Die „Geschäftsführer“ greifen ein

Ukraine Zwei Monate lang haben die Oligarchen Präsident Viktor Janukowitsch im Konflikt mit der Opposition gewähren lassen. Nun scheint sich das zu ändern
Rinat Achmetow sucht des öfteren das direkte Gespräch mit Präsident Janukowitsch
Rinat Achmetow sucht des öfteren das direkte Gespräch mit Präsident Janukowitsch

Foto: Imago

Vor den Verhandlungen der vergangene Tage hat weitgehend unbemerkt auch eine andere Entwicklung stattgefunden, die zum Sinneswandel von Viktor Janukowitsch geführt haben könnte. Auf der Website der Beteiligungsgesellschaft SCM, die sich im Besitz von Rinat Achmetow, dem reichsten Mann der Ukraine, befindet, erschien eine Stellungnahme, die zu verstärktem Dialog aufrief.

In vorsichtigen, aber eindeutigen Worten hieß es darin: „Die politische Krise kann nur durch friedliches Handeln gelöst werden. Jede Anwendung von Gewalt ist nicht akzeptabel. Auf dem jetzigen Weg wird es in der Ukraine keine Gewinner geben, sondern nur Verlierer. Vor allem aber wird Gewalt uns nicht helfen, einen Ausweg zu finden.“

In der Ukraine hat nach dem Kollaps der Sowjetunion ein halbes Dutzend Oligarchen enormen Reichtum erlangt. Die Lage ähnelt der in Russland während der neunziger Jahre, als Geschäftsmänner rund um Boris Jelzin um Einfluss kämpften. Als Wladimir Putin im Jahr 2000 Präsident wurde, ließ er die Oligarchen wissen, sie könnten ihr Geld behalten, wenn sie sich aus der Politik raushielten. In Kiew war bislang kein Staatsoberhaupt stark genug, die Oligarchen zu zügeln. Dort verfügen sie nach wie vor über großen Einfluss, kontrollieren eine Reihe von Abgeordneten, besitzen Fernsehsender und halten sich extrem nah im Umfeld der politischen Führung auf.

Dabei ist Achmetow der mächtigste von allen. Dass sein Statement just an jenem Tage veröffentlicht wurde, an dem der Präsident einen vollkommenen Kurswechsel hinlegt, scheint kaum Zufall zu sein. Achmetow gilt schon lange als entscheidende Kraft hinter Janukowitschs Aufstieg zur Macht. Er ist der Besitzer des Fußballclubs Schachtar Donezk und der größte Akteur in der Bergbauindustrie im ostukrainischen Donbass, der Hochburg des Präsidenten. 2011 zahlte Achmetow für ein Penthouse in London 156 Millionen Euro – der höchste Preis, der in Großbritannien jemals für eine Wohnung erzielt wurde.

Der Politikwissenschaftler Volodymyr Fesenko sagt: „In Donbass war Achmetow jahrelang „Geschäftsführer“, während Janukowitsch der politische Führer war. Achmetow ist heute der einzige Oligarch, der den Präsidenten direkt anrufen und auf seine Position Einfluss nehmen kann.“

Die alte Garde ...

Oligarchen haben profitiert vom politischen Chaos und der Korruption, die während der zurückliegenden zwei Jahrzehnte in der Ukraine herrschten. Besonders Achmetow, dessen Vermögen in den drei Jahren unter Janukowitsch enorm gewachsen ist. Keiner dieser Milliardäre hat allerdings ein Interesse daran, dass die Ukraine zum Paria-Staat wird.

Einer der Hauptgründe für das Überleben der Oligarchen während der politischen Wirren der jüngsten Jahrzehnte war ihre Flexibilität. Selbst Achmetow habe für den Fall der Fälle Beziehungen zur Opposition geknüpft, erläutert Fesenko. „Für die Oligarchen ist es eine Art Versicherung, gute Beziehungen zur Opposition zu unterhalten – man könnte es mit Termingeschäften vergleichen.“

Vitali Klitschko, der ehemalige Boxweltmeister und Herausforderer Janukowitschs sagt, das Interesse der Oligarchen seien vor allem klare Spielregeln: „In privaten Gesprächen sind alle für das Rechtsstaatsprinzip. Aber die Führung wechselt und mit ihr das Reglement. Das Fehlen feststehender Regeln bedeutet, dass die Konzerne nicht wissen, ob sie ihr Vermögen behalten können.“

.... die Strohmänner ...

Viktor Pintschuk, der zur Zeit der Präsidentschaft seines Schwiegervaters Leonid Kutschma ein enormes Vermögen angehäuft hat, wollte sich als Philanthrop und Sammler zeitgenössischer Kunst neu erfinden. In seinem Kiewer Büro wies er im Dezember darauf hin, dass es während der Orangenen Revolution nicht zu Gewalt gekommen sei, als die Demonstranten den von Kutschma bevorzugten Nachfolger für den Präsidentenposten – das war damals Janukowitsch – ablehnten. „Auch diesmal brauchen wir eine friedliche Lösung“, meint Pintschuk. Er selbst führe übrigens unter vier Augen Gespräche mit dem Präsidenten und wichtigen Oppositionsführern.

