Die Kronjuwelen von Apple

Irisches Paradies Wie der amerikanische Computerkonzern in der Region um Cork Steuern spart, dabei saftige Gewinne einstreicht und den US-Fiskus an sich locker abtropfen lässt
Ausgabe 25/2013
Wenn es um Steuern geht, ist Apple-Vorstand Tim Cook immer gut aufgelegt
Wenn es um Steuern geht, ist Apple-Vorstand Tim Cook immer gut aufgelegt

Foto: Chip Somodevilla/Getty Images

Eileen Stokes und ihre Familie führen ein einfaches Leben. Sie gehören zu den Travellern, die sich auf einem offiziellen Stellplatz für Wohnmobile in Knocknaheeny, einem maroden Vorort von Cork, niedergelassen haben. Außerdem lebt auf dem zum Schutz vor Wind ummauerten Hof noch Ginger, das geliebte Pferd der Familie. Aufgeregte Kinder präsentieren stolz kleine Fische, die sie in einem Krug gefangen haben und möchten in Boxer-Pose fotografiert werden. Eileens Ehemann zieht ein Mobiltelefon heraus, um seinen Bruder anzurufen. Der soll herüberkommen und mit mir sprechen. Die Stokes sind die nächsten Nachbarn der Filialen, die Apple in Cork unterhält. Beinahe zwei Drittel der Gewinne, die der Hightech-Konzern weltweit jährlich erzielt, werden mutmaßlich von den Firmen erwirtschaftet, die in der direkten Nachbarschaft der Stokes registriert sind.

Im vergangenen Jahrzehnt habe Apple wegen der Beliebtheit seiner Produkte weltweit einen „beispiellosen Erfolg“ gelandet, teilte Apple-Geschäftsführer Tim Cook jüngst in Washington mit. In der Tat sitzen allein die irischen Dependancen auf Investmentreserven von gut 100 Milliarden Dollar – mehr als das Jahresbudget der Republik Irland. Der war in den gleichen zehn Jahren ein ganz anderes Schicksal beschieden – es gab eine Bankenkrise und den Zwang, Hilfsgelder aus dem Euro-Rettungsfonds der EU und des IWF zu beantragen. Zwischen 2006 und 2012 hat sich allein in der Stadt Cork und deren Vororten die Arbeitslosenquote verdoppelt und liegt nun bei 18 Prozent. Am schlimmsten ist es in Knocknaheeny, wo 43 Prozent der Einwohner arbeiten wollen, aber nicht können. „Apple hat nie etwas für uns getan“, sagt Eileen Stokes. Viele Angestellte der Apple-Büros kämen nicht aus der Gegend, sondern aus dem Ausland. In Knocknaheeny lebten viele unterhalb der Armutsgrenze. Wer Arbeit habe, werde schlecht bezahlt.

Die Goldene Gans verschoben

Für die mehrstelligen Milliardengewinne seines irischen Tochterunternehmens hat Apple bislang durchschnittlich weniger als ein Prozent Steuern nach Dublin abgeführt, werfen US-Politiker dem Konzern vor. Ein Unternehmen, das mit dem Ölgiganten Exxon um den Titel der weltgrößten Aktiengesellschaft konkurriere, verschiebe vorsätzlich seine Gewinne, um weniger Steuern zahlen zu müssen. Steuerexperten zufolge sollten diese Einnahmen eigentlich größtenteils dem Apple-Hauptsitz im Silicon Valley zugerechnet und dort besteuert werden, in deutlich geringerem Umfang in den übrigen Regionen der Welt, in denen Millionen Apple-Produkte verkauft werden.

