Michael B. Jordan bleibt ganz nüchtern und sachlich, wenn er über Rassismus spricht, als wäre das etwas ganz Normales. Ist es für ihn wohl auch. „Wenn ich nicht schwarz wäre, wäre mir das nicht passiert – das habe ich schon so oft gedacht, dass ich aufgehört habe zu zählen“, sagt er. „Eine Frau drückt ängstlich ihre Tasche an sich, während sie an dir vorbeigeht, die Leute wechseln die Straßenseite, die Cops halten dich ohne erkennbaren Grund an, durchsuchen und schikanieren dich. Ich habe Situationen erlebt, in denen ich behandelt wurde, als wäre ich kein vollwertiger Mensch.“
Wir haben am Telefon gesprochen, Jordan war gerade in Hollywood, um den Blockbuster Fantastic Four zu drehen. Er spielt darin die Figur The Human Torch. „So ist das eben, wenn man schwarz ist, da passiert dir das fast ununterbrochen“, sagt er trocken. Dazu kann man auch Ereignisse wie den Tod des 18-jährigen Michael Brown in Ferguson zählen.
Der 27-jährige Michael Bakari Jordan (sein zweiter Vorname ist Suaheli und bedeutet „großes Versprechen“) wurde in New Jersey als Sohn einer Kunstlehrerin und eines Caterers geboren. Er begann früh, als Schauspieler und Model zu arbeiten. Obwohl er selbst begeisterter Basketballer ist und trotz seines berühmten Namensvetters wurde er mit der American-Football-Serie Friday Night Lights auf NBC bekannt. Viele kennen ihn auch aus der Serie The Wire, wo er den Drogendealer Wallace spielte. „Ich höre ständig: Wo ist Wallace, String? Das ist normalerweise das Erste, was die Leute zu mir sagen.“
Doch es kann einen auch das Leben kosten, jung, schwarz und Amerikaner zu sein, wie Ferguson gezeigt hat. Wie der Tod von Trayvon Martin in Florida 2012 gezeigt hat. Wie Fruitvale Station mit brutaler Präzision zeigt, der Film, in dem Jordan seine erste Hauptrolle spielte. Die Regie bei dem für weniger als eine Million Dollar gedrehten Debüt führte der 28-jährige Ryan Coogler.
Die Geschichte basiert auf einer wahren Begebenheit. Erzählt wird der letzte Tag im Leben von Oscar Grant, einem 22-jährigen Afroamerikaner aus der Gegend um San Francisco, der in den frühen Morgenstunden des Neujahrstags 2009 in einem vollen Zug in einen Streit gerät und im darauffolgenden Durcheinander von einem Polizisten erschossen wird. Die Handyaufnahme des Vorfalls verbreitete sich rasend schnell und sorgte, so wie jetzt in Ferguson die Twitter-Nachrichten, für schwere Ausschreitungen. Coogler ist im selben Viertel aufgewachsen wie der erschossene Grant. Sein Vater ist Community-Organizer und Bewährungshelfer, er selbst arbeitet als Anwalt in einem Jugendgefängnis und wiederholt einen ganz bestimmten Satz in Interviews wieder und wieder: „Die meisten jungen Afroamerikaner in den Vereinigten Staaten kommen durch Schusswaffen ums Leben.“ Die Argumente gehen ihm nicht aus, wie Ferguson zeigt.
„Ich lebte in L.A., war völlig abgebrannt und wollte gerade wieder nach New Jersey zurückgehen, als ich auf Facebook den Mord an Oscar Grant sah“, erzählt Jordan. „Ich habe mir das Video ein ums andere Mal angesehen und wurde dabei immer wütender. Oscar Grant ist zwei Wochen älter als ich. Wir sind beide in Innenstadtbezirken in ähnlichen Verhältnissen aufgewachsen. Bei dem Video denkt man sich: Das hätte auch ich sein können.“
Umstände rekonstruieren
Der Film fängt mit dem Video an. Man sieht, wie Grant mit Handschellen gefesselt und mit dem Gesicht auf den Boden gedrückt wird. Dann zieht einer der Beamten seine Pistole und schießt Grant in den Rücken. Am nächsten Morgen ist er tot. Der Beamte, der geschossen hat, sagte, er habe im Stress die Pistole mit dem Taser verwechselt. Er wurde wegen fahrlässiger Tötung verurteilt, aber nach elf Monaten aus dem Gefängnis entlassen. „Ich kann für die Polizisten nicht das geringste Mitgefühl empfinden, auch wenn die Lage in dieser Nacht angespannt gewesen sein mag. Sie können sagen, was sie wollen, eine Pistole unterscheidet sich von einer Elektroschockwaffe.“
Die Ironie der Geschichte, wenn man nicht besser von Zynismus spricht: Fruitvale Station kam in den USA in dem Moment heraus, als die Mordanklage gegen George Zimmerman fallen gelassen wurde, jenen freiwilligen Nachbarschaftswächter, der den unbewaffneten Trayvon Martin erschossen hatte. Und nun sind zwischen dem Kinostart von Fruitvale Station im Frühsommer und der DVD-Veröffentlichung Anfang Oktober die tödlichen Schüsse auf den unbewaffneten Michael Brown abgegeben worden. Bitteres Charakteristikum: Welcher Film kann auf eine solche Evidenz innerhalb des eigenen Auswertungszyklus verweisen? „Es passiert einfach immer wieder, dass junge Männer aus Minderheiten durch die Behörden umkommen, die sie eigentlich beschützen sollten“, sagt Jordan mit ruhiger Stimme. „Das ist eine Tatsache. Ich würde nur gern wissen, warum das so ist.“
In einer nach Grants Tod einsetzenden Diffamierungskampagne wurde ausführlich über bestimmte Details aus seinem Leben berichtet. Er sei ein aufbrausender Ex-Knacki gewesen, der zwischen verschiedenen Gelegenheitsjobs als Dealer gearbeitet habe. Weniger ausführlich schilderten die Medien, dass er am Geburtstag seiner Mutter starb und am frühen Abend bei seiner Familie war.
