Die Strafe könnte die Hölle auf Erden sein

Klimakrise Der IPCC-Bericht klagt die Menschheit an. Sie trägt die Schuld am Klimawandel. Jetzt sitzen die verantwortlichen Politiker:innen auf der Anklagebank
Die Folgen menschlichen Handelns sind beispielsweise Waldbrände
Die Folgen menschlichen Handelns sind beispielsweise Waldbrände

Foto: STR/AFP via Getty Images

Liest man den neuen Bericht des Weltklimarats (IPCC) als Urteil über die Klimaverbrechen der Menschheit könnte es nicht eindeutiger ausfallen: Wir haben uns extrem schuldig gemacht.

Über Jahrzehnte wurden die Warnungen von Wissenschaftler:innen ignoriert. Nun sind sie Wirklichkeit geworden. Die Menschheit hat durch ihr Handeln – oder Nicht-Handeln – den Planeten überhitzt. Kein Teil der Erde entkommt den steigenden Temperaturen, den heftigeren Überflutungen, den immer heißeren Waldbränden oder immer sengenderen Dürren.

Die Zukunft sieht noch schlimmer aus. „Wenn wir unsere Emissionen nicht bald stoppen, kann unser zukünftiges Klima leicht zur Hölle auf Erden werden“, beschreibt Professor Tim Palmer von der Universität Oxford die Lage.

Das wäre dann die Strafe für die begangenen Klimaverbrechen, aber noch steht sie aus. Noch kann die Menschheit die härtesten Folgen abwenden, wenn auch nur knapp. Die Versäumnisse, die die Welt an den Rand des Abgrunds gebracht haben, müssen endlich nachgeholt werden. Das bedeutet: Die Emissionen müssen sofort und deutlich verringert werden.

Der Bericht macht politische Alibis zunichte

Ein zentraler Aspekt des IPCC-Reports ist, dass der 42-seitige Bericht Zeile für Zeile von allen Regierungen der Welt gebilligt wird, wobei die Wissenschaftler jedem politisch bequemen, aber unwissenschaftlichen Vorschlag widersprechen. Diese Transparenz führt dazu, dass Regierungen ihr Nicht-Handeln nicht weiter kaschieren können: Der Bericht macht ihre Alibis zunichte. „Zu viele 'Netto-Null'-Klimapläne wurden dazu benutzt, die Umweltverschmutzung und das „business as usual“ grün zu waschen", erklärt Teresa Anderson von ActionAid International.

Der Bericht stellt derartige Pläne durch das Statement bloß, wonach sich weiter verschlimmernde Folgen nur durch unmittelbares Handeln vermeiden lassen. Die derzeitigen Waldbrände in Kalifornien, Griechenland und der Türkei, Überflutungen in Deutschland, China und England, Hitzewellen in Kanada und Sibirien sind nur ein Vorgeschmack auf die Auswirkungen. Wie Greta Thunberg es formuliert: Die Klimakrise muss wie eine Krise behandelt werden.

Was getan werde müsse, sei wohlbekannt und der IPCC-Bericht müsse Ansporn dafür sein, sagt UN-Generalsekretär António Guterres: „Der Bericht muss die Todesglocke für Kohle und fossile Treibstoffe läuten, bevor sie unseren Planeten zerstören. Wenn wir jetzt alle Kräfte bündeln, können wir die Klimakatastrophe noch abwenden. Aber der Bericht macht auch deutlich: Es ist keine Zeit für Aufschub und kein Raum für Ausreden.“

Jede einzelne Entscheidung zählt jetzt. Helen Clarkson ist CEO der Climate Group, die 220 regionale Regierungen und 300 multinationale Unternehmen und damit 1,75 Milliarden Menschen und 50 Prozent der Weltwirtschaft vertritt. Sie sagt: „Jede Entscheidung, jede Investition, jedes Ziel muss das Klima ins Zentrum stellen.“

Nicht zu handeln, ist weitaus teurer

Der in dem Bericht dargelegte Ernst der Lage lässt das Gejammer über die angeblichen Kosten des Klimaschutzes in den Hintergrund treten. In jedem Fall wird Nicht-Handeln weitaus mehr kosten. „Es ist selbstmörderisch und ökonomisch irrational, weiter zu zögern“, formuliert es Professor Saleemul Huq, Direktor des Internationalen Zentrums für Klimawandel und Entwicklung an der Unabhängigen Universität Bangladesch.

Bei Regierungen und Unternehmen, die weiterhin nicht handeln, könnte der IPCC-Bericht als zentraler Beweis gegen sie genutzt werden. „Wir werden den Bericht mitnehmen, wenn wir vor Gericht ziehen“, sagt Kaisa Kosonen von Greenpeace.

„Durch die wissenschaftliche Untermauerung des Zusammenhangs zwischen vom Menschen verursachten Emissionen und extremem Wetter hat der Weltklimarat ein neues, mächtiges Mittel bereitgestellt, die fossile Brennstoffindustrie und Regierungen direkt für die Klimakrise verantwortlich zu machen“, erklärt sie. „Man muss sich nur unseren jüngsten Sieg vor Gericht gegen Shell ansehen, um zu realisieren, wie mächtig die wissenschaftlichen Ergebnisse des Weltklimarats sein können.“

Nicht Beweise fehlen, sondern politischer Wille

Es bleibt Hoffnung, aber es wird eng. Christiana Figueres, die 2015 bei der Aushandlung des Übereinkommens von Paris Vorsitzende des UN-Klimasekretariats war, sagt heute: „Alles Nötige zur Verhinderung der exponentiellen Auswirkungen des Klimawandels ist machbar. Der Erfolg hängt davon ab, dass die Lösungen schneller vorankommen als die Auswirkungen.“

Mit dem IPCC-Klimabericht liegen jedenfalls alle notwendigen Beweise vor. „Das anhaltende Zaudern, gegen den Klimawandel anzukämpfen, hat nichts mehr mit fehlenden wissenschaftlichen Beweisen zu tun, sondern ganz klar mit fehlendem politischen Willen“, erklärt Kristina Dahl von der Union of Concerned Scientists, auf Deutsch etwa: „Vereinigung besorgter Wissenschaflter:innen“, die sich für Abrüstung und Klimaschutz einsetzt.

Auf der Anklagebank sitzen also jetzt die verantwortlichen Politiker:innen. Die entscheidende UN-Klimakonferenz in Glasgow im November könnte die letzte Anhörung sein, bei der sie das Urteil der Geschichte noch abwenden können.

Der digitale Freitag

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Übersetzung: Carola Torti
Geschrieben von

Damian Carrington | The Guardian

Der Freitag ist Syndication-Partner der britischen Tageszeitung The Guardian

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