In der dänischen Nationalgalerie schwebt eine Plastikblase aus einem High-Tech-Material, leichter als Luft. Als ich vorsichtig den durchsichtigen Boden im Inneren der Blase betrete, kann ich in 30 Metern Tiefe das Geschehen in der Galerie beobachten.
Ich strauchle, als sich ein Museumsangestellter zu mir in die Blase gesellt. Wir krabbeln wie Babys in diesem Plastikzelt in den Lüften herum, fühlen uns schwindelig und setzen uns schließlich hin, um darüber zu sprechen, wie es wäre, wenn unsere Kinder einst in einer Stadt aus solchen Blasen leben würden, abgeschottet von unserem verseuchten Planeten.
Wir fragen uns, wer wohl einst das Glück haben wird, einen solchen Zufluchtsort zu besitzen und stellen uns vor, wie Kinder mit Liedern über die lange
htsort zu besitzen und stellen uns vor, wie Kinder mit Liedern über die lange verlorene Erde in den Schlaf gesungen werden. Es ist eine düstere Unterhaltung, die ich und der Fremde da führen.Die Installation des argentinischen Architekten und Künstlers Tomás Saraceno ist das größte Exponat der Ausstellungsreihe „Rethink“, die im Vorfeld des Klimagipfels über ganz Kopenhagen verteilt stattfindet. Saraceno ist hocherfreut, als ich ihm erzähle, was ich in seiner Blase erlebt habe. Genau dies sei die Rolle, welche die Kunst beim Kampf gegen den Klimawandel spielen müsse. „In der Kunst geht es doch darum, dass man Dinge, die man für selbstverständlich hält, neu überdenkt.“Saraceno ist einer der Künstler, deren Werke zurzeit in Kopenhagen und in der Ausstellung „Earth“ in der Royal Academy in London zu sehen sind. Aktivisten sind seit langem erstaunt darüber, dass die Kunstwelt das Thema Klimawandel so zögerlich entdeckt. So gesehen könnte man sagen, dass diese Ausstellungen Indiz eines jähen Erwachens sind.Pinguine oder EisbergeDie Kuratoren dies- und jenseits der Nordsee sagen, das Feedback der Künstler sei so überwältigend gewesen, dass sie ihre Ausstellungsräume doppelt hätten belegen können. Beide berichten, es sei ungewöhnlich leicht gewesen, von der jeweiligen Regierung Unterstützung zu bekommen. Es scheint, als hätten die Politiker erkannt, dass es ihnen nur eingeschränkt möglich ist, die Bevölkerung für dieses Thema zu sensibilisieren, und dass sie nun deshalb auf andere Kommunikationswege zurückgreifen.„Ich wollte keine Pinguine oder Eisberge “, erzählt Kathleen Soriano, die Kuratorin von „Earth“. „Wir wollen nichts buchstäbliches, wir wollen nicht informieren. Wenn die Besucher Informationen suchen, dann finden sie die auf unserer Webseite. Wir wollen eine ästhetische Resonanz.“Dieser Schwerpunkt ist deutlich erkennbar. Es gibt viel Schönes zu sehen, doch es hat stets einen drohenden Unterton. In Kopenhagen besteht die Installation Acid Rain von Bright Ugochukwu Eke aus 6.000 hängenden Plastiktüten. Sie funkeln grau, transparent oder schwarz, wie eine Weihnachtdekoration. Doch sie enthalten Kohlenstaub – den Stoff, an dem die Bewohner des Nigerdelta aufgrund der massiven Ölförderung ersticken.Auf den ersten Blick sieht die Arbeit des chinesischen Künstlers Yao Lu wie eine stilisierte Landschaft mit Bergen und Wolken aus, aber wer genauer hinsieht, erkennt, dass er auf eine städtische Müllkippe schaut.Gary Humes Arbeit The Industrialist ist die Bleistiftzeichnung eines Schornsteins, der Rauch ausstößt. Er nennt sie sein Totengedicht für Industrielle. Er gibt zu, dass er mit der Aufgabenstellung so seine Probleme hatte. „Wie soll man eine globale Katastrophe abbilden?