Ein hochrangiger UN-Mitarbeiter warnt in Khartum ungerührt und klarsichtig, es könne zwischen Nord- und Südsudan zu einem ausgewachsenen Krieg kommen, sollten die Zusammenstöße an der künftigen Grenze eskalieren. Der Süden wird am 9. Juli unter internationaler Anteilnahme in der Hauptstadt Juba seine Unabhängigkeit ausrufen. Um so mehr lohnt es, einen Blick auf all die schwelenden Konflikte zu werfen, die der sudanesischen Zweistaatlichkeit aufgebürdet bleiben.
Allein der Streit um die Provinz Abyei hat das Zeug zu latenter Konfrontation. Es geht um ein über 10.000 Quadratkilometer großes Terrain, dessen ultimativer Status im Friedensabkommen von 2005 ausgeklammert wurde. Ein für Januar 2011 angesetztes Referendum, das darüber
rüber entscheiden sollte, wem Abyei zugeschlagen wird, kam nicht zustande. Khartum und Juba fanden keinen Konsens, wer abstimmungsberechtigt sei. Von daher bleibt die Region ein gefürchteter Unruheherd. Am 27. Juni – nur eine Woche, nachdem Nord und Süd endlich ein Agreement über die Entmilitarisierung Abyeis gefunden hatten – bewilligte der UN-Sicherheitsrat den sechsmonatigen Einsatz von 4.200 äthiopischen Blauhelm-Soldaten, die darüber wachen sollen, ob die Truppen beider Seiten tatsächlich entflochten werden. Konsequenz dieser Mission wird sein, das in den beiden sudanesischen Staaten vier verschiedene Friedenstruppen stationiert sind: Neben der in Abyei handelt es sich um das von UNO und Afrikanischer Union formierte Kontingent in Darfur. Außerdem gibt es ein gesondertes UN-Korps, das über die Einhaltung des Friedensabkommens von 2005 wacht. Schließlich werden Blauhelm-Soldaten speziell für den unabhängigen Süden rekrutiert.Womit diese Missionen garantiert nicht befasst sein werden, das ist die Frage nach dem Umgang mit zwei Staatsbürgerschaften. Der Norden hat angedeutet, dass Südsudanesen weiterhin frei in seinem Hoheitsgebiet reisen, leben und arbeiten dürfen – Letzteres allerdings nicht in Regierungsjobs. Beide Seiten lehnen bislang eine doppelte Staatsbürgerschaft ab. Da im Norden sehr viele Südsudanesen zuhause sind, sollte die Übergangsperiode lang genug sein. Nur so lässt sich vermeiden, dass einzelne Sudanesen staatenlos werden.Die Nuba entwaffnen?Wer das innersudanesische Krisenbarometer in Augenschein nimmt, der erfährt unweigerlich: Das mit dem Süden verbundene Volk der Ngok Dinka wird gerade gegen die nomadisierenden Misseriya-Araber aus dem Norden ausgespielt, die Teile des Südens durchwandern, um ihre riesigen Rinderherden während der trockenen Jahreszeit grasen zu lassen. Beide Bevölkerungsgruppen haben bislang in relativem Frieden miteinander gelebt, doch die Ungewissheit über die Zukunft ihrer Siedlungszonen weckt Ängste. Die Mehrheit der Ngok Dinka würde es vorziehen, sich dem Süden anzuschließen, während die Misseriya fürchten, dies werde ihren Viehtrieb behindern und ihre Lebensweise bedrohen.Schätzungen zufolge haben diese und andere Konflikte während der vergangenen Wochen dazu geführt, dass mindestens 70.000 Sudanesen vertrieben wurden. Wenigstens gelang es den Administrationen in Khartum und Juba, sich kurz vor dem 9. Juli über die Sicherheit der künftigen Grenzprovinzen Blauer Nil und Süd-Kordofan zu einigen. Doch das ändert nichts daran, dass Khartum nach der Teilung bis zu 75 Prozent der sudanesischen Ölförderungsmenge von 75.000 Barrel pro Tag verliert. Die produktivsten der dem Norden verbleibenden Ölfelder befinden sich in Süd-Kordofan, gleichsam ein Kap der Unruhe.In der Region brachen Gefechte aus, als Milizen der nordsudanesischen Regierung versuchten, nubische Kämpfer zu entwaffnen. Viele davon hatten Seite an Seite mit der südsudanesischen Volksbefreiungsarmee (SPLA) gekämpft. Der Friedensvertrag von 2005 beförderte die Nuba jedoch in eine politische Grauzone, da ihnen eine Autonomie verweigert und nicht festgelegt wurde, was mit den 30.000 in die SPLA integrierten nubischen Rebellen passieren sollte. Der Süden vertritt bis heute die Auffassung, man sei mit den Nuba-Kriegern zwar verbündet gewesen, könne ihnen aber nicht vorschreiben, was sie tun sollten. Ein Sprecher der Regierung in Juba meint prophetisch: „Wenn der Norden die Nuba angreift, wird damit eine Lage wie in Darfur heraufbeschworen, wo der Norden gleichfalls seine eigenen Leute attackiert.“Der Norden wird sich nach dem 9. Juli in der Ölfrage schadlos zu halten versuchen, indem er seine Raffinerien, Pipelines und Häfen in die Waagschale wirft. Auf diese Infrastruktur bleibt der Süden angewiesen, um sein Öl zu transportieren, zu verschiffen und zu verkaufen. Das Friedensabkommen bestimmt, der Norden habe Anspruch auf die Hälfte der Einnahmen, die mit den Vorkommen im Süden erzielt werden – doch gibt es hierzu keine endgültige Regelung zwischen Juba und Khartum.Präsident al-Bashir droht, Pipelines zu schließen, sollte es bis zur Unabhängigkeit des Südens keine Übereinkunft geben. Entweder übergebe die Republik Südsudan weiterhin die Hälfte ihrer Öleinnahmen oder sie zahle für den Gebrauch der Infrastruktur des Nordens. Der südsudanische Präsident Salva Kiir Mayardit hat daraufhin erneut die Idee einer neuen Öltrasse durch Kenia oder Uganda ins Spiel gebracht. Deren Bau würde freilich Jahre in Anspruch nehmen. Man muss demnach mit dem Norden teilen. Sollte al-Bashir seine Ankündigung wahr machen, würde dies den neuen Staat im Süden, der zu den ärmsten Regionen der Welt zählt, schwer treffen.