Schon in der vergangenen Woche, da war ein Ende der Eskalation in der Ukraine noch nicht absehbar, sind im Hintergrund immer mehr mächtige Männer von Wiktor Janukowytsch abgewichen, indem sie sich mit verhaltenen Schritten auf diejenigen zubewegt haben, die gegen den Präsidenten auf dem Maidan demonstrierten. Auf der Website von Rinat Achmetow beispielsweise, der Mann gilt mit einem geschätzten Vermögen von 16 Milliarden US-Dollar als der reichste des Landes, wurde eine Stellungnahme veröffentlicht, in der er zu einem verstärkten Dialog aufruft. Wie man das in unsicheren Zeiten halt so macht: „Die politische Krise kann nur durch friedliches Handeln gelöst werden. Geht es so weiter wie bisher, wird es in der Ukraine keine Gewinner geben, sondern nur Verlierer. Vor allem aber wird Gewalt uns nicht helfen, einen Ausweg zu finden.“
In der Ukraine hat nach dem Kollaps der Sowjetunion ein halbes Dutzend Oligarchen enormen Reichtum erlangt. Das ähnelt der Lage in Russland während der neunziger Jahre, als Geschäftsmänner rund um den damaligen Präsidenten Boris Jelzin um Einfluss rangelten. Als Wladimir Putin im Jahr 2000 Staatschef wurde, ließ er die Oligarchen wissen, sie könnten ihr Geld behalten, sofern sie sich aus der Politik he-raushielten. In Kiew war bislang kein Staatsoberhaupt stark genug, die Oligarchen zu zügeln. Dort verfügen sie nach wie vor über großen Einfluss, kontrollieren reihenweise Abgeordnete, besitzen Fernsehsender und halten sich extrem nah am Umfeld der politischen Führung auf.
Rinat Achmetow: 16 Mrd.
Rinat Achmetow ist der mächtigste von allen. Der ehemalige Profiboxer kontrolliert als Chef der Beteiligungsgesellschaft System Capital Management (SCM) mit seinem Firmengeflecht aus über 30 Unternehmen große Teile der ostukrainischen Stahl- und Kohleindustrie. Er galt bisher als entscheidende Kraft hinter Wiktor Janukowytsch. Ihm gehört der Fußballclub Schachtar Donezk, er beherrscht die Bergbauindustrie im ostukrainischen Donezbecken, der Hochburg des Präsidenten. Vor drei Jahren zahlte Achmetow für ein Penthouse in London 156 Millionen Euro – der höchste Preis, der in Großbritannien jemals für eine Wohnung erzielt wurde. Der ukrainische Politikwissenschaftler Volodymyr Fesenko meint: „Im Donezbecken war Achmetow jahrelang eine Art Geschäftsführer der Region, während Janukowytsch so etwas wie der politische Führer war. Heute ist Achmetow der einzige Oligarch, der den Präsidenten direkt anrufen und auf seine Position Einfluss nehmen kann.“
Die Oligarchen haben vom politischen Chaos und der Korruption profitiert, die während der zurückliegenden zwei Jahrzehnte in der Ukraine herrschten. In besonderer Weise trifft das auf Achmetow zu, dessen Vermögen in den drei Jahren der Präsidentschaft von Wiktor Janukowitsch enorm gewachsen ist. Wie keiner anderer hat er ein Interesse daran, dass die Ukraine zum Failed- oder Paria-Staat wird, der sich jeder Regierbarkeit entzieht.
Bisher haben die Oligarchen die politischen Wirren seit der Unabhängigkeit von 1991 immer wieder unbeschadet überstanden haben. Das verdanken sie ihrer Flexibilität und ihren instinktsicheren Analysen. Selbst Achmetow habe für den Fall der Fälle Beziehungen zur Opposition geknüpft, sagt Fesenko. „Für die Oligarchen ist es eine Art Versicherung, gute Beziehungen zur Opposition zu unterhalten. Man könnte es mit Termingeschäften vergleichen.“
Vitali Klitschko, den die Ereignisse längst überholt haben, weil er sie nicht mehr zu steuern vermag, glaubt, dass die Oligarchen vor allem an klaren Spielregeln interessiert seien: „Wenn ich mit ihnen rede, sprechen sie sich alle für das Prinzip des Rechtsstaats aus. Aber mit den Führungen in Kiew wechseln nun einmal auch die Regeln. Das verunsichert Unternehmen. Sie wissen nicht, ob sie ihr Vermögen behalten können.“
Serhij Kurtschenko: 800 Mio.
