Bereits vor Ausbruch der Corona-Pandemie war eine Sanierung des St. Mary’s Hospital in London geplant: Kosten rund 1,1 Milliarden Euro, Baubeginn 2027. Die Notfall- und Spezialklinik soll nach wie vor auf einen neuen Stand gebracht werden, aber anders als gedacht. „Covid-19 hat die Sache drastisch verändert“, sagt der Chirurg James Kinross, der zum Planungsausschuss gehört.
Vor Corona ging es vor allem darum, effizienter zu arbeiten. Jetzt will man ganz neue Wege gehen. Wie in St. Mary’s wird derzeit überall darüber nachgedacht, wie ein besseres Gesundheitswesen aussehen könnte. Auf den Krankenhausbau der Zukunft hat das große Auswirkungen.
Der Architekt George Mann, der als Pionier der evidenzbasierten Krankenhaus-Architektur an der Texas A&M University lehrt, vergleicht die anstehenden Veränderungen mit jenen der Verkehrsflughäfen. Die ersten sahen noch wie Bahnhöfe aus – weil es dauerte, bis man erkannte, dass der Personenverkehr ein für alle Mal anders aussehen würde. „Wir befinden uns inmitten eines Paradigmenwandels.“
Ansteckung statt Hilfe
Die Pandemie hat bereits jetzt enorme Veränderungen erzwungen. Die Chinesen stampften in zehn Tagen ein komplettes Krankenhaus aus dem Boden, während in vielen Ländern Arztsprechstunden online angeboten werden. Derweil brechen Kliniken unter der plötzlichen, enormen Belastung zusammen – selbst und vielleicht besonders im reichen Globalen Norden.
Bilder von Covid-19-Patienten, die vor einer Klinik in Neapel in ihren Autos sitzen und Sauerstoff aus Tanks atmen, rasten um die Welt. Andere, womöglich lebensrettende Behandlungen werden auf unbestimmte Zeit verschoben, während die Krankenhäuser selbst zum Ansteckungsherd werden.
Das sei keine Überraschung, meint der Krankenhaus-Architekt Thomas Schinko vom Architektenbüro Vasconi in Paris. In den reichsten Ländern der Erde sei Infektionsvermeidung in den Hintergrund geraten, weil ansteckende Krankheiten nicht mehr für die meisten Todesfälle verantwortlich sind. „Wir haben den Reflex verloren, Mitarbeiter vor Patienten oder Patienten vor anderen Patienten zu schützen“, sagt Schinko.
Die Pandemie hat Trends beschleunigt, etwa den zum „Krankenhaus ohne Wände“: die Klinik als digital verbundene Gemeinschaft anstelle eines fest umrissenen Ortes. Ihre beiden Säulen sind elektronische Gesundheitsakten (eGA) und „Telegesundheit“, die es Patienten und Ärztinnen ermöglicht, auf Distanz zu kommunizieren. In China etwa beginnt die Vorsorgekette für infektiöse Krankheiten am Flughafen, mit routinemäßigen Temperaturkontrollen (nicht nur in Pandemiezeiten). Derweil bietet die technologisch besonders fortschrittliche Kinderklinik von Philadelphia über ihr Web-Portal die Möglichkeit an, einen Arzt zu konsultieren, Laborergebnisse abzurufen oder Folgerezepte ausstellen zu lassen. 2019 rief sie ein Telegesundheits-Pilotprojekt für Schulen ins Leben. Ziel: Überwachung und Frühintervention an die erste Stelle zu setzen.
Das ist das Krankenhaus ohne Mauern – ein Krankenhaus, das überall ist, in unser Leben eingebettet. James Kinross vom St. Mary’s Hospital sagt, sie hätten vor der Pandemie erwogen, die Ressourcen stärker von den stationären hin zu ambulanten Behandlungen zu verlagern. Jetzt denke man radikaler: „Vielleicht können wir Teile der ambulanten Behandlungen gleich außerhalb des Krankenhauses anbieten.“
Womöglich wäre man so besser für den Umgang mit dieser Pandemie gerüstet gewesen, hätte ihre Auswirkungen reduzieren können; verhindern lassen hätte sie sich kaum. Da künftige Pandemien unvermeidlich sind und wir nicht wissen, wann und wo sie auftreten werden, stellt sich die Frage, wie sich die Gesundheitssysteme wappnen können. „Was wir uns nicht leisten können, sind viele leer stehende Betten, die auf eine Jahrhundertpandemie warten“, sagt Kinross.
