Koalitionssuche Die Regierungsbildung im Irak wird darüber entscheiden, ob das Land föderativer und zugleich islamischer wird, falls die Sadristen mehr politischen Einfluss gewinnen
Es gebe „keine Tabus“, behaupten die wichtigsten Wahlallianzen und Parteien des Irak, wenn sie das Thema Regierungsbildung nach dem Votum vom 7. März streifen. Je stärker das Ergebnis der Abstimmung an Konturen gewinnt, desto mehr wird auch zur Gewissheit: Es könnte langwierige Koalitionsverhandlungen geben.
Ein neues Kabinett auszuhandeln, dürfte zu ähnlich zähen Kontroversen führen wie beim Streit um das Wahlgesetz oder bei den Querelen um eine Verbotsliste, mit der prominenten Sunniten das passive Wahlrecht aberkannt werden sollte. Nur soviel steht fest: Nach den Teilerfolgen für die Liste Rechtsstaat von Premier Nuri al-Maliki in den Regionen Nadschaf, Basra und Babylon wird diese Allianz erneut höchste Regierungsverantwortung bea
ortung beanspruchen.Bisher liegt Ex-Premier Ijad Allawi mit seinem schiitisch-sunnitischen Bündnis Irakija auf dem zweiten und die Irakische National-Allianz (INA) knapp dahinter auf dem dritten Platz. Der unter den Kurden führende Block – die Demokratisch-Patriotische Union Kurdistans, eine Fusion aus der Patriotischen Union Kurdistans (PUK) und der Kurdischen Demokratischen Partei (KDP) – dürfte viertstärkste Kraft geworden sein. An dessen Dominanz im Raum Erbil hat schon vor dem 7. März niemand gezweifelt. Insofern gibt es ein Resultat der ausgleichenden Gerechtigkeit, das keines der großen Wahlbündnisse als eindeutigen Verlierer stigmatisiert und nun für mehrwöchige Koalitionsgespräche bürgt, da sich aus den Allianzen heraus mindestens acht bis zehn Parteien um Ressorts bemühen werden.Verfassung im RückenOb dabei wirklich „keine Tabus“ gelten, darf angezweifelt werden. Es erscheint kaum vorstellbar, dass etwa al-Maliki und Ijad Allawi zueinander finden, da beide zuletzt in viele von persönlichen Animositäten geprägte Konflikte geraten und bis heute unversöhnliche Gegner sind. Es gab schon vor dem Votum Gespräche zwischen al-Maliki und der Irakischen National-Allianz (INA). Ob man letzten Endes in der Exekutive kooperiert, wird davon abhängen, wie sich die potenziellen Partner darüber einigen, wer von ihnen den Ministerpräsidenten stellt. Die INA hat mehrere starke Persönlichkeiten in ihren Reihen, die das Amt gern bekleiden würden und sich wenig daran stören, dass Nuri al-Maliki weiter regieren will. Es scheint bereits sicher, dass die Sadristen – die Anhänger des schiitischen Predigers Muqtada al-Sadr – als stärkste Fraktion innerhalb der INA aus dem Votum vom 7. März hervorgegangen sind. Beim vorangegangenen Parlamentsvotum vom Dezember 2005 gewannen sie mehr Sitze als jede andere Gruppierung. Da sich die Sadristen noch nie zu Kompromissen hinsichtlich ihrer extremen ideologischen Auffassungen bereit gewesen sind, schlugen sie schon damals einen eigenen Kandidaten für das Amt des Regierungschefs vor. Sollte sich das wiederholen, kann es sehr gut möglich sein, dass sich die INA nach Bekanntgabe des endgültigen Wahlergebnisses auflöst und ihre bisherigen Mitglieder in schönster Selbstständigkeit auf die Suche nach Koalitionspartnern gehen.Die Sadristen haben dabei die neue irakische Verfassung von 2005 im Rücken, die das Land in Artikel I als „Islamische Republik“ und in Artikel II den Islam als „Staatsreligion“ und „grundlegende Quelle allen Rechts“ definiert. Während Artikel XV die Unabhängigkeit und geistige Leitfunktion des schiitische Klerus (marjaiya) festhält, bestimmt Artikel XVI die so genannten „Heiligen Schwellen der Schiiten“ – gemeint sind die Schreine der schiitische Imame – zu Körperschaften des öffentlichen Rechts, denen der Staat zu dienen hat, indem er die freie Religionsausübung garantiert. Das läuft auf nichts weniger als eine exponierte Stellung der schiitischen Geistlichkeit hinaus, wofür die Sadristen in den ersten Jahren nach der US-Invasion mit ihren Milizen gekämpft haben. Mehr als nur ansatzweise erinnert dieser Verfassungsauftrag an die Position der Rechtsgelehrten im Iran und deren