Was für ein Bühnenerlebnis! Eine Gruppe Kabinettsminister und wissenschaftlicher Berater, die David Camerons neu gewählter Regierung angehören, kommt in einem Keller im Londoner Regierungsviertel Whitehall zusammen, um einen Sturm von nie dagewesener Wucht zu beobachten, der über die britische Insel hinwegfegt. Fluten, gespeist aus geschmolzenen Eiskappen, bedrohen das Land. Berichte von Sturmwinden, Überschwemmungen und zu Schaden gekommenen Gemeinden prasseln herein. Dann, plötzlich, sind die Telefonleitungen tot und die Lichter gehen aus. Der winzige Saal im oberen Geschoss des Londoner Bush-Theaters ist in vollkommene Dunkelheit getaucht. Draußen ertrinkt eine Nation.
Der Klimawandel auf der Bühne
Ein fesselnder Stoff, wenngleich es eigentlich nicht der Klimawandel ist, der im Zentrum des neuen Stückes Resilience des britischen Stückeschreibers Steve Waters steht, sondern die menschliche und kulturelle Reaktion auf diesen. „Wer versorgt uns mit Elektrizität?“, will ein erboster Minister aus der Dunkelheit erfahren. „EDF! Herrgott, ich habe verdammte EDF-Aktien.“ So wird aus einer nationalen Krise ein Schlachtfeld, auf dem Eigeninteresse, politische Ideologie, das Hin-und Herschieben von Verantwortung und pfuscherhafte Reaktionen auf die Warnungen der Wissenschaft toben.
Dem Guardian-Theaterkritiker Michael Billington zufolge kann zurzeit kein anderes Theaterstück Resilience in Sachen emotionaler Intensität das Wasser reichen. Damit dürfte er Recht haben. Das Stück, das mit einem ergänzenden Schauspiel namens On the Beach einhergeht, ist fesselnd, intelligent und kühn fantasievoll. Die Schauspieler machen ihre Sache großartig. Das wirklich interessante an Resilience ist aber, dass es sich um den ersten ernsthaften Versuch einer Londoner Bühne handelt, das Thema Klimawandel und dessen Auswirkungen auf die Gesellschaft zu behandeln.
Auch Ian McEwan sitzt am Thema
Schon vorher hat es künstlerische Annäherungen an das Thema gegeben. Roland Emmerichs The Day after Tomorrow und Al Gores Eine unbequeme Wahrheit zum Beispiel. In diesen Filmen musste der Klimawandel allerdings entweder als Entschuldigung für die Produktion eines ordinären Katastrophenfilms oder leicht kruder Propaganda herhalten. Resilience hingegen spürt mit sehr viel mehr Tiefgang den möglichen Auswirkungen der Erderwärmung auf unser aller Leben nach und lässt vermuten, dass dies bald zu einem bedeutenden Thema für alle Künstler werden könnte. Wie der Krieg, der amerikanische Westen und Spionage in der Vergangenheit den Hintergrund zur Erforschung der menschlichen Natur gestellt haben, scheint der Klimawandel unseren Künstlern und Autoren neue Themen zu eröffnen.
Eine Betrachtung wären allein schon die folgenden Beispiele wert. Die Verfilmung des Cormac-McCarthy-Romans Die Straße, der die letzten Phasen einer von steigenden Temperaturen verwüsteten Welt beschreibt, wird voraussichtlich in wenigen Wochen veröffentlicht werden. Wenn es dem Film gelingt, nur einen Bruchteil der wilden Verzweiflung des Buches einzufangen, werden die Zuschauer Zeugen eines außergewöhnlichen cineastischen Erlebnisses werden.
Derzeit ist auch der Schriftsteller Ian McEwan dabei, einen Roman über einen nicht tadellosen, aber brillanten Wissenschaftler namens Michael Beard zu vollenden. Dem gelingt es, Energie aus künstlicher Fotosynthese herzustellen und so die Menschheit vor der Erderwärmung und ihren Folgen zu bewahren. Der Klimawandel, so McEwan, sei allerdings nur „die Hintergrundmelodie“ des Buches, dessen Fokus eigentlich auf Beards Charakter liege. Wird der die Welt retten oder werden die Unzulänglichkeiten seines Charakters alles zunichte machen? Tritt ersteres ein, wäre der Retter der Menschheit eine zutiefst abscheuliche Person. Doch, um nocheinmal McEwan zu zitieren: „Es werden nicht notwendigerweise Engel sein, die uns retten.“
Die Skeptiker haben verloren
Über die genannten Werke hinaus gibt es eine länger werdende Liste von Arbeiten – darunter Skulpturen, Rock-Songs oder Malereien –, die sich in letzter Zeit des Themas Klimawandel angenommen und ihm einen frischen, künstlerischen Dreh verpasst haben. So haben beispielsweise Jarvis Cocker, Martha Wainwright und KT Tunstall erstklassige Songs über unsere dahin schmelzende Welt geschrieben.
Diese Entwicklungen machen Mut. Zunächst zeigen sie, dass die Sache der Klimawandelsskeptiker, die so tun, als sei mit der Umwelt alles in Ordnung, inzwischen verloren ist. Es geht jedoch auch um weitaus wichtigeres. Bislang wurde die Debatte über die vom Klimawandel ausgehende Bedrohung von Wissenschaftlern, Journalisten und Politikern geführt. Viele von ihnen haben ihr den angemessen Grad an Dringlichkeit verliehen. Die Erderwärmung ist gleichermaßen ein kulturelles, wie ein wissenschaftliches oder politisches Problem und verdient daher, von denen aufgegriffen zu werden, die durch ihr Schaffen unsere Kultur definieren: Künstler und Schriftsteller.
Sie werden es sein, die uns zeigen, welche Art von Leben wir angesichts der Erhitzung unseres Planeten möglicherweise in naher Zukunft führen werden – nicht nur in physischer, sondern auch in moralischer und sozialer Hinsicht. Anders ausgedrückt brauchen wir einen Orwell oder Huxley, der uns hilft, die furchtbaren Dinge, die uns bevor stehen, zu erfassen. Den jüngsten Bemühungen Waters’, McCarthys und Ewans nach zu urteilen, werden unsere Künstler und Schriftsteller zur Stelle sein. Ob wir ihnen dann Gehör schenken, oder nicht, ist eine andere Frage.
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