Lösungsvorschläge für das Problem gibt es viele. Im Ronald-Reagan-Krankenhaus, das 2008 auf dem Campus der University of California in Los Angeles eröffnet wurde, können alle Patientenzimmer in Intensivzimmer umgewandelt und auf Unterdruck umgeschaltet werden, um zu verhindern, dass in der Luft befindliche Keime aus dem Raum herausgelangen. Ähnlich haben Singapur und Hongkong nach der asiatischen SARS-Epidemie im Jahr 2003 ihre Krankenhäuser angepasst.
Eine Alternative ist der schnelle Bau einer Klinik zur Erkennung und Behandlung von Epidemiepatienten dort, wo sie benötigt wird. Angesichts von SARS stellte China das Xiaotangshan-Krankenhaus in Peking in nur sieben Tagen fertig. Im vergangenen Jahr wiederholte es das Kunststück mehrfach, unter anderem in Wuhan. Innerhalb von zehn Tagen wurde das Huoshenshan-Krankenhaus aus vorgefertigten Modulen zusammengesetzt, inklusive Test- und Forschungslaboren sowie Mitarbeiterunterkünften.
Auch andere Länder bauten im Eiltempo. In Großbritannien entstanden die temporären Nightingale Hospitals. Allerdings wurden viele wenig oder gar nicht genutzt, manchmal wegen Personalmangels. Der Architekt Huang Xiqiu, der sowohl das Xiaotangshan- als auch das Huoshenshan-Krankenhaus entworfen hat, ist der Ansicht, dass medizinische Einrichtungen allein nicht ausreichen: „Nötig ist ein systematischer Ansatz.“ Das temporäre Krankenhaus müsste so konzipiert sein, dass es in einen kommunalen oder regionalen Katastrophenschutzplan eingebunden ist. Es müsste vor Ort Lager für medizinische Produkte geben, eine Liste mit verfügbarem Personal und eine Notfallzentrale zur Überwachung des Katastrophenplans. In China half es, dass der Staat alle Kosten für die Covid-19-Eindämmung übernahm.
Die temporären Kliniken in Großbritannien sind nicht zufällig nach Florence Nightingale, der Begründerin der modernen Krankenpflege, benannt, erklärt Annmarie Adams, Historikerin mit dem Schwerpunkt Krankenhaus-Architektur an der McGill University in Montreal. Architektonisch stellen sie eine Rückkehr zur „Pavillonbauweise“ dar, die im 19. Jahrhundert bevorzugt wurde, als Infektionskrankheiten noch die weltweit häufigste Todesursache waren und Belüftung als entscheidend galt. Damals besaß die typische Nightingale-Station eine kasernenartige Anordnung von Bett – Fenster – Bett – Fenster, mit viel Grünfläche drumherum. Erst mit dem Aufkommen von Antibiotika wich die Pavillonbauweise dem Modell des „Krankenhauses als Büroturm“, das im Namen der Effizienz die Fachabteilungen bündelte und sich, was Infektionen betraf, neben der Hygiene auf Antibiotika verließ. Es überrascht kaum, dass sich dieses Modell als das ungeeignetste für eine neuartige Viruserkrankung erwiesen hat. „Wir sind von Antibiotika abhängig geworden“, sagt George Mann.
Pavillon und Monoblock
Auch wenn das Krankenhaus der Zukunft ein digital in die Gemeinschaft eingebettetes Spezialzentrum ist – die Experten für Infektionskrankheiten müssen auf eine Epidemie reagieren können. Flexible Elemente sind deshalb wichtig. Luca Aldrighi, Krankenhaus-Architekt des Prager Büros von RMJM, stellt sich einen Pavillon-Monoblock-Hybrid vor: „Die Zukunft des Krankenhauses besteht darin, das Beste dieser beiden Grundrisse zu verbinden.“ Eine Lösung könnten autarke Gebäude sein, die von Gärten oder Plätzen umgeben und unterirdisch miteinander verbunden sind. Im Fall einer Krankheitswelle sollten die Pavillons durch modulare Einheiten nach außen erweiterbar sein. Krankenhäuser spiegeln nicht nur die Entwicklung der Medizin, sagt Annmarie Adams, sondern auch kulturelle Einflüsse. Früher sah man ihnen an, dass es sich um öffentliche Einrichtungen handelte, sie ähnelten Gefängnissen. Heute haben sie – passend zur Konsumkultur – eher etwas von Hotels, Shoppingmalls oder Flughäfen. Aber auch Adams glaubt: In einer Post-Corona-Welt, die sich ihrer Anfälligkeit für Infektionskrankheiten wieder bewusst ist, wird Anpassungsfähigkeit die Losung sein. „Der Fokus der Architekten wird darauf liegen, auf das Unerwartete vorbereitet zu sein.“
Kommentare 10
Dem Aufbau einer Ad Hoc-Spitalstruktur in Notfällen kommt in Zukunft sehr grosse Bedeutung zu, davon bin ich überzeugt. Das Gesundheitssystem wurde zwar in den letzten Jahrzehnten in typisch neoliberaler Manier halb zu Tode gespart, aber einem temporären Ausbau bei Pandemien o.ä. stehen diese Sparbemühungen ja nicht im Wege. On Demand-Strukturen könnten sogar helfen, weiter Kosten bei gleichzeitig höchst möglicher Effizienz einzusparen. In der Sxhweiz gab es lange Zeit zu viele Spitäler, die häufig kaum ausgelastet waren. Das Absurde: Gerade wegen der Pandemie standen in verschiedenen Regionen noch viel mehr Spitäler leer. Flexibilisierten Krankenhausstrukturen, die im Notfall auf ein Mehrfaches der Kapazität ausgebaut werden können, gehört die Zukunft. Allerdings hat dieser Gedanke einen Haken: Personalknappheit. Aber auch dieses Problem lässt sich vielleicht lösen: Schliesslich arbeitet ein Grossteil des Personals im pflegerischen und sozialen Bereich aus Gründen der Psychohygiene nur Teilzeit. Das passt eigentlich gut zu neuen Beschäftigungsformen wie z. B. der Jahresarbeitszeit.
