Seit der Bau einer unterirdischen Anlage zur Urananreicherung in Qom bekannt wurde, war von der inneriranischen Opposition nur wenig zu hören. Aber an Teherans brüsker Zurückweisung der Kritik im Westen lässt sich die anhaltende Nervosität des Regimes ablesen: Wird nun die Unterstützung für das Atomprogramm in der Bevölökerung weiter abnehmen? Wie werden sich die „lähmenden“ Sanktionen auswirken, die von den USA und ihre Verbündeten im Falle mangelnder Kooperationsbereitschaft angedroht werden?
Die Behauptung von Präsident Ahmadinedjad, die Nation stehe rückhaltlos und geschlossen hinter seinem Verlangen, die „nuklearen Rechte“ des Iran zu respektieren, hat im Vergleich zur Stimmung vor ein paar Monaten erheblich an Überzeugungskraft eingebüßt. Die blutigen Konflikte um die Rechtmäßigkeit der Präsidentschaftswahl vom Juni haben hässliche Wunden hinterlassen. Die Aufmerksamkeit der internationalen Öffentlichkeit hat sich wieder anderen Themen zugewandt, was zum Teil mit der Schließung reformorientierter Zeitungen und Websites sowie einem De-facto-Arbeitsverbot für westliche Journalisten zusammenhängt. Im Land geht die Aufarbeitung der Ereignisse dennoch weiter.
Propaganda-Offensive
Der unterlegene Präsidentschaftskandidat Moshen Rezai hat inzwischen vorgeschlagen, einen Nationalen Wahlausschuss ins Leben zu rufen, „damit die Regierung nicht mehr in Wahlangelegenheiten eingreifen“ könne. Der Ausschuss soll auch rückwirkend Einfluss nehmen und Unregelmäßigkeiten bei den Wahlen vom Juni korrigieren können. Selbst der gewiefte Taktiker, Ex-Präsident Rafsandschani, der den Präsidentschaftskandidaten Mussawi gegen Ahmadinedjad unterstützt hatte, ließ durchblicken, dass der Expertenrat, dem er vorsitzt und dem die verfassungsmäßige Aufsicht über Revolutionsführer Ayatollah Khamenei zukommt, sich noch mit „aktuellen Problemen“ befassen könnte.
Auch wenn all dies im Sande verläuft, so passt es doch nicht in das stereotype Bild von der totalitären Diktatur, die sich mit Polizeiknüppeln Autorität verschafft. Das ändert nichts daran, dass Revolutionsführer Khamenei, Präsident Ahmadinedjad und dessen Gefolgschaft im Augenblick alle Hände voll zu tun haben, in der von ihnen gesuchten Auseinandersetzung mit dem Westen die Reihen geschlossen zu halten. So behauptete der frühere Atom-Chefunterhändler des Landes, Ali Laridschandi, im Vorfeld der jetzigen Verhandlungen in Genf, die Iraner seien Opfer einer „neuen Propaganda-Offensive des Westens“.
Das Abfeuern von Raketen mag den Hardlinern in Teheran gut tun. Derart trotzige Gesten haben aber offenbar wenig Einfluss auf die selbstreflexive Stimmung im Land. Während einige konservative Tageszeitungen wie etwa Keyhan stur an der Rhetorik der Konfrontation festhalten, schlagen andere, ebenfalls dem konservativen Lager zugehörende Blätter wie etwa Jaam-e-Jam einen wesentlich nachdenklicheren Ton an: „In der heiklen Lage, in der wir uns gegenwärtig befinden, ist eine Neubewertung der konstitutionellen Grundlagen der Islamischen Republik Iran absolut notwendig“, war dort in einem Leitartikel zu lesen. Die Zeitung Hemayat warnte vor einer möglichen „Konfrontation der Bevölkerung mit den Politikern der Revolution“. Die den Reformern nahe stehende Arman drängte unterdessen die Regierung, dem Rat „prominenter Persönlichkeiten“ – wahrscheinlich war damit der frühere Präsident Mohammed Khatami gemeint – zu folgen und „wieder Ruhe und Frieden in der Gesellschaft einkehren zu lassen“.
Ziviler Ungehorsam
Wegen des Atomstreits warnt das Blatt Arman die Leser, dass mittlerweile selbst US-Präsident Obama von der Möglichkeit einer militärischen Lösung des Konfliktes spreche. „Das oberste Ziel der iranischen Außenpolitik sollte darin bestehen, eine weitere UN-Resolution gegen das Land abzuwenden.“ Stattdessen müsse man wieder mit der Internationalen Atombehörde (IAEA) kooperieren, um weitere Reglementierungen durch den UN-Sicherheitsrat zu verhindern.
Auch wenn die gärende Unruhe in Politik und Medien nicht notwendig zu einer Erhebung der Bevölkerung führen muss, ist die Tatsache, dass Widerstand und Dissens weiterhin spürbar sind, dennoch bemerkenswert. Dies gilt ebenso für den offenen Ungehorsam, den am Jerusalem-Tag Mitte September Zehntausende von Demonstranten zeigten. Sie nutzten die öffentlichen Aufmärsche, mit denen in jedem Jahr die Solidarität mit Palästina zum Ausdruck gebracht wird, um ihre Verachtung für das Regime zu artikulieren. Der Al-Quds-Tag bot ihnen nach zwei Monaten erstmals wieder Gelegenheit, ihren Unmut öffentlich zu äußern.
Übersetzung: Holger Hutt
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