Da ich nur wenige Kilometer von Old Trafford das Licht der Welt erblickt habe, ist es mein Schicksal, mein Leben lang Fan von Manchester United zu sein. Das war in den vergangenen Jahren zugegebenermaßen keine allzu große Bürde, und von der besten Mannschaft der Welt im Champions League-Finale geschlagen zu werden, ist ebenfalls zu verschmerzen. Selbst in fortgeschrittenem Alter bereiten mir die einzigartigen Augenblicke vorzüglicher sportlicher Leistungen, die der Fußball bereithält, erheblichen Genuss (auch wenn sie jetzt aus einem Fernsehsessel verfolge): die treibende Energie eines Lionel Messi, die taktische Meisterschaft eines Paul Scholes, die explosive Präzision eines Steven Gerrard, die elegante Raffinesse eines Dimitar Berbatov, die überragende Athletik eines Petr Cech.
Doch die Millionen, die in Entzücken geraten, wenn sie dieses großartige Spiel auf höchstem Niveau ausgeführt sehen, werden systematisch von denjenigen enttäuscht, die am meisten von seiner unaufhaltsamen weltweiten Expansion profitieren. Der legendäre Witz des ehemaligen Liverpool-Trainers Bill Shankly – Fußball sei keine Frage von Leben und Tod, „er ist wesentlich wichtiger als das“, – gewinnt von Saison zu Saison an Wahrheit, da das Spiel immer tiefer in den skrupellosen Strudel von Kommerz und Habgier hineingezogen wird. ManU macht da leider keine Ausnahme.
Schon andere haben darauf hingewiesen, dass Fußball zunehmend einer Religion gleicht. Doch hinter den stärker sichtbaren kultischen Merkmalen des Spiels –– seinen performativen öffentlichen Ritualen, seiner Identität stiftenden Kraft sowie seiner Fähigkeit, Bewunderung hervorzurufen – liegt eine quasi-religiöse Triebkraft, die weit mächtiger ist: das unpersönliche, hegemoniale System des globalen Finanzkapitalismus, das sich nicht um die Besonderheit des Spieles oder die Leute schert, die es betreiben oder genießen, sondern allein von der Anbetung von Profit, Macht und Status getrieben wird.
Die Symptome sind für alle offen ersichtlich:
- die grotesk hohen Gehälter der Top-Spieler und deren kindische Melodramen, die sie vor der sensationslüsternen Presse aufführen und sich von dieser auch noch anheizen lassen,
- die ungerechte Verteilung der Erlöse aus den Übertragungsrechten für Funk- und Fernsehen zwischen den Spitzenclubs und den weniger betuchten unter ihnen, die astronomische Verschuldung mancher europäischer Clubs, bei der die Vereine der englischen Premier League (EPL) mit schlechtem Beispiel vorangehen,
- die rücksichtslose Übernahme von Premier-League-Mannschaften durch ausländische Milliardäre,
- der Schaden, der den Familien fanatischer und verschuldeter Fans zugefügt wird
- und schließlich – und fast zwangsläufig – die lähmenden Korruptionsvorwürfe gegen die Spitzenfunktionäre der Fifa.
Die Folgen dieser Zerstörung der Seele des Fußballs kann man auch Woche für Woche auf dem Platz beobachten, wo der durch die Investoren ausgeübte gnadenlose Erfolgsdruck Professionalität und Sportsgeist gefährden: das Verhalten der Spieler gegenüber dem Schiri, Schwalben und andere Formen des Betrugs, eine hohe Fluktuation der Spieler, die der Herausbildung eines kontinuierlichen Stils einer Mannschaft entgegenwirkt sowie erodierende lokale Loyalitäten; überfüllte Spielpläne, belanglose Fehden zwischen Spielern und Trainern; völlig verfrühte Entlassungen erfahrener Trainer, wenn die ungeduldigen und erfolgshungrigen Besitzer das Zeichen dazu geben und unerschwingliche (und zunehmend unverkaufte) Karten, die Fans mit geringem Einkommen gewissermaßen aus dem Stadion der ersten Liga verbannen (in Deutschland sind die Tickets wesentlich billiger).
Das wirklich Erstaunliche daran ist, dass es sich trotz alledem meistens noch immer lohnt, sich die Spiele anzusehen – was den Fertigkeiten, der Hingabe und Besonnenheit der Mehrheit der Spieler und Trainer sowie der angesichts all der widerstrebenden Kräfte erstaunlichen Loyalität der Fans zu verdanken ist.
Hier eine Auswahl an Dingen, die verändert werden müssten, um den schweren Fehlentwicklungen entgegenzuwirken, die sich im Profifußball Bahn gebrochen haben:
- Es müssten strenge Regeln in Bezug auf die zulässige Verschuldung von Vereinen festgelegt werden (wie von der Uefa gefordert wird).
- Ein weitaus größerer Anteil der Erlöse aus Übertragungsrechten müsste unter den Vereinen der unteren Ligen verteilt werden.
- Man müsste eine Vereinbarung treffen, wie man die Gehälter der Spitzenspieler deckeln könnte (Spieler Mitte Zwanzig wie Wayne Rooney und Carlos Tevez müssten mit 200.000 Pfund im Jahr eigentlich auskommen).
- Der Transfermarkt bräuchte ebenfalls strengere Bestimmungen, sowohl, um die Geschwindigkeit zu drosseln, mit der Transfers abgeschlossen werden, als auch um den Anteil ausländischer Spieler in jedem Verein zu reduzieren.
- Man müsste dafür sorgen, dass die Spieler dem Schiedsrichter ebenso viel Respekt entgegenbringen, wie dies im Rugby der Fall ist.
- Eine komplette Reform der Fifa unter Androhung der Nichtteilnahme an der nächsten Weltmeisterschaft oder sogar in Form der Errichtung einer Konkurrenzorganisation, die sich der Integrität, Transparenz und finanzieller Bescheidenheit verschreibt.
Fußball ist ein schönes Spiel und keine Frage von Leben und Tod. Es muss nur dringend aus den Klauen der korrumpierenden Religion des globalen Finanzkapitalismus befreit werden. Die meisten Leute wissen nicht, dass der moderne Fußball Ende des 19. Jahrhunderts aus den städtischen Missionen der Kirche entstanden ist. Aber viele werden mir dennoch zustimmen, dass das, was er heute braucht, eine Befreiungstheologie des 21. Jahrhunderts ist.
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