Die letzte Chance?

Atomstreit Der Iran hat die USA aufgerufen, dem mit Brasilien und der Türkei erreichten Kompromiss zuzustimmen. Nur so wäre der Initiative Erfolg beschieden

Offizielle iranische Stellen haben erklärt, man habe mit Brasilien und der Türkei ein neues Abkommen ausgehandelt, das vorsieht, dass der Iran schwach angereichertes Uran an die Türkei liefert, um im Gegenzug nukleares Brennmaterial für die iranischen Reaktoren zu erhalten. Als sie den Deal offiziell bekannt gaben, hoben der türkische Premierminister Recep Tayyip Erdogan und Brasiliens Präsident Luiz Inácio Lula da Silva Hand in Hand mit dem umstrittenen iranischen Präsidenten Mahmoud Ahmadinedschad die Arme – eine Geste des Triumphs.

Als Erfolg kann die Vereinbarung allerdings erst dann gewertet werden, wenn sie auch von internationaler Seite Anerkennung erhalten hat. Der Sprecher des iranischen Außenministeriums Ramin Mehmanparast sagte, man werde die Details der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) innerhalb einer Woche in einem förmlichen Brief darlegen und dann auf eine Antwort der „Wiener Gruppe“ warten, wie er die IAEA nannte, die sich aus Vertretern Frankreichs, Russlands und der USA zusammensetzt. Im Falle der völligen Zustimmung würde Iran einen weiteren Monat warten, bevor er damit begönne, Uran in die Türkei zu verschiffen. Die Übergabe der angereicherten Brennstäbe würde dann unter der Aufsicht der IAEA und des Iran vor sich gehen.

Entscheidend für den Erfolg der neuen Initiative wird sein, ob der Westen bereit ist, im Austausch für 1.200 Kilogramm schwach angereichertes iranisches Uran (LEU) 120 Kilogramm zu 20 Prozent angereichertes abzugeben. Ohne dies, so warnen die Iraner, werde es kein Abkommen geben. Iran behauptet, man wolle die Brennstäbe lediglich für zivile Zwecke nutzen, gleichzeitig gibt es aber jede Menge Berichte darüber, dass das Land für die Fortsetzung seines Atomprogramms dringend hoch angereichertes Uran benötigt, an dessen Produktion es hart arbeiten soll. Soweit alles wie gehabt. Was aber ist neu an dem Abkommen?

Was ist neu an dem Abkommen?

Erstens: Wenn man nach dem jüngsten gescheiterten Abkommen in Wien urteilt, dürfte die Internationale Gemeinschaft kein besonderes Interesse daran haben, Iran mit angereichertem Uran zu versorgen, das für militärische Zwecke verwendet werden könnte. Anderserseits kann der Westen sich nicht sicher sein, für seine Sanktionspläne die volle Unterstützung der Vereinten Nationen zu erhalten. In diesem Fall müsste die IAEA einen neuen Plan vorlegen.

Zweitens: Dieses Mal geht die Initiative von Iran aus, was einen gewissen Gesinnungswandel nahe legt. In Teheran machte man sich zunehmend Sorgen, bei den Bemühungen um das so dringend benötigte Uran in eine Sackgasse geraten zu sein. Seine gescheiterten Versuche in Wien und Genf haben internationale Kritik hervorgerufen. Dies dürfte das Bemühen um die Vermittlung durch vertrauenswürdigere Zwischenhändler wie die Türkei und Brasilien erklären.

Drittens: Die Vermittlung, insbesondere durch Brasilien, dürfte die Unterstützung sowohl der USA als auch Russlands genießen. Der russische Präsident Dimitri Medwedjew bezeichnete Lulas Besuch in Teheran als „die letzte Chance“, Teheran umzustimmen, bevor man Sanktionen verhängen werde. Eine ähnliche Warnung kam aus Washington. Sollte Lula scheitern, dann sollten die Weltmächte aufhören, auf eine Verhandlungslösung zu setzen und die Sanktionen verschärfen, sagte der Sprecher des amerikanischen Außenministeriums, Philip Crowly, vergangene Woche. Noch weiter dürfte Teheran die Nachricht beunruhigt haben, man mache „gute Fortschritte“ dabei, die Unterstützung aller Mitglieder des Sicherheitsrates – einschließlich Chinas – für weitere Sanktionen gegen den Iran zu gewinnen.

Einladung zum Dialog

Die offizielle iranische Nachrichtenagentur IRNA gab bekannt, Ahmadinedschad lade nun die Internationale Gemeinschaft ein, mit Teheran in den Dialog zu treten. „Ich hoffe, die 5+1 [die fünf ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrates und Deutschland] eröffnen den Dialog mit ehrlichen Absichten, Respekt und Fairness, und bringen die große Leistung weiter voran, die in Teheran begonnen wurde“, zitierte die Agentur den Präsidenten.

Ein weiterer Grund dafür, dass der Iran gerade jetzt die Initiative ergreift, könnte darin liegen, dass es am Jahrestag der umstrittenen Wahlen Mitte Juni in den Großstädten zu erneuten Protesten kommen könnte. In Teheran behauptet man zwar, mit der Krise fertig geworden zu sein, die Führungsriege ist sich aber durchaus im Klaren darüber, welche Gefahren eine weitere Eskalation mit sich bringen würden und welche negativen Auswirkungen internationale Sanktionen auf die wirtschaftliche Situation des Landes und somit auch auf die Proteste haben könnten.

Da das Interesse des Iran nun also größer sein dürfte als jemals zuvor, sind die Aussichten auf einen Erfolg des brasilianisch-türkischen Vermittlungsversuches relativ groß. Er steht und fällt jedoch mit der Frage, ob der Westen bereit ist, einem Land hoch angereichertes Uran zur Verfügung zu stellen, dem er bislang aufs Äußerste misstraut hat. Da das Zustandekommen eines Abkommen einen großen innen- wie außenpolitischen Erfolg für das Regime in Teheran bedeuten würde, würde es im Iran einerseits positiv bewertet werden, insofern es die Wahrscheinlichkeit eines Militärschlages und die Verhängung von Sanktionen verringern würde. Andererseits würde dies nach einem Jahr der brutalen Niederschlagung der Oppositionsbewegung gleichzeitig bei allen Unterstützern der Zivilgesellschaft auch große Zweifel und Enttäuschung hervorrufen.


Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Übersetzung: Holger Hutt
Geschrieben von

Massoumeh Torfeh | The Guardian

Der Freitag ist Syndication-Partner der britischen Tageszeitung The Guardian

The Guardian

Verändern Sie mit guten Argumenten die Welt. Testen Sie den Freitag in Ihrem bevorzugten Format — kostenlos.

Print

Die wichtigsten Seiten zum Weltgeschehen auf Papier: Holen Sie sich den Freitag jede Woche nach Hause.

Jetzt kostenlos testen

Digital

Ohne Limits auf dem Gerät Ihrer Wahl: Entdecken Sie Freitag+ auf unserer Website und lesen Sie jede Ausgabe als E-Paper.

Jetzt kostenlos testen

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden