Die gehobene Jugendherberge

Nacht im Bauhaus In ehemaligen Studentenheimen der Design-Schule Bauhaus dürfen jetzt auch normalkreative Menschen übernachten. Wie schläft es sich auf dem hellroten Bett-Klassiker?

Dessau ist ein Mekka für Fans moderner Architektur. In der unscheinbaren, postindustriellen Elbstadt war das Bauhaus – jene Designschule, die in den zwanziger und dreißiger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts eine Revolution aus Beton, Stahl und Glas lostrat – in seiner wichtigsten Phase ansässig.

Schon immer habe ich einmal das Bauhausgebäude selbst sehen wollen, das vierzig Jahre lang in baufälligem Zustand belassen worden war, nach dem Fall der Mauer jedoch aufwändig saniert und als Museum wiedereröffnet wurde. Als ich erfuhr, dass man nun in den einstigen Zimmern der Bauhausstudenten übernachten kann, war die Entscheidung für eine Pilgerreise nach Dessau endgültig gefallen.

Nach dem Umzug von Weimar nach Dessau im Jahr 1925 – einer zu dieser Zeit florierenden Industriestadt – wurde das Bauhaus zu dem, wofür der Name heute steht. Die Schule entfernte sich von den frühen expressionistischen Einflüssen und entwickelte eine neue Ästhetik, die sich am funktionellen, industriellen Design orientierte. Zum Inbegriff dieser Gestaltungsphilosophie ist der aus Stahlrohr und Leder gebaute Stuhl des berühmten Schülers Marcel Breuer geworden. Möglicherweise noch wichtiger als Arbeiten wie Breuers Stuhl ist das Dessauer Bauhausgebäude selbst, das von Bauhaus-Gründer Walter Gropius entworfen und im Jahr 1926 als „gebautes Manifest“ der Schule fertig gestellt wurde.

Schon vor meiner Ankunft hatte ich viel über Dessau gelesen und zahlreiche Bilder gesehen, die zumeist die riesige Vorhangfassade aus Glas an einer Seite jenes Flügels zeigten, der früher die Werkstätten beherbergte und unter den Einwohnern der Stadt bald als „das „Aquarium“ bekannt war.

Farben haben auch Funktionen

Verstehen kann man dieses asymetrische, zentrumslose Gebäude eigentlich erst, wenn man selbst hindurchgeht. Die Dominanz der Farben Weiß und Grau wird immer wieder von überraschend vielen Farbflächen durchbrochen - eine orangene Mauer hier, ein gelber Deckenanstrich dort –, die nicht nur ästhetischen, sondern auch funktionalen Zwecken dienen sollten. Denn Farben wirken auf Menschen, Rot beispielsweise steht für Bewegung und gilt als anregend.

Nach der Besichtigung des Hauptgebäudes schlendere ich eine von Pinien gesäumte Straße zu den Meisterhäusern entlang. Die ebenfalls von Gropius entworfenen Wohn- und Arbeitsstätten von Lehrern der Schule, darunter Wassily Kandinsky und Paul Klee, sind kleinere Versionen des Hauptgebäudes: eine Ansammlung weißer Kuben mit Flachdächern und Glas-Vorhangfassaden, deren Inneres noch farbenfroher ist als das ihres Vorbilds: 140 verschiedene Farben kamen hier zum Einsatz. In Kandinskys Haus gibt es sogar eine goldene Wand – das hätte ich im Bauhaus nicht erwartet.

Als die Sonne untergeht, mache ich mich auf in das am Elbufer gelegene Restaurant Kornhaus, das von Gropius-Mitarbeiter Carl Fieger entworfen wurde. Im Speisesaal der Gaststätte mit seinen geschwungenen Wänden und der Glasfront fühlt man sich beinahe als treibe man über den Fluss, während man seinen Sauerkrauttopf verspeist.

Sauerkrauttopf vor Glasfront

Zurück im Bauhaus beziehe ich mein Zimmer im so genannten Ateliergebäude, das zu einer Art gehobenen Jugendherberge umgewandelt worden ist, deren Einrichtung aus zeitgenössischen und Original-Möbelstücken besteht. Zu ersteren zählt auch das hellrote Bett, das vom derzeitigen Leiter der Bauhaus-Stiftung und des Museums entworfen wurde. Jedes Zimmer verfügt über ein Waschbecken; Gemeinschaftstoiletten und Duschen befinden sich im Gegensatz zu den Zwanzigern auf jedem Flur, nicht im Keller. Wer sich für Minimalismus begeistern kann, verbringt hier einen herrlichen (und mit 40 Euro für das Doppelzimmer erstaunlich günstigen) Aufenthalt, der einen einzigartigen Eindruck des Bauhaus-Alltags vermittelt. Ich zumindest fühle mich fast selbst wie ein Bauhaus-Student, als ich am folgenden Morgen aufwache und auf meinen Balkon hinaustrete.

Nach einem Frühstück in der Kantine, in der die Bauhaus-Schüler früher umsonst verpflegt wurden (man sitzt selbstverständlich auf Breuer-Stühlen), erkunde ich den Rest Dessaus, was problemlos zu Fuß oder mit Fahrrädern möglich ist, die man am Bahnhof mieten kann. Das bedeutendste der weiteren Bauobjekte, die von Gropius und der Architekturabteilung der Schule stammen und für die Öffentlichkeit zugänglich sind, ist die Siedlung Törten. Die über dreihundert ein- oder zweigeschossigen Reihenhäuser des Wohnprojektes wurden kostengünstig aus standarisierten vorgefertigten Elementen errichtet, die wie Legosteine aneinandergesetzt werden konnten. Mehrere der Hauseinheiten, darunter ein experimentelles Haus, das nur aus Stahl besteht, können besichtigt werden.

Weltkulturerbe Wörlitz

Darüber hinaus ist diese Pilgerstätte der modernistischen Architektur von einer Gartenanlage, dem Wörlitzer Park, umgeben. Der anglophile Fürst Leopold III. Friedrich Franz von Anhalt-Dessau ließ sie im achtzehnten Jahrhundert errichten, inspiriert von den Londoner Kew-Gärten. Im Zentrum der Anlage befindet sich das Schloss Wörlitz. Das Landhaus im neo-palladinischem Stil beherbergt eine Porzellan-Ausstellung, die vornehmlich Exponate der englischen Manufaktur Wedgewood zeigt und außerdem Portraits englischer Dichter wie Shakespeare, John Milton oder Laurence Sterne.

In der weitläufigen Parkanlage befindet sich unter anderem eine weitere Villa, benannt nach dem englischen Gesandtenpaar Sir William und Lady Emma Hamilton, mit welchem der Fürst Bekanntschaft geschlossen hatte, ein künstlicher Vulkan nach dem Vorbild des Vesuv und sogar ein Miniaturnachbau der Ironbridge in England, der weltweit ersten Eisenbahnbrücke. „Eine Zeitkapsel aus dem England des 18. Jahrhunderts“, wie mein Reiseführer es ausdrückt.

Nach dem kargen Bauhaus-Funktionalismus ist solch frivoler englischer Ornamentalismus allemal eine erfrischende Abwechslung.

Unsere Serie "Übernachten an ungewöhnlichen Orten" erscheint in losen Abständen. Zuletzt: Übernachten im Iglu

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Geschrieben von

Hans Kundnani, The Guardian | The Guardian

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