Grün gerahmte Fotos, alle in der gleichen Größe, angebracht auf lackierten Holzstäben: Die Plakate, die von den etwa 50 Demonstranten in den Albia-Gärten in die Höhe gehalten werden, sind gut aufeinander abgestimmt. Es sind vor allem Frauen mit ernster Mine, die diszipliniert in zwei Reihen unter den hohen Platanen des Platzes im Stadtzentrum von Bilbao marschieren. Den schon kahler werdenden Kopf eines der wenigen Männer ziert ein schwarzes baskisches Barett. Friedlich ist dieser Protest, dem die Büroangestellten und Einkäufer auf den Bänken ringsumher kaum Beachtung schenken. Doch die Gesichter auf den Plakaten erinnern an Gewalt. Es sind Gesichter der Eta – der baskischen Separatistengruppe, die in den zurückliegenden vier Jah
Die Frauen der ETA
Baskenland Einst war es eine Männerwelt, nun schließen sich immer öfter Frauen der baskischen Untergrundorganisation ETA an – und steigen in Führungspositionen auf
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Giles Tremlett, The Observer
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The Guardian
Jahrzehnten über 800 Menschen umgebracht hat.Die Fotos zeigen Söhne oder Ehemänner – und Frauen. Vor allem auf den neueren Bildern. Unter denen, die derzeit wegen Eta-Verbrechen im Gefängnis sitzen oder in Grenzgebieten Frankreichs und Spaniens den letzten blutigen separatistischen Kampf in Europas am Leben halten, ist ihre Zahl in den vergangenen Jahren stetig gewachsen.Den meisten Spaniern gelten die Eta-Mitglieder als blutrünstige, kaltherzige Terroristen. „Sie haben durch den Mord an meinem Mann nichts erreicht. Sie verteidigen niemandes Freiheit, sondern schränken sie bloß ein. Das einzige was sie können ist töten, töten, töten“, klagte die Witwe des im Juni von einer Autobombe der Eta getöteten Antiterror-Inspektors Eduardo Puelles vor 25.000 Menschen, die auf einer Demonstration durch Bilbao ihre Abscheu über den Mord kund taten.Abkehr vom KonservatismusDen Angehörigen der Eta-Kämpfer sind ihre Kinder und Eheleute keine Mörder, sondern „politische Gefangene“ und „Patrioten“. German Uriza hält in den Albia-Gärten das Foto seiner 27-jährigen Tochter Amaia. Sie sitzt wie sein Sohn im Gefängnis. Seit 22 Jahren kommt der alte Mann hierher, um seine Solidarität zu zeigen. „Der Junge gehörte einem Kommando an, hat aber niemanden umgebracht“, sagt Uriza. Seiner Tochter Amaia warf die Polizei vor, als Freundin des ehemaligen Eta-Militärchefs Garokoitz Aspiazu, alias „Cherokee“, an der Rekrutierung neuer Mitglieder beteiligt gewesen zu sein. „Mein Mädchen hat gar nichts gemacht und trotzdem fünf Jahre bekommen“, klagt der 69-Jährige und fügt an: „Die Zahl der Mädchen ist stark gestiegen.“Heute agiert die Eta-Führung vornehmlich von jenseits der Grenze. In den Polizeistationen Südfrankreichs hängt ein Plakat, das sechs Mitglieder der Gruppe zeigt, die nach Auffassung der Polizei herausgehobene Positionen bei den Militanten inne hatten. Es sind vier Männer, die längst gefasst wurden, und zwei Frauen: Iratxe Sorzabal und Izaskun Lesaka. Welche Rolle die beiden heute spielen, ist nicht genau bekannt. „Im Moment geht es so drunter und drüber“, erfährt man aus dem Umfeld der regionalen baskischen Regierungspolizei, der Ertzaintza, „dass wir nicht bestimmt wissen, wer was macht.“Vier zu zwei: Das Verhältnis der Geschlechter auf dem Fahndungsplakat verweist auf einen tief greifenden Wandel innerhalb der Eta, eine Abkehr von den katholisch-konservativen Wurzeln der Gruppe. „Der Katholizismus hat immer beträchtlichen Einfluss gehabt“, sagt Jesus Casquete von der Universität des Baskenlandes. „Man kann die Eta nicht mit den Roten Brigaden oder der Baader-Meinhof-Gruppe vergleichen, in denen Frauen wichtige Rollen einnahmen und Verantwortung trugen.