Es sind besonders zwei US-Senatoren, die sich gegen Apple exponieren: Der 78-jährige Demokrat Carl Levin, Senator in Michigan, und der 76-jährige John McCain, 2008 Präsidentschaftskandidat der Republikaner. Beide leiten den betreffenden Untersuchungsausschuss des US-Senats und haben entdeckt, dass Apple die internationalen Verkaufsrechte für seine Produkte aus den USA an ein paar wenige Firmen in Knocknaheeny transferiert hat. „Sie haben die Goldene Gans nach Irland verschoben“, warf ein wütender Levin Ende Mai während einer sechsstündigen Anhörung dem Apple-Chef vor. „Sie haben sie an drei Firmen übertragen, die in Irland keine Steuern zahlen. Es handelt sich um die Kronjuwelen von Apple, und das ist nicht richtig so.“

Diese Interpretation, erwiderte Tim Cook höflich, könne er nicht nachvollziehen: Er vermöge nicht zu erkennen, dass Profite verschoben würden, meinte er lächelnd. „Apple ist mit echten Tätigkeiten an echten Standorten vertreten. Die Apple-Mitarbeiter verkaufen echte Produkte an echte Kunden. Wir zahlen alle Steuern, die wir müssen – jeden Dollar. Wir sind nicht auf Steuertricks angewiesen.“ Dies zu glauben, fällt schwer. „Apple macht nicht von Tricks Gebrauch? Ich wäre fast vom Stuhl gefallen, als ich das las“, sagte Steuerrechtsprofessor Dick Harvey, einst als Berater für die US-Steuerbehörde tätig, bei der Senatsanhörung.

Auf die irischen Domänen angesprochen, insistierte Cook: „Wir haben dort eine beträchtliche Kompetenz angehäuft, bestehend aus Leuten, die den EU-Markt bis in die Tiefe verstehen. Sie führen eine Reihe von Funktionen aus, von technischem Beistand bis zur Hilfe für Vertriebspartner. Wir haben in Irland eine recht starke Präsenz.“ Davon ausgehend habe ich in Cork recherchiert, um der Frage nachzugehen, ob es tatsächlich so ist, dass die irischen Apple-Ableger zwei Drittel der globalen Profite der Unternehmensgruppe erwirtschaften oder ob sie in Wahrheit kaum mehr als ein Feigenblatt sind, um eine gigantische Steuervermeidung zu vertuschen.

Die Nachforschungen haben ergeben, dass am Apple-Standort in Cork eine große Zahl ausländischer Mitarbeiter beschäftigt ist. Viele von ihnen bearbeiten in Call-Centern Anfragen zum technischen Support, die aus ihren Heimatländern kommen. Aus jüngsten Stellenangeboten, unterbreitet in Cork, geht hervor, dass man einen spanischen Lohnbuchhalter, einen skandinavischen Kunden-Berater, einen norwegischen Apple-Spezialisten, einen russischen Fehleranalysten und einen deutschen Berater für Vertragsverwaltung sucht.

Tim Cook hatte weiter zu verstehen gegeben, die Mitarbeiter des „Campus in Cork“ verdienten weniger als die Hälfte des bei Apple üblichen Durchschnittseinkommens. Ist das die Erklärung dafür, dass allein 2011 am Standort Cork pro Mitarbeiter über neun Millionen Dollar Gewinn gemacht wurden, wie Harvard-Professor Stephen Shay errechnet hat? Obwohl Cooks Vorgänger Steve Jobs den irischen Standort 1980 zur ersten europäischen Apple-Basis ausgerufen hatte, haben die meisten Produktionsbetriebe Cork längst wieder verlassen. Die Leiterplattenherstellung wurde 1998 nach Indonesien verlagert, die Montage der iMacs zog ein Jahr später nach Wales. Ein Großteil der für die nichtamerikanischen Märkte bestimmten Apple-Produkte wird heute von Foxxconn in China gefertigt. Von dieser Produktion gelangt fast nichts nach Irland, sondern wird direkt an lokale Vertreiber in Europa, Nahost, Indien, Afrika, Asien und Australien verschifft.