Wir nehmen uns das Leben. (Und finden das auch noch toll). Sterben auf Raten.
Was bleibt ist der Geschlechtsakt, die Geburt mit dem kurzen Glücksgefühl für die Eltern - und dann beginnt das Vegetieren, das Sterben.
Was für eine Welt.
Warum ich das obige schreibe ? Einfach das Foto anschauen, Szenario ein altes Bahnhofsgerüst ergänzt mit "Schubfächern". Aber Hauptsache digitalisiert. Frage : Wie gefühllos möchtest Du noch werden, Mensch ?
Was für ein Glück hatte ich doch. Wundervolle Reisen in andere Länder, entdecken anderer Kulturen, wundervolle Bücher von Hesse, Dürrenmatt, Vilon ... Grass u.v.m., Konzerte im schnuckeligen Rahmen mit maximal 2000 Zuschauer/-innen, wahre Klangkunstwerke, mit Gitarre, Bierfass gemeinsam zum Steinbruch, singen, tanzen, lachen "wenn die Sonne versinkt hinter den Bergen".
Das Bizarre zur Gegenwart : Die da oben kassieren ab, die Unternehmen leisten keinen Beitrag mehr für die Gemeinschaft ... und wir sind glücklich. In einem Artikel/ Interview einer seriösen Zeitung sagte ein Mann der in China lebt "26 Jahre lebe ich nun in China, die ersen 23 waren schrecklich, doch dann kam die neue Regierung machte das Land durch Überwachung und Controlling sicher. Jetzt bin ich wirklich glücklich."
„Da künftige Pandemien unvermeidlich sind und wir nicht wissen, wann und wo sie auftreten werden, stellt sich die Frage, wie sich die Gesundheitssysteme wappnen können. „Was wir uns nicht leisten können, sind viele leer stehende Betten, die auf eine Jahrhundertpandemie warten“, sagt Kinross.“
Das ist doch eigentlich der verräterische Satz.
Und ein sich wiederholendes Muster. Am Anfang deklariert man ein klar erkennbares und benennbares Problem zu Nichtproblem und wenn das Nichtproblem dann manifest ist, sagt man, nun müssen man sich eben an die Realitäten anpassen und dürfe nicht träumen.
In Klarschrift: Wieso sollten Pandemien unvermeidlich sein?
„In Klarschrift: Wieso sollten Pandemien unvermeidlich sein?“
Das ist das derzeitige Apokalypsen-Narrativ Europas: Es kann alles nur noch schlimmer kommen. Diese Endzeitstimmung prägt langsam sämtliche Bereiche des gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Lebens. Resultat: Europa wird zunehmend zum Sonderfall. Die ganze Welt merkt das. Nur Europa nicht.
Ergänzend: Europa droht langsam die grösste Weltuntergangssekte der Welt zu werden.
Warum gleich so düster? Ich meinte im Grunde nur, dass es sehr wohl Mittel und Wege gibt, dass man Pandemien nicht nur bekämpfen oder beherrschen kann, ich habe zum Beispiel keinen Bock auf eine vierteljährlichen Impfmarathon bis zu meinem Lebensende, so dankbar ich auch bin, diese Möglichkeit zu haben.
Aber man kann in meinen Augen sehr wohl etwas daran ändern, dass der Trend zu immer häufigeren Pandemien gebrochen wird und immerhin war das vergangene Jahr ein gutes Trainingslager, das uns aber nicht davon abbringen sollte, die Ursachen nachzugehen und unsere Leben zeitlich und räumlich zu entzerren.
