Die Schnurrbart-Renaissance

Mode In Zeiten prekärer Beschäftigungsverhältnisse haben Männer mehr Freiraum, mit ihrem Äußeren zu experimentieren, etwa mit der Oberlippenbehaarung. Ein Selbstversuch

Nein, es geht nicht um eine Mutprobe. Oder um eine Tat für den guten Zweck. Oder etwa um das Charity-Projekt „Movember“, obwohl ich verstehen kann, dass Gesundheitsinitiativen für Männer durch Schnurrbart-Aktionen aufklären möchten. Ich gehe auch nicht zu einem Kostümfest als a) Mexikaner, b) aufdringlicher Sexprotz oder gar c) als mexikanischer aufdringlicher Sexprotz. Und es geht nicht um eine Filmrolle wie wahrscheinlich bei Brad Pitt und Jude Law. (Ich mache dieses Jahr bei keiner Weihnachtsmärchenaufführung mit, und diese „wegen einer Rolle“-Geschichte klingt für mich wie eine Ausrede.) Ich habe mir einen Schnurrbart aus einem einzigen Grund wachsen lassen: Weil ich es kann.

Natürlich ist es nicht ganz so. Ich kann mir einen Schnurrbart wachsen lassen, seit ich 14 bin, doch zum ersten Mal habe ich das Projekt in Angriff genommen. Obwohl ich in den letzten drei Jahren fast immer Vollbartträger war und an der Uni zeitweilig einen Spitzbart trug, mit dem ich im Nachhinein betrachtet wie ein hoffnungsloser Hypnotiseur aussah, habe ich es mit einem Schnurrbart nie länger ausgehalten als einen kurzen Moment lang beim Rasieren, bei dem ich dachte: „So sehe ich also mit einem Schnurres aus“.

Danach ging's weiter mit der Rasur. Schließlich stehen Schnurrbärte nicht unbedingt für die besten unter uns, ob in der Realität oder in der Fiktion. Ob bei Stalin oder Hitler, Fu Manchu oder Dick Dastardly, der Schnurrbart ist die bevorzugte Gesichtsbehaarung der Bösen. Der Bösen oder Blödel. Deshalb sind falsche Schnurrbärte häufig komisch und sollen einen zum Lachen bringen.

Und dann gab es die 70er Jahre, die oft, wenn auch zu unrecht, als geschmackloses Jahrzehnt gelten. Die empfundene Geschmacklosigkeit dieser Zeit führte dazu, dass Schnurrbärte mit negativen Assoziationen verbunden sind. Natürlich war Burt Reynolds damals ein Sexsymbol, doch wären die Village People, die als Bauarbeiter, Cowboy und Vorzeigeschwuler mit ihrem Schnurrbart protzten, niemals auf einer Liste der bestangezogenen Männer erschienen.

Die goldenen Tage Hollywoods, in denen ein schnurrbärtiger Clark Gable wie ein Gott erstrahlte, waren längst vorbei. Tatsächlich wurden Schnurrbärte erst dann wieder irgendwie cool, als Brandon Flowers von The Killers seine Gesichtsbehaarung sprießen ließ. Auf der Cool List 2007 des britischen Musikmagazins NME landete der Schnurrbart von Flowers auf Platz 18; er selbst dümpelte auf Platz 44.

Gestern geschmacklos, heute cool?

In letzter Zeit erlebt der Schnurrbart wie davor der Bart eine Art Renaissance. Selbst wenn Brad Pitt und Jude Law vielleicht behaupten, dass ihre Schnurrbärte wichtig für ihre Arbeit sind, würde ich darauf wetten, dass sie an ihnen auch ziemlich Spaß haben. Unabhängig von den Gründen für ihre Gesichtsbehaarung haben die Stars einen Trend gefördert und dazu beigetragen, dass der Schnurrbart wieder salonfähig ist.

Und so werden Schnurrbärte bei hippen jungen Männern in East London gesichtet. Ich habe mir einen wachsen lassen, weil ich herausfinden wollte, ob ich genauso cool wie die Jungs aussehen würde, die damit auf den Straßen von Shoreditch protzen, oder ob ich einfach nur lächerlich wirken würde. Oder noch schlimmer: wie mein Vater um das Jahr 1979.

Denn, so schwer es auch zu glauben ist, ich bin von Natur aus nicht modisch. Ich besitze die Fähigkeit, einen Trend mausetot zu kriegen. Bei mir wirken die stylischsten Dinge auf einen Schlag altbacken. Kennt ihr diese langen, schweren Strickjacken, die momentan ein absolutes Muss sind? Ich sehe in meiner wie Sue Johnston in The Royle Family aus.

Laut Charlie Porter, dem stellvertretenden Herausgeber des Magazins Fantastic Man, ist das vermehrte Auftreten von Schnurrbärten teilweise zurückzuführen auf die zunehmende Bereitschaft der Männer, mit ihrem Aussehen zu experimentieren, und auf die Prekarisierung des Arbeitsplatzes.

„Es gibt weniger Arbeitsplätze, bei denen man wegen seines ungewöhnlichen Aussehens gefeuert werden kann. Deshalb haben Männer mehr Möglichkeiten zum Herumexperimentieren. Männer können ihre Haare und Bärte wachsen lassen. Sie tun dies, um zu sehen, wie es ihnen steht. Mit einem Schnurrbart kann man z. B. das Gesicht betonen.

Doch beim Experimentieren steht man dermaßen unter öffentlichem Beschuss, dass man die Nerven dazu haben muss", meint Porter. „Mir fällt dazu schwerlich ein weibliches Äquivalent ein. Wenn Frauen sich den Pony schneiden lassen, kann dies Anlass zu Kommentaren geben, doch zieht dies nicht den Spott auf sich, wie es manchmal beim männlichen Schnurrbart der Fall ist.“ Mag er in bestimmten Gegenden als cool gelten, so bleibt der Schnurrbart auch als komisches Element erhalten.

Nicht nur einmal musste ich in weniger als einer Woche versichern, dass er nein, nicht angeklebt ist. Zusammen mit den Anspielungen auf Magnum, Peter Mandelson in seinen Schnurrbartjahren und Freddie Mercury wird das Ganze irgendwann leicht langweilig.

Außerdem hat die Movember-Initiative nicht gerade dazu beigetragen, dass ich und mein Schnurrbart ernst genommen werden (auch wenn ich gerne vor den Gefahren von Prostatakrebs und anderen Krebserkrankungen warne). Wenn ihr also diese Zeilen lest, könnte mein Schnurrbart sich verabschiedet haben oder, besser gesagt, könnte mein Bart zurück sein.
George Clooney kann sich ja vielleicht einen Schnurrbart leisten, allerdings muss er auch nicht mit meinen Freunden ins Pub gehen. Oder vielleicht behalte ich ihn doch und züchte ihn.

Die World Beard and Moustache Championships werden nächstes Jahr in Alaska stattfinden, und es gibt sechs Kategorien, für die der Schnurres nominiert werden kann, wie z. B. als „Dali“, „Ungar“ (für den großen und buschigen Schnurrbart) oder für die Kategorie „Freestyle“. Wenn ich jetzt mit dem Züchten anfange, könnte ich bestimmt irgendwo gewinnen. Doch selbst ohne einen solchen Preis in Aussicht lohnt es sich wohl, den Schnurrbart aus einem ganz besonderen Grund zu behalten: Damit werde ich vielleicht endlich nicht mehr mit Giles Coren verwechselt.


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Übersetzung: Jeanette Mohr
Geschrieben von

Gareth McLean | The Guardian

Der Freitag ist Syndication-Partner der britischen Tageszeitung The Guardian

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