“ fragt er. „Ich bin zu egoistisch, um die Zwangslage, in der die Welt sich befindet, beschreiben zu können. Also habe ich die Zwangslage meiner eigenen kleinen, erbärmlichen Existenz beschrieben.“Hume erzählt von seiner Zusammenarbeit mit Cape Farewell, einer Initiative, die Künstler und Wissenschaftler, in Humes Fall in der Antarktis, zusammenbringt. Er beschreibt die Erfahrung als „wunderschön, aber schwer mir mit meinem Alltag in Verbindung zu bringen.“ Er trennt Müll, züchtet Gemüse und hat sich um die Energieeffizienz seines Hauses gekümmert.Trotzdem muss er mit schmerzhaften Widersprüchen leben. „Die Käufer meiner Werke gehören zu denjenigen, die der Umwelt den größten Schaden zufügen und ich benutze keine umweltverträglichen Farben. Ich habe das Gefühl, mich entschuldigen zu müssen, weil ich die Welt nicht verbessern kann. Der Klimawandel ist für meine Kunst eine Nummer zu groß.“Trost spendenHume spricht über die Möglichkeit, dass Millionen sterben könnten, aber er ist auf der Hut vor der Faszination, die die Apokalypse seit jeher auf die bildenden Künste ausübt. Er hat keine großen Ambitionen, da ihm bewusst ist, dass das Überleben der Menschheit für die Natur irrelevant ist. Aber er möchte Trost spenden.Dieses Gefühl von Demut kennt auch Keith Tyson. Er hat sein Werk Nature Painting mit einer Mischung aus giftigen Chemikalien und Pigmenten gemalt. Es ahmt natürliche Formen, wie etwa die Zellenbildung, nach. „Die Natur hat ihre eigene Intelligenz, die die unsere weit übersteigt“, meint Tyson. „Wir sprechen darüber, dass wir die Erde retten wollen, aber eigentlich meinen wir, dass wir uns selbst retten wollen. Die Erde wird sich um sich selbst kümmern.“Tyson besuchte einen Vortrag bei der Europäischen Organisation für Kernforschung (Cern), wo sich der Teilchenbeschleuniger befindet. „Wissenschaftler sprachen dort vor Wissenschaftlern. Was sie sagten, war entsetzlich – weit entsetzlicher als man es sich ausmalen würde. Es war furchterregend.“Diese Erfahrung führte ihm seine Aufgabe als Künstler klarer vor Augen. „Es ist nicht Aufgabe der Kunst, Lösungen vorzuschlagen. Ihre Aufgabe ist subtiler. Sie soll uns dazu anregen, über die Frage nachzudenken, was es im 21. Jahrhundert bedeutet, ein Mensch zu sein und unsere Position neu zu bewerten. Wir haben weniger Macht, als wir denken. Die Natur bringt uns hervor. Diese Art von Lektion ist zu subtil, um sie im Lehrplan unterzubringen, deshalb muss die Kunst sie vermitteln.“Der Kuratorin Kathleen Soriana waren diese widersprüchlichen Blickwinkel bewusst, als sie „Earth“ zusammenstellte. „Ich wollte nicht moralisieren“, erklärt sie. Die Annahme, die Ausstellung sei die politischste, die in der Royal Academy je stattgefunden habe, macht sie nervös. Die Organisatorin der Kopenhagener Ausstellungsreihe "Rethink", Anne Sophie Witzke, erzählt, die beteiligten Galeristen hätten große Vorbehalte gehabt. Sie fürchteten, man werde sie der Propaganda bezichtigen.Eine solche Zurückhaltung verärgert die Künstlergruppe Platform, die seit über 20 Jahren daran arbeitet, Kunst und Aktivismus zu vereinen. „Die Kunst stolpert seit etwa 50 Jahren an der Schnittstelle zwischen Repräsentation und Transformation herum“, kritisiert der Platform-Aktivist James Marriott. „Davor ging es in der Kunst immer um Transformation und Überzeugung. Denken Sie nur an Goya. Er wollte seine Zeitgenossen von der schrecklichen Natur des Krieges überzeugen.