Die ganze verdammte Geschichte

Tariq Ali Der britische Schriftsteller und Filmregisseur hat mit "Night of the Golden Butterfly" seine islamische „Comédie Humaine“ vollendet, an der er seit Jahren schrieb

Auf Fotografien von Demonstrationen der sechziger Jahre ist Tariq Ali nicht zu übersehen mit seinem dichten schwarzen Haar, dem borstigen Schnauzer und der geballten Faust. Als er 1966 vom College kommt, beginnt er, Agitation für einen Aufstand der Arbeiter zu betreiben, der nicht nur in Großbritannien ausbrechen soll. Sein Buch 1968 and After: Inside the Revolution von 1978 reklamiert „die Schlüsselrolle der Arbeiterklasse als einzigem Träger gesellschaftlichen Wandels“. Sein Held heißt Che Guevara. Als Ali 1964 bei einem Meeting der Gewerkschaften Malcolm X begegnet, ist er von ihm begeistert, weil der schwarze Bürgerrechtler ein großer Verehrer Kubas und Vietnams ist.

Ali verkörpert in dieser Zeit „das Andere“ in der britischen Gesellschaft. Eine Rolle, die er mit Schwung und Stil zu spielen versteht. Nur seine Revolution, die bekommt er nicht. Dafür widmen ihm die Rolling Stones eine Hymne. Man sagt, Mick Jagger habe Street Fighting Man für ihn geschrieben. Ali erwiderte das Kompliment, indem er später seiner Autobiographie den Titel Street Fighting Years gibt.

Triptychon mit Obama

Seinen Widerstand gegen die geltende Wirtschaftsordnung hat Ali nie aufgegeben, auch wenn der von vielen Linken prophezeite Zusammenbruch des Systems ausbleibt. Was tut man in Zeiten des Irrtums und der Niederlage? Für Tariq Ali nimmt die Neuorientierung unerwartete Züge an. Er beginnt, Romane zu schreiben. Sein erstes Buch ist 1990 Redemption, ein Schlüsselroman über kämpfende Trotzkisten in London. Im Jahr darauf arbeitet er bereits an Shadows of the Pomegranate Tree und taucht in die historischen Welt des Islam ein. Das Buch stellt den Konflikt zwischen Christen und Muslimen während der spanischen Inquisition dar und wird zum ersten Werk eines „Islamischen Quintetts“, das nun, im Juni 2010, mit der Veröffentlichung von Night of the Golden Butterfly vollendet wird.

„Wir haben rein zufällig mit der Sache begonnen“, erzählt Ali. Mit „wir“ ist Verso gemeint, der linke Verlag, dem er als Verleger vorsteht und der alle fünf Romane herausgebracht hat: „Ich schrieb Pomegranate Tree, und es lief ganz gut. Dann sagte Edward Said zu mir: ‚Jetzt musst du die ganze Geschichte erzählen. Du kannst nicht einfach auf halbem Wege stehen bleiben‘.“

Night of the Golden Butterfly spielt in der Jetztzeit und seine Charaktere rasen von London nach Paris, von Berlin nach Peking. Im Zentrum der Handlung steht der pakistanische Maler Plato. Dass Ali seinen Helden nach dem Begründer des westlichen Denkens benennt, könnte bedeuten – Osten und Westen sollten sich treffen. Am Ende des Romans begegnen sich die Figuren in Lahore und betrachten gemeinsam Platos letztes großes Gemälde. Ein Triptychon, in dessen Mitte Barack Obama zu sehen ist, „der erste dunkelhäutige Anführer der Great Society, der die Stars and Strips in einem Zustand des krebsartigen Zerfalls“ auf den Rücken tätowiert hat, erklärt Tariq Ali. „Das jüngste Oberhaupt des Imperialismus trug einen Anstecker mit der Aufschrift: Yes, we can ... still destroy countries.“

Night of the Golden Butterfly ist auch eine Rückkehr an Orte der Jugend des Autors. Die Metropole Lahore, in die er 1943 als Sohn kommunistischer Eltern hinein geboren wird, gehört zu Britisch-Indien und erlangt erst vier Jahre später ihre Unabhängigkeit. Die Sprache, in der Ali erzogen wird, ist Englisch. Er verschlingt die englischen Klassiker, dann die russischen. „Alle Autoren des sozialistischen Realismus standen bei uns im Regal: Der stille Don von Michail Scholochow und so weiter. Aber ich hasste das. Mein Vater war mir deshalb ziemlich böse, er war in vielerlei Hinsicht ein orthodoxer Kommunist. Aber mir erschienen diese Schriftsteller zu formalistisch.“

Es gibt keinen Gott

Sein politisches Engagement beginnt er als Teenager und mit dem Widerstand gegen Pakistans Militärdiktatur, die 1958 errichtet wurde. „Ein Onkel, der ein hohes Tier im Geheimdienst war, sagte meinen Eltern nur, sie sollten mich aus Pakistan rausholen, man könne mich nicht beschützen.“ Er wurde nach Großbritannien geschickt, an das Exeter College in Oxford, wo Ali zwischen 1963 und 1966 Jura studiert. „Ich war sehr glücklich und fand schnell Freunde. Ich hatte mit dem Labour-Club zu tun, aber die Humanisten schienen mir verwegener, sagten sie doch: Es gibt keinen Gott. Ich fand das sehr erfrischend und freute mich, dass man das öffentlich sagen konnte. Das hinterließ einen tiefen Eindruck bei mir.“

Anfang 1967 reist er im Auftrag des Magazins Town nach Prag, um über Theater und Film hinter dem Eisernen Vorhang zu berichten. Danach schickte Town ihn nach Vietnam, wo er eine Unmenge toter Zivilisten fotografiert. Noch im gleichen Jahr fliegt er nach Bolivien und nimmt am Prozess gegen den französischen Revolutionär Régis Debray teil, der dazu gebracht worden war – Ali spricht im diesem Zusammenhang von Folter –, den Aufenthaltsort Guevaras zu verraten. Erst danach erhält Ali die Nachricht von Ches Ermordung. Er weint: „Das Gefühl von Verlust und Trauer war überwältigend“, schreibt er später in seiner Autobiographie, in der es auch heißt, er könne sich nicht erinnern, wo er sich aufhielt, als John F. Kennedy ermordet wurde. „Aber ich kann mich an jede kleine Einzelheit des Tages erinnern, an dem Che starb.“

Tariq Ali (66) wird in Lahore geboren und nimmt dort am Widerstand gegen Pakistans erste Militärdiktatur teil. 1963 emigriert er nach Großbritannien und studiert bis 1966 Jura in Oxford

James Campbell ist Autor des Guardian und schreibt vorrangig Porträts über Personen der Zeitgeschichte / Übersetzung Holger Hutt

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Geschrieben von

James Campell | The Guardian

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