“ Doch nun zeigt sich ein anderes Bild.In den zwei Wochen nach dem Mord an Eduardo Puelles hat die Polizei mehrere Operationen gegen die Eta durchgeführt und dabei zehn mutmaßliche Mitglieder festgenommen. Die Hälfte von ihnen waren Frauen. Unter den Neuzugängen der Separatisten finden sich Studentinnen, Journalistinnen, Krankenschwestern und sogar Spielschulen-Lehrerinnen.Weibliche FalkenEinst war die Eta eine Männerwelt. In anfangs von Diktator General Francisco Franco geschürter Wut kamen Industriearbeiter, Mittelschichts-Marxisten und baskischsprachige Bauern aus winzigen Dörfern hoch oben in den grünen Hügeln von Goerri zusammen – ihre Frauen ließen sie zuhause zurück. Jahrelang war die öffentliche Rolle der Frau die der harten, trauernden Mutter am Grab männlicher Aktivisten. „Sie wurden als Hüterinnen der Flamme betrachtet“, so Jesus Casquete. Die Eta-Gründer wünschten „friedliche Frauen, die sich kulturellen und humanitären Aufgaben widmen und gewaltbereite Männer“. Nur eine Handvoll durchbrach dieses Muster.Auch das Beispiel von Iratxe Sorzabal und Izaskun Lesaka beweist, wie weit die Frauen der Eta seither gekommen sind. Sorzabal, eine heute 37-jährige ehemalige Lehrerin, ist schon seit über zehn Jahren dabei. 1997 wurde sie in Frankreich mit zwei bewaffneten Männern auf dem Hof eines bretonischen Separatisten gefangen genommen und kam für zwei Jahre ins Gefängnis. „Liebes Baskenland,“ schrieb sie im Mai 1999 in einem Brief vierer weiblicher Gefangener an eine separatistische Zeitung. „Es ist zu lang her, dass wir zur Flucht gezwungen wurden und dem Horror entflohen. Doch wir haben uns nie von dir abgewandt.“ Später wurde sie erneut inhaftiert, diesmal von der Anti-Terror-Polizeieinheit der spanischen Guardia Civil. Ein Richter sprach sie frei: Es gab nicht genügend Beweise, sie wegen Mitgliedschaft in einem Eta-Kommando zu verurteilen.Kurz darauf floh Sorzabal erneut nach Frankreich. Sie gehört heute zu den „Meistgesuchten“, konnte aber, während viele andere inzwischen festgesetzt wurden, immer wieder auf wundersame Weise fliehen. Experten rechnen Sorzabal heute den Falken der Eta zu – denen, die daran glauben, dass das Töten weitergehen müsse, wenn der Traum eines eigenständigen baskischen Staates wahr werden soll. Sie soll heute zu denen zählen, die nach ganz oben in der militärischen Eta-Struktur aufrücken könnten.Izaskun Lesaka ist schon heute eine wichtige Figur in der Hierarchie der Eta. Die 34-Jährige ist vor sieben Jahren aus Spanien geflohen. Damals begann die Polizei mit der Verhaftung von Mitgliedern der Pro-Eta-Jugendbewegungen. Lesaka hatte in diesen Kreisen eine bedeutende Position inne. „Die Eta rekrutiert in diesen Gruppen“, glauben die Behörden. Als ein Richter einen Haftbefehl ausstellte, war Lesaka aber bereits von der Bildfläche verschwunden. Ein französisches Gericht befand sie später in Abwesenheit für schuldig, Mitglieder für eine terroristische Vereinigung angeworben zu haben. Die Informationen über ihre jüngsten Aktivitäten sind spärlich.Mehr Frauen im GefängnisSo hoch wie Iratxe Sorzabal und Izaskun Lesaka sind freilich nur wenige Frauen in der Eta aufgestiegen. Je mehr sie jedoch aktiv in die terroristischen Aktionen der Seperatisten eingebunden sind, je öfter sie es selbst sind, die Bomben legen und tödliche Schüsse abgeben, desto eher wird der Weg nach oben in der Hierarchie für sie frei. „Der Weg an die Führungsspitze führt über Beteiligung an aktiven Kommandos“, sagt die kanadische Historikerin Carrie Hamilton, die mit vielen ehemaligen Eta-Frauen gesprochen hat. „Es ist gar nicht zu vermeiden, dass sie ab einem gewissen Punkt auch Führungspositionen einnehmen.