Die Stolze

Porträt Nana Mouskouri erhebt ihre Stimme nicht nur für Schlager-Fans. Die Sängerin engagiert sich seit langem auch politisch. Sie "schmerzt, wie über Griechenland geredet wird"

Es ist Frühling in Athen, und die Mandarinenbäume sind beladen mit kräftigen Früchten. Im Obergeschoss einer ruhigen Buchhandlung in der Nähe des Abgeordnetenhauses findet eine Pressekonferenz statt. Sechs Leute erklären den anwesenden Journalisten, warum die Wohnung eines der bekanntesten Lyriker Griechenlands erhalten werden muss. In der Mitte sitzt eine Frau, die sowohl durch ihre völlige Regungslosigkeit, als auch durch ihre riesige, dunkle Brille auffällt. Sie spricht ruhig in ein Mikrofon, ist sich ihres Publikums sicher. Mit ihrer Rede ist auch die Sitzung zu Ende. Die Menschen stehen zusammen, nippen an ihren Weingläsern und stecken sich Zigaretten an, plaudern und tratschen, wie man dies bei jedem Literatentreffen beobachten kann.

Wenn Nana Mouskouri in diesen Tagen jedoch Besucher begrüßt, so tut sie dies mit folgenden Worten: „Willkommen im sorgenschweren Athen.“ Gleich um die Ecke stehen bewaffnete Polizisten in Alarmbereitschaft. Immer wieder demonstriert die Bevölkerung auf den Straßen gegen die neuesten Sparmaßnahmen der Regierung. In jener Woche folgte der dritte Einschnitt in drei Monaten und gleichzeitig der drastischste: 4,8 Milliarden Euro an Lohnkürzungen, Steuern erhöht, Urlaubsgeld um 30 Prozent reduziert, staatliche Rentenansprüche eingefroren.

Und in eben jener Woche hat Mouskouri, die berühmteste Pensionärin des Landes, erklärt, sie werde ihren Teil zu den Sparmaßnahmen beitragen und völlig auf ihre Rente verzichten. Obwohl die 75-Jährige gar nicht in Griechenland lebt. „Ein Sprichwort besagt, dass eine Schwalbe noch keinen Sommer macht“, sagt sie und lächelt ein wenig, „aber immerhin.“ Ihre Stimme ist ruhig und fast monoton – das Leben als öffentliche Person, mit unzähligen Interviews in einer ihrer sechs Sprachen, über 50 Jahre hinweg, haben ihr eine merkwürdige Mischung aus Offenheit und Distanz verliehen. Mouskouri wirkt routiniert und aufrichtig zugleich. Ihre Brille, hinter der sie sich seit Kindertagen versteckt, verstärkt diesen Eindruck.

Der richtige Stolz

Anders als die sozialdemokratische Regierung, die reiche Auslandsgriechen dazu aufgerufen hat, das Land in diesen schwierigen Zeiten finanziell zu unterstützen, will Mouskouri von anderen nicht verlangen, ihrem Beispiel zu folgen. „Ich glaube an den Stolz und den guten Willen eines jeden.“ Später erwähnt sie, dass eine Parlamentsabgeordnete für eine bestimmte Zeit ihre Bezüge spenden wolle: „In Griechenland nennen wir das philotimo. Das bedeutet, einen bestimmten Stolz zu haben – nicht Arroganz, sondern Stolz –, ihn richtig einzusetzen und etwas für das Land tun zu wollen. Ich glaube, das gibt es. Ich hoffe es. Zumindest weiß heute jeder um die Krise.“