“Marriot glaubt, dass die Kunst wieder zielgerichteter wird. Platform hat in den vergangenen 50 Tagen 100 Events im Arnolfini-Zentrum in Bristol veranstaltet. Viele der beteiligten Künstler werden sich den Aktivisten während des Gipfels in Kopenhagen anschließen.Marriott ist froh, dass der Klimawandel endlich die Aufmerksamkeit bekommt, die er dringend braucht. „Je mehr desto besser“, sagt er. Die Kritik, die Künstler würden jetzt auf einen fahrenden Zug aufspringen, lässt er nicht gelten. Aber er stört sich daran, dass viele Künstler, Kuratoren und Einrichtungen für ihre eigene CO2-Bilanz blind sind. „Allein, was für die Ausstellungskataloge an Holz um die ganze Welt geschleppt wird. Dass sie Kataloge auf Recyclingpapier drucken lassen, ist doch eine lächerliche Alibihandlung – kein börsennotiertes Unternehmen würde damit durchkommen.“Zeitgenössische Kunst ist ein teures, globales Geschäft. Künstler, Kuratoren und Exponate reisen im Flugzeug um die Welt, die Galerien selbst benötigen teure Klimaanlagen. In der Tat räumen die Kuratoren in London und in Kopenhagen ein, dass sie keine Ahnung haben, welche CO2-Bilanz ihre Ausstellungen haben.Charlie Kronick ist Berater mit dem Schwerpunkt Klimawandel bei Greenpeace. „Es geht nicht darum, dass wir die Künstler benutzen, um unsere Botschaft mit fremdem Kapital auf der Agenda nach oben zu bringen“, sagt er. „Die Künstler müssen diese Agenda zu ihrer eigenen machen. Es ist wichtig, dass sie sich ihre Glaubwürdigkeit bewahren.“Aus KohlerückständenInitiativen wie Cape Farewell haben eine ganze Reihe von Künstlern durchaus beeinflusst. Der Schriftsteller Ian McEwan und der Bildhauer Antony Gormley haben sich zu ihren Erfahrungen mit Cape Farewell mit Begeisterung geäußert. Andere, wie die Künstlerin Cornelia Parker, fühlen sich von der Notwendigkeit, sich mit etwas so großem auseinanderzusetzen, eingeschüchtert.„Ich versuche als Bürgerin und Künstlerin in meinem Alltag meinen Teil beizutragen“, sagt sie. Sie fliegt selten, und wenn doch, dann gleicht sie ihre Flüge aus. Aber sie räumt ein, dass ihr Werk Heart of Darkness, das aus den Kohlerückständen eines Waldbrands besteht, ursprünglich nichts mit dem Klimawandel zu tun hatte. Ursprünglich hatte sie bei diesem Exponat, das nun Teil der „Earth“-Ausstellung ist, an Al Gores Wahlniederlage gedacht. Jetzt wurde es Teil des Klimawandel-Diskurses.Ganz ähnlich bekommt auch Gormleys Installation Field hier eine neue Bedeutung. Eine ängstliche Menschenmenge, die aus einem Raum der Royal Academy strömt, und nicht weiß wohin.Parker beschäftigt sich seit langem mit dem Apokalyptischen. Doch erst als sie von Wissenschaftlern hörte, wie schwierig es für sie sei, Politikern das Ausmaß des Klimawandels begreiflich zu machen, erkannte sie, dass der Kunst hier eine zentrale Rolle zukommt. Sie spricht von einem „Ruf zu den Waffen“, aber sie möchte nicht mit einer konkreten Forderung in Verbindung gebracht werden.Nur eines ihrer Werke – ein Interviewfilm mit NoamChomsky, der in Kopenhagen gezeigt wird – beschäftigt sich direkt mit dem Klimawandel. „Die Absicht des Films war propagandistisch“, sagt sie, und fügt zögernd hinzu, dass das vielleicht notwendig ist. „Immerhin wurden auch während des Ersten Weltkriegs Künstler herangezogen, um beim Kampf gegen den Krieg zu helfen. Das hier entspricht einem Krieg.“
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