Es gibt zwei Dinge, die man über Tony Benn unbedingt wissen muss. Er sah seine Aufgabe als Politiker stets darin, die demokratischen Ambitionen der Menschen zu fördern und er nahm die Demokratie sehr ernst. Besonders ihre Macht, die Welt zu verändern. Beides erklärt, warum der Labour-Politiker Tony Benn zu den wenigen politischen Führungsfiguren der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts gehörte, die im Laufe ihrer Karriere immer radikaler statt gemäßigter wurden. In der vergangenen Woche ist Tony Benn im Alter von 88 Jahren gestorben.
„Der Sozialismus ist nicht allein eine Frage des materiellen Fortschritts“, erklärte der aufstrebende Nachwuchspolitiker bei einem Partei-Meeting in seinem Wahlkreis Bristol South East, als er 1950 er
er 1950 erstmals für das britische Unterhaus kandidierte. Vielmehr handle es sich „um eine Weltanschauung, die ihren Ausdruck in jeder Stadt, jeder Gemeinde und jeder Wohnung“ finden könne. Damit bekannte sich Benn zu seiner Mission: Es gelte, „die Menschen zu Sozialisten zu machen, sie zu unterrichten und in ihrer Haltung zu bestärken“.Großes politisches TalentSein Engagement für Labour war unerschütterlich, auch wenn er sich nie wirklich einem der parteiinternen Lager zuordnen ließ. Als junger Abgeordneter interessierte er sich kaum dafür, ob die Partei in ihrem Programm weiter für öffentliches Eigentum warb oder nicht. Ihm war es wichtiger, die Dekolonialisierung Afrikas voranzutreiben und das Gerede von „Tradition“ im britischen Verfassungsdiskurs in Frage zu stellen. Er hatte nicht nur politisches Talent, sondern bediente sich auch virtuos des damals neuen Mediums Fernsehen, um sich und seine Ziele bekannt zu machen. Das brachte ihm den Ruf ein, wie kein anderer der Modernisierer für die britische Sozialdemokratie zu sein.Benn meinte rückblickend oft, seine Regierungserfahrung in den Sechzigern sei der Grund gewesen, warum er sich immer weiter nach links orientiert habe. Er war damals Technologieminister und machte die bittere Erfahrung, dass er vollkommen von der Bereitschaft demokratisch nicht legitimierter Privatunternehmen abhängig war, ihn in ihre Vorhaben einzuweihen. Ohne sie war er politisch hilflos. Bei dem Umgang mit den Topmanagern ging es ihm vor allem darum, das Versprechen der Demokratie einzulösen.Als Labour im Jahr 1970 abgewählt wurde, stellte sich Benn gegen das politische Alternativmodell, das damals immer mehr Unterstützung bei der politischen Rechten gewann: die freie und undemokratische Marktwirtschaft. Die größere Freiheit vom Staat werde „nur den großen Konzernen zugute kommen“, warnte er. Denn nun würden sie die Kontrolle über die Bürger ausüben, „während der Staat seine Schutzfunktion aufgibt“. Benn sah in den Studentenprotesten, der militanten Arbeiterschaft und einer radikalen Kommunalpolitik die Antriebskräfte, die Labour sich zu eigen machen müsse, um der Demokratie in Großbritannien zu ihrem Recht zu verhelfen. Die Verachtung, mit der die meisten Labour-Abgeordneten auf diese außerparlamentarische Opposition herabsahen, bestürzte ihn. „Die Kampagne, mit der wir die Macht in diesem Land demokratisieren, muss mit unserer eigenen Bewegung beginnen“, ermahnte er seine Partei und machte sich zum prominentesten Fürsprecher der Reformer.Was das für ihn bedeutete, fasste er 1971 so zusammen: „Viele Menschen wollen, dass die Früchte der Arbeit einfach nur fair verteilt werden. Sie wollen kein radikales Umdenken. Ja, wir müssen vernünftig sein und menschlich, und pragmatisch. Aber ich glaube, dass die Menschen, die mit den Problemen einer modernen Gesellschaft konfrontiert werden, keinen gemäßigten Arbeitskampf wollen, sondern einen radikalen. Es fehlt uns als Partei nicht an Mitteln, sondern am Mut, den mächtigen gesellschaftlichen Kräften entgegenzutreten, deren Interessen gefährdet würden, wenn uns so ein Wandel gelänge.“Auch gegenüber den Gewerkschaften nahm Benn kein Blatt vor den Mund. Sie hätten „kaum ernsthaft versucht, Nichtmitgliedern ihre Arbeit zu erklären“, hätten das „noch nicht einmal bei den Frauen und Familien ihrer Mitglieder“ versucht. „Weder Labour noch die Gewerkschaften haben andere Bewegungen, die legitimen Protest äußern, ausreichend unterstützt.“Oft schloss Benn seine Reden mit dem Hinweis, dass diejenigen, die die Herrschenden herausgefordert hatten – von den ersten Christen bis zu den Suffragetten – stets als verrückte Träumer oder gefährliche Extremisten behandelt wurden. Zu Beginn der Siebziger ereilte ihn eben dieses Schicksal. „Bennism“ wurde in den Medien zum Synonym, um einen „verrückten Linksextremismus“ zu stigmatisieren. Als in der Labour-Partei in den Thatcher-Jahren heftig um den Begriff und das Verständnis von Demokratie gestritten wurde, instrumentalisierten viele Parteifreunde dieses Stigma, um Benn als Gefahr für das ganze Land hinzustellen.Dass sein Einfluss innerhalb der Partei schließlich marginalisiert wurde, führte zu einem großen Bedeutungsverlust der britischen Linken. Natürlich brachte das Tony Benn nicht zum Schweigen. Er verlor keineswegs an Zuspruch, wenn er sich in seinen Vorträgen und Essays zum radikalen Potenzial der Demokratie bekannte. Daraus schöpfte er seine Kraft. „Man muss den Menschen helfen, zu verstehen, dass sie nicht recht vorankommen, solange sie politisch nicht selbstbewusster werden und sich nicht in ihrer nächsten Umgebung mit anderen zusammenzuschließen. Der an eine aristokratische politische Führung angelehnte Individualismus wird die Menschen nicht weiterbringen.“