Obwohl, so räumt sie ein, es ewig gedauert habe, bis alle über die Lage informiert gewesen seien. Das sei ein Teil des Problems und ein völlig verständlicher Grund für den Ärger der Leute. Im vergangenen Oktober hatte die neu gewählte sozialdemokratische Regierung die wenig beneidenswerte Aufgabe, zu verkünden, dass die Staatsschulden weit höher lägen als die vorhergehende Mitte-Rechts-Regierung unter der Leitung der Partei Nea Dimokratia (Neue Demokratie) zuletzt zugeben musste – fast 13 Prozent des BIP. „Die Griechen haben das Gefühl, dass die Regierung sie betrogen hat“, sagt Mouskouri. „Und das nicht erst jetzt, sondern seit Jahren.“

Mouskouri ist selbst Nea-Dimokratia-Wählerin und war von 1994 bis 1999 fünf Jahre lang für die Partei im Brüsseler Europaparlament. Einige waren überrascht, sie als gewissenhafte Politikerin zu erleben, die in mehren Ausschüssen saß und das Ariane-Programm ins Leben rief, mit dem die Übersetzung und Veröffentlichung kleinerer europäischer Sprachen wie Katalán, Baskisch, Irisch oder Griechisch in der EU gefördert wird.

Sie musste dennoch schnell feststellen, dass sich ihre Vorstellung von Integrität in der Politik nicht lange aufrecht halten ließ: „Ich war mit hohen Idealen gekommen“, sagte sie einmal, „aber ich habe schnell begriffen, dass man in der Politik das System akzeptieren und das Spiel mitmachen muss oder besser schnell wieder geht. Das ist traurig.“ Auch zeigte sie sich außerstande, der Parteilinie treu zu bleiben: Wenn sie etwa in einer Frage die Haltung der Sozialisten teilte, so stimmte sie auch mit diesen ab. Das gereicht einem in der Politik nicht unbedingt zum Vorteil.

Aufbegehren der Bürger

In Hinblick auf die gegenwärtige Stimmung in Griechenland verspürt sie ein „gewisses Aufbegehren“ der Bürger, auch bei sich selbst. Dennoch hält sie es nicht für ausreichend, nun mit dem Finger auf die Schuldigen zu zeigen. „Wir müssen das Ansehen des Landes retten. Und natürlich das Land selbst. Wir sind ein Teil Europas und haben als Mitglieder eine Verpflichtung.“

Aber genau da, wie insbesondere die Deutschen lautstark betont haben, liegt der Haken. Im Ausland herrscht ein gewisses Bedürfnis danach, Griechenland für seine Disziplinlosigkeit zu bestrafen. Zwei Abgeordnete von CDU und FDP forderten sogar allen Ernstes, die Griechen sollten doch die Akropolis, das Pantheon und ein paar ägäische Inseln verkaufen, um das nötige Geld zusammen zu bringen. Mouskouri nimmt sich die Prügel, die ihr Land einstecken muss, ganz offensichtlich zu Herzen. „Griechenland beherrscht die Nachrichten. Wo ich auch hinsehe, gibt es Geschichten darüber, dass mein Land Pleite geht. Die Leute macht das aggressiv. Denn niemand sieht es gern, wenn sein Land so schlecht be­handelt wird. Es ist beängstigend. Mich schmerzt das sehr.“

Was aber ist mit der nicht ganz unbegründeten Wahrnehmung, in Griechenland herrschten Verschwendungssucht und Korruption, die Menschen würden früher in Pension gehen als anderswo, der öffentliche Sektor sei aufgeblasen und allgemein herrsche ein sehr lockeres Verhältnis zu Regeln und Gesetzen? „Ich denke, es kommt darauf an, dass ab jetzt alle ihre Steuern zahlen werden“, erwidert Mouskouri. Aber dies würde einen grundlegenden kulturellen Wandel bedeuten: Die Steuerhinterziehung hat Schätzungen zufolge zu einer Schattenwirtschaft in Höhe von 25 Prozent des Bruttoinlandsproduktes geführt. „Mmmm. Ich denke, dass die Länder des Nordens den Süden nicht leicht verstehen können. Mich macht nur traurig, dass wir jetzt schon eine ganze Weile in der EU sind, aber ein paar Lektionen immer noch nicht gelernt haben. Es gibt viel zu tun, eine Demokratie ist sehr schwer zu erneuern. Aber wie schon gesagt: Nichts ist unmöglich.“