Mit anderen Worten, Apple hat es geschafft, die Operationen in Irland hinter einem Schleier der Geheimhaltung zu verbergen. Die Dollar-Milliarden an Gewinnen, die in die Kassen von Apple in Irland strömen, werden von der in Nevada ansässigen Apple-Tochtergesellschaft Braeburn Capital verwaltet, die größer ist als jeder US-Hedgefonds. Die Cash-Reserven hält man bei New Yorker Banken. In Irland liegt kein Penny.

Die Aufzeichnungen von Vorstandssitzungen fertigt Apples Chefjustiziar Gene Levoff aus Kalifornien an, um sie anschließend einer Kanzlei in Irland zu schicken, wo daraus formale Protokolle gemacht werden. Als Steuerberater für die Apple-Filialen fungiert das Unternehmen Ernst&Young, das auch für Google, Facebook und Amazon tätig ist. Auch die letztgenannten Firmen haben alle Standorte in Irland eröffnet.

Lächerliche zwei Prozent

Apple lehnte es ab, bei den Recherchen mit dem Guardian zu kooperieren. Mitarbeiter waren angewiesen, nicht mit der Zeitung zu reden. Einer der Mitarbeiter tat es dennoch, wollte aber anonym bleiben: „Ich bin in Dänemark aufgewachsen, komme also aus einem System, in dem man 50 Prozent Steuern zahlt. Ja, ich glaube, man sollte seine Steuern zahlen – ich zahle lieber 50 Prozent, um ein funktionierendes System zu haben“, sagt er. „Ich weiß nicht, wie die Iren es machen. Ich glaube, Apple zahlt hier zwei Prozent Steuern. Das ist lächerlich, aber so funktioniert das System nun mal.“

Conor Healy, der Geschäftsführer der Handelskammer in Cork, hält entgegen, Irlands Bemühungen, multinationale Unternehmen anzulocken, seien gut für die Wirtschaft vor Ort. Die niedrige Körperschaftssteuer von 12,5 Prozent sei dabei nur einer der Gründe, die Unternehmen umsiedeln ließen. „Wir werben damit. Aber das allein reicht nicht, um große Firmen wie Apple erfolgreich zu machen. Cork ist der für Europa, Nahost und Afrika zuständige Apple-Hauptsitz, hier werden echte Dienstleistungen für Apple-Kunden außerhalb der USA und für das Apple-Unternehmen weltweit erbracht.“ Etwa 40 multinationale Unternehmen – darunter Amazon, Google und McAfee, ein Hersteller von Antiviren-Software – hätten in und um Cork Filialen eröffnet und der Gegend so 100.000 Jobs beschert, sagt Healy noch.

Zuletzt waren irische Politiker heftig bemüht, die Vorwürfe der US-Senatoren zurückzuweisen, Irland sei eine Steueroase. Apple sei von der Regierung in Dublin nie privilegiert worden. Tim Cook hat indes unter Eid ausgesagt, Irland habe 1980 „ausgiebig Technologieunternehmen angeworben und Steueranreize geboten“. Irlands Vizepremier Eamon Gilmore meint dazu: “Die Probleme ergeben sich nicht aus dem irischen Steuersystem, sondern aus dem Besteuerungssystem in anderen Rechtssystemen. Und das ist eine Frage, die in diesen Rechtssystemen gelöst werden muss.“ So einfach könne sich Irland nicht aus der Verantwortung für die Apple und Google eingeräumten Steuervorteile stehlen, sagt Sheila Killian, die selbst Steuerberaterin bei Ernst&Young war. Abgesehen vom bescheidenen Nutzen, den unternehmensfreundliche Steuerregeln für einen Ort wie Cork hätten, gehe davon eine fatale Wirkung auf internationale Bemühungen aus, aggressiven Steuerbetrug zu unterbinden.

Simon Bowers ist Finanzreporter des Guardian

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Übersetzung: Zilla Hofman
Geschrieben von

Simon Bowers | The Guardian

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