Wiktor Pintschuk, der zur Zeit der Präsidentschaft seines Schwiegervaters Leonid Kutschma in den Jahren 1994 bis 2005 ein ebenfalls enormes Vermögen angehäuft hat, wollte sich in den wieder unruhig gewordenen Zeit als Philanthrop und Sammler zeitgenössischer Kunst neu erfinden. In seinem Kiewer Büro wies er noch im Dezember vergangenen Jahres darauf hin, dass es während der Orangenen Revolution nicht zu Gewalt gekommen sei: „Auch diesmal brauchen wir eine friedliche Lösung“, sagt er. Pintschuk selbst führe übrigens enge Gespräche mit dem Präsidenten und wichtigen Oppositionsführern.
Nun aber, da es anders gekommen und die Gewalt wie ein Alptraum über die Hauptstadt hinweggefegt ist, werden wohl auch die Oligarchen ihre schützende Hand nicht länger über Janukowytsch gehalten haben. Sie klagten ohnehin schon länger über seinen Regierungsstil und den Aufstieg seiner Familie. Janukowytschs Sohn Alexander, eigentlich ein gelernter Zahnarzt, ist mittlerweile ein schwerreicher Mann. Und dann gibt es noch diesen mysteriösen 28-jähriger Nachwuchsoligarchen Serhij Kurtschenko, der aus dem Nichts aufgetaucht ist, ein Freund von Alexander sein soll und plötzlich, obwohl sich das Land in einer schweren Wirtschaftskrise befindet, über 800 Millionen Dollar verfügt. „Ein echtes Wunderkind – von Null auf Hundert“, sagt Vitali Klitschko über ihn.
Kurtschenko selbst lehnt jedes Interview ab, gab aber bereits an anderer Stelle zu verstehen, dass er sein Geld seinem Geschäftssinn zu verdanken habe. Vorwürfe der Korruption und Vetternwirtschaft weist er von sich. Er sei keineswegs ein „Strohmann“ der Regierung. Freilich komme er an gute Deals. Was auch etwas damit zu tun habe, dass er für die Behörden „leichter im Umgang“ sei als die traditionellen Oligarchen. „Binnen einen Jahres ist dieser unbekannte Mann mit seiner unbekannten Firma sagenhaft reich geworden“, kommentiert Juri Sirotiuk. Der Abgeordnete der nationalistischen Partei Swoboda hat beim ukrainischen Generalstaatsanwalt mehrere Anfragen eingereicht, die Kurtschenko und dessen Firmen betreffen.
„So etwas ist in unserem Land ohne Unterstützung der Regierenden unmöglich. Ich bin mir sicher, dass Kurtschenko bloß ein Strohmann ist. Immerhin hat er nicht Facebook erfunden oder sonst etwas Intelligentes getan. Es hat es einfach geschafft, Kontakte zu Regierungskreisen zu nutzen.“ Die ukrainische Ausgabe des Forbes-Magazins hat zu dem Mann recherchiert und in einem langen Artikel hinterfragt, wie jemand aus dem Nichts in so kurzer Zeit Millionen Dollar verdienen könne. Kurz daraufhin hat Kurtschenko die Verlagsgruppe, zu der das Magazin gehört, gekauft. Seither kontrolliert er auch den Korrespondent. Beide Magazine hatten zuvor zu den wenigen unabhängigen Blättern gehört, die in der Ukraine noch existieren.
„Bei den früheren Privatisierungen ging es hart und schmutzig zu. Aber wenigstens gingen halb-anständige Konzerne daraus hervor“, kommentiert Wladimir Fedorin, bis 2012 Redakteur bei Forbes. Wie die meisten seiner Kollegen kündigte er, als Kurtschenko das Blatt kaufte. „Jetzt wird einfach gestohlen. Die alte Oligarchen-Garde missbilligt die neuen Jungwölfe und deren Methoden.“
Shaun Walker berichtet für den Guardian aus Russland.
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