Wenn jemand das weiß, dann Mouskouri. Sie wurde auf Kreta geboren und war zwei Jahre alt, als ihre Familie nach Athen zog. Dort lebten die Mouskouris hinter einem Freiluftkino, in dem ihr Vater als Vorführer arbeitete. Als sie sechs Jahre alt war, überfiel Nazi-Deutschland Griechenland am 6. April 1941. Sie und ihre Schwester Eugenia beobachteten von ihrem Fenster aus, wie Widerstandskämpfer eine Handgranate auf eine Gruppe von Deutschen warfen. Einem wurde das Bein abgerissen, der Platz füllte sich mit Schreien und Blut. Soldaten durchsuchten die Nachbarschaft und das Haus der Mouskouris nach den Tätern und zerrten alle Männer und Jungen nach draußen. Die Schwestern hatten solche Angst, dass sie nicht zu atmen wagten und gebannt auf die Szenerie starrten, bis die Deutschen zu schießen begannen und der erste Grieche zusammenbrach.

Ihre Familie war schon vorher arm, aber die Okkupation machte sie notleidend. Zwei Jahre lang gab es keine Schule und schlimmer noch, nichts zu essen – 2.000 Griechen verhungerten im ersten Winter der Besatzung. „Regentage gerieten uns zu Festen, denn dann konnten wir Schnecken und Frösche sammeln“, schrieb sie in ihrer Autobiographie. „Mama hatte nichts, um die Schnecken zu würzen, aber es gab genug von ihnen, um unsere Mägen zu füllen und das war alles, was zählte.“ Als Jahre später ihre Karriere begann, musste sie diese Erinnerungen bewusst verdrängen, als sie zum ersten Mal in Deutschland auftrat. Die Deutschen dankten es ihr, indem sie ihr den ersten internationalen Hit bescherten – „Weiße Rosen aus Athen“.

Der Krieg kam auch in den Wortgefechten, die in den vergangenen Wochen zwischen Deutschland und Griechenland stattgefunden haben, wieder zur Sprache. Mouskouri schweigt dazu diplomatisch. Griechenlands Vize-Premierminister Theodoros Pangalos hingegen sind derlei Skrupel fremd: „Sie haben das Gold geraubt, das in der Bank von Griechenland lagerte. Sie haben griechisches Geld gestohlen und es nie zurückgegeben. Mit diesem Thema wird man sich befassen müssen.“

Sie wisse jedenfalls, was es heißt, hungrig zu Bett zu gehen und dann nicht schlafen zu können, weil man einen leeren Magen hat, stellt sie nüchtern fest: „Ich werde nie vergessen, wie es zum ersten Mal wieder Suppe gab.“ Nach dem Krieg, „als die Freiheit kam“ und die britischen Soldaten eine Suppenküche einrichteten, wollten ihre Eltern nichts davon haben. „Sie sagten: „Nein, nein, nein, wir sind nicht hungrig.“ Und man konnte sehen, dass das nicht stimmte, aber sie wollten, dass wir aßen. Ich erinnere mich noch, wie meine Schwester mit riesengroßen Augen auf die Suppe starrte und ich mich fragte, ob meine Augen genauso aussahen.“

Nach dem Krieg hatte die Familie immer noch kein Geld, weil der Vater alles verspielte. Aber es gab mehr zu essen, und, wie um sich für den Hunger zu entschädigen, aß und aß sie in einem fort. Mit zehn Jahren war sie dick, als sie ins Teenager-Alter kam, wog sie 100 Kilo. In der britischen Presse wurde viel und herablassend darüber geschrieben, dass sie nie versucht hat, sich besonders sexy zu kleiden oder ihr Äußeres in welcher Form auch immer zu verändern – auch wenn sie es mithilfe von Diätspezialisten geschafft hat abzunehmen. Für sie war es Teil einer Entscheidung, sich so zu akzeptieren, wie sie ist: „Entscheidend ist, was mein Herz und mein Mund sprechen.“ Erfolgreich war sie damit allemal. Sie nahm über 1.500 Lieder in 15 Sprachen auf und ist mit weltweit über 230 goldenen und Platin-Platten eine der erfolgreichsten Künstlerinnen aller Zeiten.