“Aus Statistiken und mündlichen Berichten geht hervor, dass die Situation sich rapide verändert hat. Im Jahr 2002 waren nur zwölf Prozent der inhaftierten Eta-Angehörigen weiblich. 2009 waren es bereits fast ein Viertel. Der Frauenanteil unter den Rekruten aus jüngster Zeit nähert sich wohl den 50 Prozent.Nicht jeden überrascht das. „Man sollte bedenken, dass es eine Frau war, die 2006 das Kommuniqué verlas, in dem die Eta einen Waffenstillstand ausrief“, sagt Beñat Zarrabeitia von Etxerat, einer Gruppe, die die Familien von Gefangenen repräsentiert. „Und bei dem vorhergehenden Waffenstillstand von 1999 ernannten sie mit Belen Gonzáles Peñalba eine Frau zu ihren Verhandlungsführern.“Tatsächlich sind Frauen von Beginn an in der Geschichte der Eta präsent gewesen - wenngleich fast ausschließlich im Hintergrund. Sie boten Zuflucht, versteckten Aktivisten, kundschafteten Opfer aus oder lagerten Waffen. Sie verfolgten Politiker und Polizisten bis in den Gottesdienst. Der Einsatz an vorderster Front – das Bombenlegen und Schießen – das aber war Männersache.Die ersten Frauen, die sich den Kommandos schließlich doch anschlossen, nahmen ihr Geschlecht noch als Hindernis wahr. Ein Mitglied eines Eta-Kommandos, das anonym bleiben möchte, erzählte der Anthropologin Miren Alcedo, wie sie und eine Freundin zum ersten Mal mit Pistolen losgeschickt wurden: „Wir sagten uns: 'Ob sie uns akzeptieren werden oder nicht hängt davon ab, wie wir unsere Sache machen.' Als Frau muss man sich sehr viel mehr beweisen.“ Und so standen die Schützinnen der ersten Stunden bald im Ruf, blutrünstiger zu sein, als ihre männlichen Gefährten.Die Ikone CastresanaIn den letzten zehn Jahren ist allerdings eine neue Tendenz zu beobachten. Erstes Symbol dieses Wandels war die 22-jährige Spielschullehrerin Olaia Castresana aus San Sebastian. Unter der Woche passte sie auf kleine Kinder auf - an den Wochenenden und in den Ferien verübte sie für die Eta Bombenanschläge, auch auch auf Menschen. Im Juli 2002 explodierte schließlich eine Bombe in ihren Händen. Die Wucht der Explosion ließ Trümmer von Mauerwerk und Körperteile über einen nahe gelegenen Swimmingpool herabregnen. Einige Wochen zuvor hatte ein von ihr gelegter Sprengsatz einen Polizisten getötet. Castresana wurde zur „Märtyrerin“. Die Eta benannte später ein Kommando nach ihr.Die Herriko Taverne im Bilbaoer Stadtteil Santutxu ist ein beliebter Treffpunkt für gleich gesinnte Radikale. An den Wänden hängen drei Reihen farbiger Fotografien. Es sind die 24 allein aus diesem Barrio stammenden Eta-Anhänger, die derzeit im Gefängnis sitzen.Sieben davon sind Frauen. Anabel Prieto und Maialen Zuazo kamen erst kürzlich hinzu – beide wurden im vergangenen Jahr festgenommen, weil man sie beschuldigt, einen Bombenanschlag auf die Kasernen der Guardia Civil verübt und dabei einen Polizisten getötet zu haben. Es sind ganz andere Bilder als die grimmigen Fahndungsfotos, die von den Madrider Zeitungen gedruckt werden. Es sind Aufnahmen, die Freunde gemacht haben, auf denen die jungen Frauen der Kamera ihr schönstes Lächeln schenken. Sie lassen keinen Zweifel, wie die Besucher der Bar zu diesen Helden stehen.
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