Nun, da sie Gewalt sich verschärft hat, lautet die Frage, ob die Oligarchen weiterhin Interesse daran haben, eine friedliche Lösung auszuhandeln – oder ob sie nicht vielleicht allmählich zu der Auffassung gelangen, Janukowitschs Tage seien gezählt. Die etablierten Oligarchen klagen schon länger über dessen Regierungsstil. Unglücklich sind sie unter anderem über den Aufstieg der „Familie“ – Geschäftsleuten aus dem Umfeld des Präsidenten, die seit 2010 befördert wurden, indem sie vorteilhafte Verträge erhielten. Janukowitschs Sohn Alexander, ein gelernter Zahnarzt, hat ein immenses Vermögen angehäuft. Auch ein mysteriöser 28-Jähriger namens Sergej Kurschenko ist aus dem Nichts aufgetaucht und verfügt nun über 800 Millionen Dollar. „Ein echtes Wunderkind – von Null auf Hundert“, antwortet Klitschko auf die Frage nach Kurschenko.

Der lehnt ein Interview ab. An anderer Stelle hat er aber bereits erklärt, er habe sein Geld hauptsächlich seinem Geschäftssinn zu verdanken. Vorwürfe der Korruption und Vetternwirtschaft weist er von sich. Eine Quelle aus Kreisen der „Familie“, die namentlich nicht genannt werden möchte, sagt dazu, Kurschenko sei keineswegs ein „Strohmann“ der Regierung. Freilich komme er an gute Deals, weil er für die Behörden „leichter im Umgang“ sei als die traditionellen Oligarchen.

und die Jungwölfe

"Binnen einen Jahres ist dieser unbekannte Mann mit seiner unbekannten Firma sagenhaft reich geworden“, kommentiert Juri Sirotiuk. Der Abgeordnete der nationalistischen Partei Swoboda hat beim ukrainischen Generalstaatsanwalt mehrere Anfragen eingereicht, die Kurschenko und dessen Firmen betreffen.

So etwas ist in unserem Land ohne Unterstützung der Regierenden unmöglich. Ich bin mir sicher, dass Kurschenko bloß ein Strohmann ist. Immerhin hat er nicht Facebook erfunden oder sonst etwas Intelligentes gemacht. Es hat es einfach geschafft, Kontakte zu Regierungskreisen zu nutzen.“ Die Ukraine-Ausgabe des Forbes Magazins hat zu Kurschenko recherchiert und in einem langen Artikel hinterfragt, wie jemand ohne Verbindungen aus dem Nichts auftauchen und in so kurzer Zeit Millionen Dollar machen könne. Dabei kam das Magazin ebenfalls zu dem Schluss, Kurschenko müsse mächtige Unterstützer haben.

Daraufhin kaufte Kurschenko die Verlagsgruppe, zu der das Magazin gehört, und verschaffte sich so die Kontrolle nicht nur über Forbes Ukraine, sondern auch über den Korrespondent. Beide Magazine hatten zuvor zu den wenigen unabhängigen Blättern gehört, die in der Ukraine noch existieren.

"Bei den früheren Privatisierungen ging es hart und schmutzig zu. Aber wenigstens gingen halb-anständige Konzerne daraus hervor“, kommentiert Wladimir Fedorin. Er war früher Redakteur bei Forbes-Ukraine. Wie die meisten seiner Kollegen kündigte er aber, als Kurschenko das Blatt kaufte. „Jetzt wird einfach gestohlen. Die alte Oligarchen-Garde missbilligt die neuen Jungwölfe und deren Methoden.“

Achmetows Stellungnahme vom Wochenende zeigt, mit wie viel Besorgnis die etablierten Oligarchen auf Janukowitsch blicken. Das Wachstum der „Familie“ und das harte Vorgehen gegen die Proteste drohen die Ukraine zu einem Paria-Staat zu machen. Dies bedroht die Geschäfte der Oligarchen, die inzwischen größtenteils auch international agieren, mehr als alles andere.

Welcher Art mögliche Unterredungen waren, die Achmetow und Janukowitsch zuletzt geführt haben, ist nicht bekannt. Eindeutig aber besorgt die Aussicht auf weitere Gewalt den Geschäftsmann. Ob Janukowitsch sich bis zu den für das kommende Jahr angesetzten regulären Wahlen halten kann, hängt möglicherweise ebenso sehr von den Entscheidungen der Oligarchen ab, wie von dem, was auf den Straßen geschieht.



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Übersetzung Zilla Hofman
Geschrieben von

Shaun Walker | The Guardian

Der Freitag ist Syndication-Partner der britischen Tageszeitung The Guardian

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