Singende Schwestern

Beide Schwestern sangen für ihr Leben gern, beide wurden auf das Konservatorium geschickt. Nach einem Jahr wurde klar, dass die Familie nur einen Platz bezahlen konnte. „Der Professor erklärte meinen Eltern, dass die ältere Schwester großartig sei und eine wunderschöne Stimme habe. Meine Schwester hatte, wie sich herausstellte, nur ein funktionierendes Stimmband – aber der Professor war überzeugt davon, dass sie weiter singen müsse, weil es ihr so wichtig sei.“ Ihre Mutter wollte die Entscheidung nicht treffen. „Da sagte meine Schwester, sie wolle gar nicht mehr unbedingt. Ich denke, sie hat sich geopfert. Wie auch immer, sie bereut es nicht.“ Wirklich nicht? „Das sagt sie jedenfalls.“ Glaubt sie ihr? „Ich will ihr glauben. Aber ja, ich habe mich jahrelang schuldig gefühlt.“ Was ihrer Meinung nach auch kulturelle Gründe hat: „In Griechenland wachsen die Leute grundsätzlich mit Schuldgefühlen auf. Ich bin schuldig, wenn andere Leute nicht so erfolgreich sind oder wenn meine Familie ein Problem hat. Dasselbe gilt für meine Kinder. Ich habe versucht, ihnen ein wunderbares Leben zu geben und ich war viel mit ihnen zusammen. Aber dennoch habe ich das Gefühl, als Frau versagt zu haben, weil ich es nicht geschafft habe, meine Familie zusammen zu halten.“

Mit 25 heiratete sie den Mann, den sie als erstes geküsst hatte. Er spielte Gitarre in ihrer Begleitband. Sie hatten zwei Kinder, lebten sich aber auseinander, persönlich wie musikalisch. Er hatte zunehmend ein Problem damit, der weniger berühmte Partner in der Ehe zu sein, was stark von der vom Machismo geprägten griechischen Norm abwich. Sie ließen sich scheiden, als sie 39 war. Ihren gegenwärtigen Partner, Andre Chapelle, traf sie nur wenig später. Er war damals ihr Tontechniker. Aber die beiden heirateten erst 2003: „Ich wollte nicht noch einen Vater in die Familie bringen.“ Und sie hatte ein Kindermädchen, das 25 Jahre lang für sie arbeitete.

Sie selbst würde sich wohl nicht als revolutionär bezeichnen, aber sie ist sich der Tatsache bewusst, dass sie eine Art unfreiwillige Pionierin war. Sie ließ sich scheiden und verstieß damit gegen alle Grundsätze ihrer Erziehung. Offensichtlich ist sie immer noch verletzt von dem, was damals über sie geschrieben wurde. „Ich glaube, dass ich mich mein Leben lang als Frau, als Sängerin und Mutter beweisen musste.

Sie vergleicht den Druck mit dem, was es für sie bedeutet, Griechin zu sein. „Ich fühle mich verantwortlich, denn wenn ich etwas Falsches tue, heißt es: ‚Oh, sie ist Griechin.‘“ Was das bedeutet, wird ihr Land in den kommenden Wochen nur allzu gut kennenlernen.

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Übersetzung der gekürzten Fassung: Holger Hutt
Geschrieben von

Aida Edemariam | The Guardian

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