stadt in Aufruhr
Dank Klimakrise bald Geschichte: Natürlicher Blumenduft in edlen Parfüms
Foto: Jean-Pierre Amet via picture alliance / dpa
Früher, wenn in der französischen Stadt Grasse, der Welthauptstadt des Parfüms, Hitzewellen auftraten, gaben die Einwohner ihren Blumen nicht einfach mehr Wasser. Sie zogen in einer Prozession durch die kopfsteingepflasterten Straßen der Stadt zur Kirche. „Man rief die Geister um Regen an“, sagt Carole Biancalana, eine Parfümherstellerin in vierter Generation, deren Großmutter an den Regenzeremonien teilnahm. „Aber ich glaube kaum, dass diese Prozession im heutigen Klima noch funktionieren würde.“
Seit dem 17. Jahrhundert ist Grasse international bekannt für seine duftenden Blumen. Im Hinterland der Côte d'Azur gelegen, genießt die Stadt ein günstiges Mikroklima für die Blüte von Mairosen, Tuberosen, La
erosen, Lavendel und Jasmin. Heute produziert die Region Blumen für einige der größten Luxusmarken der Welt, darunter Dior und Chanel, die beträchtliche Summen für Rohstoffe aus der Region ausgeben – der Jasmin von Grasse ist teurer als Gold. Die ansässigen Produzenten gelten weltweit als führend in der Branche. 2018 nahm die Unesco die Parfümkultur der Region in die Liste des immateriellen Kulturerbes auf.Doch der Klimawandel bedroht diese Tradition. Extreme Wetterlagen wie Dürren, Hitzewellen und übermäßige Regenfälle haben den Blumenanbau zunehmend erschwert. Im vergangenen Sommer wurde Grasse von extremer Trockenheit heimgesucht. Einige Erzeuger verloren so fast die Hälfte ihrer Ernte. Die hohen Temperaturen beeinträchtigen die Qualität der Rosen und hindern einige Blumen ganz am Wachsen, etwa die Tuberose. Biancalana bekam diese Auswirkungen direkt zu spüren: In diesem Jahr ging ihre Tuberosenernte um 40 Prozent zurück. „Die Ältesten hier sagen uns immer wieder, dass es keine Jahreszeiten mehr gibt“, sagt Biancalana und weist darauf hin, dass die Winter jetzt wärmer sind und es im Frühjahr zu untypischen Kälteeinbrüchen kommt. „Wir können uns nicht mehr auf die Geister verlassen.“Der Anbau von Rohstoffen für Parfüms ist nicht immer nachhaltigGrasse ist damit nicht allein. Überall auf der Welt sind Grundstoffe für Parfüms von immer extremeren Wetterbedingungen bedroht. Vanille, ein wichtiger Rohstoff für die Industrie, ist besonders betroffen. Die vor allem auf dem afrikanischen Kontinent angebauten Vanillepflanzen wurden in den letzten Jahren von Hitzewellen heimgesucht. Im Jahr 2017 zerstörte ein Wirbelsturm in Madagaskar 30 Prozent der Ernten und trieb den Preis auf über 600 US-Dollar pro Kilo. „Der Klimawandel hat vielleicht keinen Einfluss auf den Duft von Parfüm“, sagt Benoit Verdier, Mitbegründer des Parfümhauses Ex Nihilo Paris. „Aber er wird sich auf den Preis auswirken.“Ex Nihilo hat beobachtet, wie die Kosten für Rohstoffe wie Vanille und Safran aufgrund des begrenzten Angebots, das die klimabedingten Dürren und Katastrophen verursacht hatten, in die Höhe schossen. Obwohl sie die Preise für ihre Parfüms noch nicht erhöht haben, könnten die steigenden Rohstoffkosten sie dazu zwingen. Jetzt erwägen sie, auf synthetische Alternativen zurückzugreifen. „Die romantische Idee von Parfüm ist, dass es natürlich sein muss“, sagt Verdier. „Es gibt eine Mystik um einen Ort wie Grasse, die die Menschen zum Träumen bringt. Aber das ist nicht immer nachhaltiger.“ Für den Anbau von Parfüm wird viel Wasser und Land benötigt. Der Transport von Rohstoffen um die ganze Welt verursacht außerdem erhebliche Kohlenstoffemissionen. „Es ist nachhaltiger, Parfüm im Labor herzustellen“, meint Verdier.Die Produzenten in Grasse sehen das anders. „Wir verbrauchen tatsächlich sehr wenig Wasser“, sagt Biancalana und weist darauf hin, dass die Erzeuger in der Region eine Tröpfchenbewässerung verwenden, die in der Vergangenheit nur fünf Prozent des Wasserverbrauchs in der Region ausmachte. Die Erzeuger in der Region haben erhebliche Anstrengungen unternommen, um die Umweltfreundlichkeit ihrer Kulturen sicherzustellen. Im Jahr 2006 gründete Biancalana Les Fleurs d'Exception du Pays de Grasse, eine Vereinigung, die Erzeuger aus der Region zusammenbringt. Eines ihrer wichtigsten Ziele ist es, dass alle Erzeuger ökologisch wirtschaften, um den Schutz der biologischen Vielfalt zu gewährleisten – für sie eine der wichtigsten Waffen gegen den Klimawandel.Es fehlt die wissenschaftliche Forschung„Was können wir tun, wie können wir uns anpassen, wen sollten wir um Unterstützung bitten, welche Forschung muss durchgeführt werden“, erklärt Armelle Janody, die Präsidentin der Vereinigung. „Das sind die Fragen, die wir uns stellen.“ Doch um Antworten zu finden, braucht der Verband Unterstützung. Bisher gibt es nur wenige wissenschaftliche Studien darüber, wie sich der Klimawandel auf die Pflanzen in der Region auswirkt. „Wir beobachten Veränderungen, aber wir haben keine wissenschaftlichen Studien darüber, was objektiv passiert“, sagt Janody.Führende Unternehmen der Branche haben bereits begonnen, die lokalen Erzeuger zu unterstützen, indem sie in entscheidende Forschung und Anpassungstechniken investieren. Doch obwohl die Erzeuger diese Unterstützung begrüßen, sind einige skeptisch gegenüber den Bedingungen, an die sie geknüpft sein könnte.„Für uns stellt sich die Frage, wie wir die Unterstützung der Industrie erhalten können, ohne unsere Autonomie und Souveränität zu verlieren“, sagt Janody, die befürchtet, dass die Unternehmen unter dem Vorwand der Unterstützung der Klimaanpassung mehr Kontrolle über die Produktionsmittel verlangen könnten. „Diese Marken wollen ihre Parfüms mit unserer Geschichte und unserem Erbe in Verbindung bringen, aber sie kommen her und wollen alles verändern. Wir wollen nicht zu Dienern der Industrie werden.“Für die Erzeuger stehen nicht nur ihre landwirtschaftlichen Praktiken auf dem Spiel, sondern auch ihre Kultur und Lebensweise. Die Parfümindustrie ist seit Jahrhunderten das Herzstück der Identität von Grasse. Seit 1946 ehrt die Stadt den Jasmin der Region mit einer Zeremonie im August, die sich über ein ganzes Wochenende erstreckt. „Das ist so viel mehr als nur ein Job“, sagt Biancalana, dessen Familie seit mehr als hundert Jahren dieselben Felder bearbeitet. „Wir haben eine moralische Verpflichtung gegenüber unseren Vorfahren und unserem Land. Die Menschen hier waren schon immer bereit, zu kämpfen. Das wird sich mit dem Klimawandel nicht ändern.“
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