Von aussen betrachtet, wirkt Europa sehr düster. Nach der Pandemie ist vor der Pandemie, lautet das Artikelthema. Natürlich, was den sonst! Man hat ganz offensichtlich Gefallen gefunden an der Apokalypse. Wo entwickelt Europa denn heute noch so etwas, wie eine positive Vision? Der Medientenor: Morgen geht die Welt unter. Oder übermorgen. Unisono. So etwas kennt man hier in Asien nicht. Das ist wirklich ein ausgesprochen bemerkenswertes Phänkmen.
„Man hat ganz offensichtlich Gefallen gefunden an der Apokalypse.“
Wir sind ein im besonderen Maße gefährdeter, weil alter und gedrubbelter Kontinent. Bislang konnte sich Europa immer zurück lehnen und stand nicht groß im Fadenkreuz der Krisen, nach 1945.
Die Tendenz Dinge zuzuspitzen, aber auf der anderen Seite unverändert zu lassen, ist doch im Grunde europäische Tradition. Ich habe im Sommer 2016 einen Artikel darüber geschrieben, der diese extremen Sichtweisen zwischen Weltuntergang und 'alles so gut wie nie' thematisiert hat. Da war Corona noch ein Bier.
„Wo entwickelt Europa denn heute noch so etwas, wie eine positive Vision? Der Medientenor: Morgen geht die Welt unter. Oder übermorgen. Unisono. So etwas kennt man hier in Asien nicht. Das ist wirklich ein ausgesprochen bemerkenswertes Phänkmen.“
Wir verlieren ja gerade auch real etwas. Von der Deutungshoheit bis zum politischen und wirtschaftlichen Einfluss.
„Da war Corona noch ein Bier.“
Hahaha, selten so gelacht: You made my day :o)
Aber Europa könnte auch anders. Europa ist einfach zu schön. Gerade deshalb tut es so weh, mit beobachten zu müssen, wie sich die Europäische Union an den Rand der Bedeutungslosigkeit bewegt- mit wehenden Fahnen, natürlich. Wie üblich. Und im Brustton tiefster Überzeugung (= Prinzipientreue bis zum Untergang). Man tut so wichtig in Brüssel, ein Wirtschaftsraum mit 400 Mio. Menschen, undso. Und verliert trotzdem fortlaufend, nicht nur an Bedeutung. Da tritt ein wertvolles und wichtiges Mitglied aus- wegen der Prinzipientreue. Kollateralschaden. Der chinesische Aussenminister besucht den Osten, Berlin lässt er aus. Oder Brüssel. Der Süden ersäuft in Schulden. Corona = Ever lasting Lockdown. Impfen war gestern. Und der Türkei versucht man auch zu zeigen, wo der Hammer hängt. Prinzipien, what else? Undsoweiter.
Aber die Schweiz, das kleine Stachelschwein... lässt man auflaufen, wo‘s nur geht. Entzieht ihr z. B. die Börsenäquivalenz- ein Schuss in den Ofen. Prinzipien, was denn sonst? Aber das nur so nebenbei.
Traurig, dieses Europa, wirklich. Wenn man nicht wüsste, ja, überzeugt davon ist, dass es auch anders ginge. Wenn man denn wollte. Statt dessen grosse Gesten bei wachsendem Bedeutungsverlust, ganz real.
Ja, das hat eine traurige Seite, aber ich glaube, dass bestimmte Aspekte des Europäischen einfach auch vorbei sind. Es liegt an uns, ob wir eine Transformation schaffen, oder ob da außer von der Leyens schwer pathosgetränktem Geschwafel mehr kommt.
Prinzipien sehe ich da nicht viele, außer Wirtschaftsprinzipien. Viele Fortschrittsideen sind gerade am Ende, die stille Überzeugung, dass der Fortschritt zum Besseren ungebrochen weiter läuft, ist komplett geschreddert, aber das leitende Gedankenexperiment ist immer noch 'der Schleier des Nichtwissens': Man darf sich Zeit und Ort an dem man geboren wird aussuchen, aber nicht das Geschlecht, Ethnie und die soziale Schicht. Da käm' außer Europa wenig in Frage, zumindest bei mir.
Was hinterlässt Europa der Welt? Ein Erbe und Aufklärung und Wissenschaft, aber auch ein mörderisches Effizienzdenken, das Christentum und die Erfindung des Individuums. Der Osten hat seine Stärke im Gefühl für Zwischenräume, Zeitqualitäten und einer Schicksalsgläubigkeit, die nicht nur schlecht ist. Der buddhistische Weg ist vermutlich der beste der Welt, nur die Mystiker des Westens haben ähnliche Höhen erreicht.