Jordans Performance in Fruitvale Station wurde mit dem Spiel des jungen Denzel Washington verglichen. Sie hat ihm Auftritte im Mainstreamkino eingebracht – neben The Human Torch erhielt er Nebenrollen in Für immer Single?, einer romantischen Komödie mit Zac Efron, und in Chronicle – Wozu bist du fähig?, wo er neben Dane DeHaan einen Teenager mit Superkräften spielt. In Fruitvale Station zeigt Jordan seine Fähigkeit, das Wesen eines komplexen, unsicheren Manns mittels eines Mosaiks aus vielen Details zum Ausdruck zu bringen.
Jordan liegt daran, den dokumentarischen Gehalt des Films hervorzuheben. Regisseur Coogler hat Oscars letzten Tag anhand der Verhandlungsprotokolle rekonstruiert, ein Anwalt, der Grants Familie vertrat, brachte ihn mit Augenzeugen aus der U-Bahn und Passanten zusammen, die an seinem letzten Tag Zeit mit Oscar verbracht hatten. Die Begegnungen und Gespräche, die man sieht, hätten wirklich stattgefunden.
Trotzdem wurde dem Film vorgeworfen, er unterschlage und verzerre bestimmte Fakten des Falls, um Grant zu einem Märtyrer zu stilisieren. In einer Besprechung der New York Post hieß es, Fruitvale Station mache Grant „mit völlig frei erfundenen Szenen“ sympathischer – etwa wenn er sich um einen angefahrenen Hund kümmert. Und Variety schrieb: „Selbst wenn jedes Wort in Cooglers Darstellung des letzten Tags in Grants Leben der Überprüfung standhielte, würde der Film in seiner rücksichtslos positiven Darstellung immer noch einen falschen Eindruck erwecken.“
Erwartungen unterlaufen
Jordan gibt zu, dass die Szene mit dem Pitbull fiktiv ist. „Aber eine künstlerische Verarbeitung muss die Dinge doch interpretieren. Afroamerikaner werden in den USA angesehen wie Kampfhunde. Man betrachtet uns als böse und bedrohliche Wesen. Wenn also dieser Pitbull dem Tod überlassen wird und auf der Straße liegen bleibt, deutet das auf etwas voraus, was Oscar widerfahren wird. Wenn Leute darin eine Manipulation erkennen, dann sind sie vielleicht in der falschen Branche. Aber man muss sich schon fragen, ob sie wissen, wovon sie da eigentlich reden.“
Wenn die Zuschauer wirklich beeinflusst werden sollten, dann findet das auf subtilere Weise statt, als die Medien möglicherweise zugeben möchten. In seiner ersten Szene zündet sich Jordans Grant einen Joint an, während seine Freundin ihn wegen eines Seitensprungs zur Rede stellt – das ist wohl kaum dazu angetan, Klischees von schwarzen Jugendlichen zu korrigieren. Doch dann ruft seine kleine Tochter nach ihm, Grant nimmt sie in den Arm, holt sie zu sich und der Freundin ins Bett und gratuliert seiner Mutter per SMS zum Geburtstag. In dieser Szene zeigen Coogler und Jordan zunächst das, was wir erwarten. Dann drehen sie das Bild, um diese Erwartung zu unterlaufen.
Ich frage Jordan, was er den Kritikern des Films entgegnet. Zum ersten Mal hebt sich seine Stimme ein wenig. „Was ist so unrealistisch und manipulativ daran, dass ein Schwarzer seine Tochter liebt und Gefühle zeigt, wenn er mit der Familie zusammen ist? Dürfen Afroamerikaner keine echten Menschen sein? Dürfen wir keinen Kontakt zu unserer Familie haben? Würden Sie uns lieber mit einer Waffe in der Hand sehen? Das bekommen Sie in diesem Film nicht. Stattdessen bekommen Sie Fragen.“
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