Die Geburt der Literatur aus dem Geist der Krise

Pakistan Klingt zynisch, ist aber so: Pakistans Literatur macht ausgerechnet in den Zeiten von sich reden, in denen das Land im geopolitischen und militärischen Chaos versinkt

Lange Zeit haben sie im Schatten ihrer großen Schriftstellerkollegen aus dem Nachbarland Indien gestanden. Nun wird Englisch schreibenden pakistanischen Romanciers immer mehr Aufmerksamkeit zuteil – während ihr Land in Gewalt und Chaos absinkt.

Religiöser Extremismus, Klassenspaltungen, Diktatoren, Krieg und Liebe – das sind die Themen einer Generation von Schriftstellern, die überwiegend in Pakistan aufgewachsen sind und sich heute leichtfüßig zwischen London, Karachi, New York und Lahore bewegen. Seit vor zwei Jahren Mohsin Hamids The Reluctant Fundamentalist veröffentlicht und für den wichtigsten britischen Literaturpreis für nicht-britische, aber auf englisch schreibende Autoren, den Man-Booker-Prize, nominiert wurde, erhält die neue pakistanischer Literatur sowohl zuhause als auch im Ausland viel Anerkennung und Beifall.

Im vergangenen Jahr erschien der erste Roman von Mohammad Hanif, A Case of Exploding Mangoes – eine schwarze Komödie über die Herrschaft des fundamental-islamistischen Generals Zia-ul-Haq in den achtziger Jahren –, sowie Nadeem Aslams Buch The Wasted Vigil, das im Afghanistan der Gegenwart spielt.

Zwei schon sehnlichst erwartete Bücher erscheinen in den kommenden Wochen in Großbritannien: Kamilia Shamsies fünfter und angeblich bislang bester Roman Burnt Shadows sowie eine Sammlung von Kurzgeschichten von Daniyal Mueenuddin, der nach der Vorabveröffentlichung einiger seiner Geschichten im New Yorker bereits mit Tschechow verglichen wurde.

„Einige von uns schreiben schon seit einigen Jahren, aber plötzlich erschienen vier oder fünf unserer Romane zusammen und sorgten für gewisses Aufsehen“, sagt Shamsie, dessen aktuelles Buch eine Geschichte erzählt, die während des Zweiten Weltkrieges in Japan beginnt und bis ins Nach-9/11-Afghanistan reicht. „Indiens ist seit dem Erscheinen von Salman Rushdies Midnight`s Children vor 25 Jahren als Literaturnation etabliert. Die pakistanische Literatur hingegen steckt doch noch sehr in ihren Kinderschuhen.“

Während Indien Rushdie, Vikram Seth und Arundhati Roy hervorgebracht hat, sorgte die pakistanische Literatur bislang für wenig Aufsehen. Bei einem Literaturfestival, das vor kurzem im indischen Jaipur stattfand, zeigten sich Publikum und indischen Medien trotz der Anwesenheit großer Namen wie Seth von pakistanischen Schriftstellern wie Museenuddin beeindruckt. Obwohl Pakistan und Indien offiziell kein gutes Verhältnis pflegen, sind pakistanische Autoren gegenwärtig bei indischen Verlagen hoch begehrt. Sie gelten als mutiger und engagierter.

In den vergangenen Jahren haben die pakistanischen Medien einen Boom erlebt und sich viel weiter für öffentliche Debatten geöffnet. Unter Präsident Perez Musharraf wurden 2002 die Medienrechte liberalisiert und Dutzende von Fernsehkanälen gingen auf Sendung, von denen viele rund um die Uhr berichten. Einschränkungen gibt es aber freilich immer noch. So wagte sich beispielsweise trotz der Nominierung für den Man-Booker-Preis kein pakistanischer Verleger an Hanifs Buch heran, das sich über den Diktator lustig macht, der den "Heiligen Krieg" ins Land gebracht hat.

Dass die 170 Millionen Menschen zählende und ständig von der Machtübernahme durch die Islamisten bedrohte Nuklearmacht immer wieder in den internationalen Schlagzeilen auftaucht, hat den Autoren sicherlich geholfen, Aufmerksamkeit zu erlangen. Aber obwohl Autoren wie Shamsie und Aslam schon seit über zehn Jahren verlegt werden, findet sich erst jetzt ein Publikum, das Bücher über Pakistan lesen möchte.

„Pakistanische Schriftsteller sind im Moment sehr begehrt, weil Pakistan so stark in den Nachrichten präsent ist“, sagt Mueenuddin, der in seinen Geschichten die starren Klassenunterschiede im ländlichen Pakistan beschreibt. Die Leser schätzen die neue pakistanische Literatur vor allem, weil sie so politisch ist. Vielleicht suchen sie hier eine Erklärung für die Instabilität des Landes, welche sich erhöht hat, seitdem Pakistan sich im „Krieg gegen den Terror“ auf die Seite des Westens gestellt hat. „Wenn man in Pakistan aufgewachsen ist, ist es nahezu unmöglich, sich hinzusetzen und etwas Unpolitisches zu Papier zu bringen“, sagt Hanif, ein ehemaliger Pilot der Luftwaffe. „Ich bin mir sicher, dass die Menschen durch die Schlagzeilen neugierig auf Pakistan werden, aber ich hoffe, dass sie die Geschichten dann auch um ihrer selbst Willen gerne lesen.“

Kamila Shamsies monumentaler Roman Burnt Shadows erzählt die Geschichte dreier Familien über Jahrzehnte und Kontinente hinweg. Sie reicht von der Detonation der Atombombe 1945 in Nagasaki über Indien und Pakistan bis in das Afghanistan nach dem 11. September – eine beeindruckende Erzählung mit einem atemberaubenden Höhepunkt. Shamsie wurde in Pakistan geboren und lebt in London.

Mohammed Hanifs schwarz-humoriger erster Roman Eine Kiste explodierender Mangos (erscheint Ende März auf deutsch im A1-Verlag, Titel des Originals: A Case of Exploding Mongoes), der vergangenes Jahr für den ersten Guardian-Buchpreis nominiert wurde, beginnt mit dem Flugzeugabsturz, bei dem Pakistans Militärdiktator General Zia-ul-Haq am 17. August 1988 ums Leben kam und liefert für diesen Absturz im Verlauf zunehmend immer bizarrere Erklärungen – von technischem Versagen bis hin zum Fluch einer Blinden.

Other Rooms, Other Wonders ist eine Sammlung miteinander zusammenhängender Kurzgeschichten über eine erweiterte pakistanische Familie, die in Lahore Land besitzt. Daiyal Mueenuddin, der in New York als Jurist tätig war, bevor er nach Pakistan zurückkehrte, um den Hof der Familie zu verwalten, ermöglicht einen erhellenden Einblick in die Vielschichtigkeit der pakistanischen Klassengesellschaft und Kultur.

In Der Fundamentalist, der keiner sein wollte (deutsch bei Hoffmann, im Original: The Reluctant Fundamentalist) von Mohsin Hamid verwickelt der pakistanische Priceton-Absolvent Changez einen fremden Amerikaner in einem Lahorer Café in ein Gespräch und erzählt ihm, wie seine äußerst erfolgreiche Karriere sowie eine gerade erst begonnene Beziehung in Manhattan nach dem Angriffen von elften September in die Brüche gingen. Die Erzählung offenbart, wie Changez wirklich über die Anschläge denkt. Hamid wuchs in Lahore auf, studierte wie sein Protagonist in Princton und lebt heute in London.

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Übersetzung: Holger Hutt
Geschrieben von

Saeed Shah, The Guardian | The Guardian

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