In Teheran ist die ursprüngliche Freude über die Volksaufstände des Arabischen Frühlings bohrender Besorgnis gewichen. Wurde der Fall des ägyptischen Erzrivalen Mubarak von der iranischen Führung noch begrüßt, so verhält sie sich im Augenblick, da mit Syrien ein verbündeter arabischer Staat von Unruhen erschüttert ist, aus nachvollziehbaren Gründen völlig anders. Noch besorgniserregender als die Lage für Präsident Assad in Damaskus dürfte für die religiösen und weltlichen Führer des Iran die Vorstellung sein, die revolutionäre Stimmung in der Region könnte die niedergehaltene Oppositionsbewegung im eigenen Land veranlassen, erneut ihre Stimme zu erheben.
Zunächst war man in Washington und Jerusalem der Ansicht, Teheran werde vom Zusammenbruch der alten arabischen Ordnungen profitieren, doch scheint das Urteil nicht länger haltbar. Machtkämpfe innerhalb des Regimes köcheln weiter. Der Ausgang ist offen – und an strategischen Gewissheiten über den Kurs des Iran fehlt es allemal. Da auch die Sanktionen wegen des Atomprogramms Wirkung zeigen, könnte die Zeit, da Teheran seinen Gegnern zu widerstehen vermag, bald zu Ende sein.
Im Sog der Ereignisse scheinen die „schrecklichen Zwillinge“ – Präsident Ahmadinedjad und Revolutionsführer Chamenei – etwas aus dem Tritt, zudem verletzbar und uneinig. Bei seinem ursprünglichen Versuch, die arabische Befreiungstendenz für die eigene Sache in Anspruch zu nehmen, verlor Chamenei über den Umgang mit der Demokratiebewegung im eigenen Land kein Wort. „In der Region ist mit der Gnade Gottes eine neue Strömung in Erscheinung getreten“, erklärte er zum persischen Neujahr im März. „Das auf islamische Ziele ausgerichtete Erwachen vieler arabischer Nationen wird mit Sicherheit von Erfolg gekrönt sein.“ Freilich wurde Syrien nicht erwähnt. Seitdem der weltliche Charakter der dortigen Unruhen nicht mehr zu leugnen ist, wird die Demokratiebewegung nicht länger als „revolutionär“ gedeutet. Stattdessen beklagt sich die Teheraner Führung über die NATO-Intervention in Libyen und eine amerikanisch-israelische Verschwörung zum Sturz von Bashar al-Assad in Damaskus.
Zweifellos steht viel auf dem Spiel. Syriens Bedeutung für den schiitischen Iran kann kaum überschätzt werden: Das Land sichert eine Brücke zur libanesischen Hisbollah und zur Hamas-Regierung in Gaza – und es ist ein Alliierter gegen Israel und die USA. Damaskus hat Teheran bisher ganz allgemein die Tür zur arabischen Welt geöffnet. Insofern dürfte Ahmadinedjad widerwillig, aber notgedrungen das westliche Urteil teilen, wonach sich – unabhängig vom Schicksal Assads – das politische Gleichgewicht zwischen dem alevitisch-schiitischen Regime in Damaskus und der sunnitischen Bevölkerungsmehrheit Syriens irreversibel zu verschieben beginnt. Und das eindeutig zu Ungunsten des Iran.
Mehr Gelassenheit
Bei einem Besuch in der Türkei meinte Mahmud Ahmadinedjad, es bestehe keine „Notwendigkeit für eine ausländische Intervention“ in Syrien, als ob die derzeit in Aussicht stehe. Eine offizielle Erklärung aus Teheran drängte sowohl die syrische Regierung als auch die Demonstranten, sie sollten im Interesse der anti-zionistischen Solidarität Kompromisse suchen. „Wenn Assad überlebt, müsste er zum Iran ein Stück weit auf Distanz gehen, um seine sunnitischen Gegenspieler zu beschwichtigen“, zitiert der amerikanische Kommentator David Ignatius US-Stellen. „Falls Assad fällt, ist mit einer sunnitisch dominierten Führung Syriens zu rechnen, die Iran distanziert gegenüber stehen dürfte.“
Die negativen Folgen, die der Umbruch in Arabien für den Iran hat, hören mit Syrien nicht auf. Die Zwangsheirat zwischen Hamas und Fatah nach Jahren bitterer Entfremdung wird auch darauf zurückgeführt, dass sich die Hamas-Führung in ihrem syrischen Hauptquartier zunehmend unwohl fühlt. Zugleich verbürgt die Versöhnung neues Selbstbewusstsein des Vermittlers Ägypten, das nach dem sklavischen Pro-Amerikanismus Mubaraks wieder an Statur gewinnt und für seriöse Mediation bei arabischen Konflikten gut sein kann.
Ein Ägypten, das Israel stärker Paroli bietet – etwa, indem es die Übergänge nach Gaza geöffnet hält –, könnte Teheran wohl zugutekommen, nur wäre ein demokratisches und unabhängiges Staatswesen am Nil zugleich ein beachtlicher Konkurrent für Teherans regionale Ambitionen. Gegenüber der Washington Post meinte der neue ägyptische Außenminister Nabil El-Araby, Kairo schlage in all seinen Beziehungen ein neues Kapitel auf. Ob dies auch gegenüber Iran gilt, sagte er nicht.
Bahrains König Isa al-Khalifa hat die Regierung in Teheran beschuldigt, sie plane einen Staatsstreich gegen ihn. Und auch im Libanon kritisiert Ex-Premier Saad Hariri eine „unverhohlene iranische Intervention“. Man dürfe nicht zulassen, dass Teheran die mit ihm verbündete Hisbollah instrumentalisiert, um Libanon in ein „iranisches Protektorat“ zu verwandeln.
All dies wird in den USA und in Israel zur Kenntnis genommen, wo führende Politiker – mit Ausnahme von Benjamin Netanjahu – mit der iranischen „Gefahr“ gelassener umgehen, als dies noch vor einem Jahr der Fall war. „Die Iraner sind in Schwierigkeiten“, kommentiert die Zeitung Haaretz. „Da verhält sich Israel am besten ruhig, mischt sich nicht ein und lässt den internen Prozessen in Teheran und Damaskus ihren Gang.“
Keine sonderlich glücklichen Umstände, tatsächlich gefährlich werden sie aber für Ahmadinedjad und Chamenei erst dann, wenn der Arabische Frühling die iranische Opposition wiederbelebt. Schon jetzt nehmen die Kämpfe zwischen den politischen Fraktionen vor dem Hintergrund der 2012 fälligen Parlamentswahlen weiter zu. Bei einer letzten Demonstration im Februar skandierten Oppositionelle einen Slogan, der den „schrecklichen Zwillingen“ zu denken geben sollte: „Ob in Kairo oder in Teheran, Tod den Tyrannen!“
Simon Tisdall ist Nahost-Kolumnist des GuardianÜbersetzung: Holger Hutt
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