Dominanz im dortigen Herrschaftsgefüge. Nicht, dass nun die Islamisierung des Irak nach iranischem Muster zu erwarten wäre, aber die Sadristen haben möglicherweise das Mandat dafür erhalten, im Parlament die geltende Verfassung – so oft es ihnen gefällt – als Kronzeugen für eine islamische Staatsordnung aufzurufen.Es gab vor dem 7. März ein Agreement, wonach der Block mit den meisten Parlamentssitzen den nächsten Premierminister nominieren darf. Doch wird er ihn auch stellen? „Das wird sich gewiss irgendwie finden“, ist inzwischen ein geflügeltes Wort in Bagdad, als sei das keine brisante Frage, sondern nur eine unter vielen.Auch war man sich über das Prinzip einig, dass einzelne Parteien, die schlecht abschneiden, aus einer Wahlallianz ausgeschlossen werden können, um so die Koalition mit einer anderen Liste oder Partei zu ermöglichen. Einer Partei mit exzellentem Ergebnis sollte es andererseits erlaubt sein, aus der angestammten Zählgemeinschaft auszuscheren und auf eigene Faust nach Koalitionären zu suchen. So könnte etwa der Oberste Islamische Rat (SIIC) die INA verlassen und sich mit seinen traditionellen kurdischen Partnern oder gar mit Ijad Allawi zusammentun, um Regierungschef al-Maliki aus dem Sattel zu heben.Der hat schließlich viel Missmut auf sich gezogen und weiß nur zu gut um den Wunsch, ihn zu vertreiben. Ihm dürfte freilich der Umstand zu Diensten sein, dass es nur wenige Honoratioren gibt, die seinen Posten einnehmen könnten. Die ernsthaftesten Herausforderer neben Ijad Allawi – den der Westen gern als Premier sehen würde – kommen sämtlich aus den Reihen der INA: Adel Abdul Mahdi vom Obersten Islamischen Rat, der frühere Premier Ibrahim Jaafari (den die Kurden strikt ablehnen) und Ahmed Chalabi (den die USA um jeden Preis verhindern wollen). Bei diesem Aufgebot der Missliebigen könnte Nuri al-Maliki am Ende als Kompromisskandidat triumphieren.Autonomie im Blick Angenommen, er erreicht mit seiner Rechtsstaat-Allianz 95 bis 100 Mandate, dann wären lediglich weitere 65 bis 70 Abgeordnete nötig, um eine Regierungsmehrheit hinter sich zu vereinen. Die Kurden – sie kamen 2005 auf über 50 Sitze – bleiben ein begehrter Koalitionspartner, da sie verlässlich sind und stets äußerst geschlossen auftreten. Die neue, als unabhängige Formation angetretene Partei Goran („Wandel“) hat die kurdische Einheitsfront zwar etwas geschwächt, aber auch sie dürfte ihren Einfluss in Bagdad allein dafür einsetzen, von den anderen, nichtkurdischen Parteien Konzessionen für den Norden des Irak zu erwirken.Kurdische Politiker neigen auch deshalb zum Bund mit al-Maliki, weil Ijad Allawis National-Bewegung Irakija zu nationalistisch gepolt ist und unappetitliche, aggressive Hardliner wie die Al-Hadba-Partei rekrutiert, die aus der Tradition der Baath-Partei Saddam Husseins kommt. Premier al-Maliki dagegen hat sich in jüngster Zeit gegenüber den Autonomie-Wünschen der Kurden behutsam geöffnet, in seine Reden positive Notate über Stärke und Unabhängigkeit der kurdischen Regionen eingestreut und die Kontrolle der Zentralregierung über die umstrittenen Zonen gelockert.Nichtsdestotrotz haben die Kurdische Demokratische Partei (KDP) und die Patriotische Union Kurdistans (PUK) zu verstehen gegeben, sie könnten – sofern der Preis stimmt – mit jedem koalieren, selbst mit ehemaligen Baathisten. Es wäre ihr Maximalziel, die „strategischen Ressorts“ für Inneres, Ölförderung, Verteidigung und Finanzen zu bekommen. Sie würden nicht abwinken, blieben ihnen wie bisher die Ministerien für auswärtige Angelegenheiten, Energie und Wasserressourcen. Entscheidend für das Votum der Kurden wird sein, ob der durch die Verfassung vorgezeichnete Weg zu einem föderativen Staat weiter beschritten wird, bei dem im Sinne eines internen Finanzausgleichs jeder Region eine Teilhabe an den gesamtirakischen Öleinnahmen gewährt ist. Zusätzlich müsste die Regierung in Bagdad garantieren, dass künftig eine irakische Nationalarmee nur dann im Norden operiert, wenn das kurdische Regionalparlament dagegen kein Veto einlegt.
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