Die syrische Karte

Irak Zum dritten Mal seit August wurde Bagdad in dieser Woche von koordinierten Bombenanschlägen erschüttert. Schuld daran, trage auch Syrien, sagt die irakische Regierung

Die Bilder gleichen sich: Anschläge mit über 100 Toten und wie nach Belieben zerstörte Regierungsgebäuden, auf die eine mit den anstehenden Wahlen beschäftigte Regierung nicht nur entrüstet reagiert, sondern auch durch Schuldzuweisungen an politische Gegner und Aufständische. Premier al-Maliki macht eine Allianz aus im syrischen Exil lebenden Baathisten und militanten Islamisten für die Attentate verantwortlich. Damaskus wird seit langem vorgeworfen, Feinden des Irak Asyl und Unterschlupf zu gewähren. Im Vorfeld der für den 6. März März vorgesehenen Parlamentswahl haben nun sogar beide Seiten ihre Botschafter abberufen.

Treffen in Zabaniyi

Freilich können die irakischen Offiziellen ihre Anschuldigungen nur unzureichend belegen, was der Inbrunst ihrer Überzeugung keinen Abbruch tut. Die syrische Regierung habe zumindest indirekt ihr Einverständnis zu der auf syrischem Boden geplanten umstürzlerischen Kampagne gegeben. Ein von irakischen Sicherheitskräften zusammengestelltes Dossier, das Ende August syrischen und türkischen Geheimdienstlern – unter ihnen Syriens Spionagechef Ali Mdouk – vorgelegt wurde, bezieht sich in der Hauptsache auf ein Treffen, das am 30. Juli in der syrischen Stadt Zabaniyi stattgefunden haben soll. In diesem Dokument wird behauptet, dabei seien auch Leute des irakischen Geheimdienstes anwesend gewesen. Die hätten berichtet, zwei führende und wohl bekannte Mitglieder der einstigen Baath-Partei Saddam Husseins hätten den Vorsitz geführt. Des Weiteren seien frühere Offiziere der irakischen Armee sowie Vertreter von Milizen präsent gewesen, die für die blutigen Jahre 2006 und 2007 in der Anbar-Provinz verantwortlich zeichneten. Unter anderen Kommandeure der Salaheddin- und der Islamischen Armee des Irak. „Sie kamen darin überein, die Regierung in Bagdad zu stürzen. Es war das erste Mal, dass diese Gruppen eng kooperierten. Die Anwesenden wählten einen Anführer und taten sich zusammen“, so der Bericht.
Die offizielle irakische Version der Ereignisse geht also davon aus, dass eine normalerweise kaum denkbare Allianz aus säkularen Baathisten und Militanten, die jede Regierungsform ablehnen, wenn sie nicht den Gesetzen der Scharia folgt, seit dem 30. Juli miteinander konspirieren, um Kräfte zu bündeln und das Land vor den Wahlen im März 2010 mit einem erneuten Sturm der Verwüstung zu überziehen.

Kein Vertrauen mehr

Nach Aussage eines führenden Beamten des irakischen Geheimdienstes hatten es die Terroristen ursprünglich auf Brücken und nicht Ministerien abgesehen. „Sie wollten an einem Tag – dem ersten Tag des Ramadan – vier Brücken angreifen und sich aus einem Arsenal von 2.000 Artillerie- und Mörser-Granaten bedienen“, so die Quelle weiter, „die sie in einem Versteck in der Nähe von Baquba, nördlich von Bagdad, versteckt hatten. Aber wir haben sie gefunden. Deshalb verwarfen sie den Plan mit den Brücken und griffen stattdessen zu Bomben aus Amoniumnitrat, die in LKW und Wassertanks versteckt waren.“

Über Einzelheiten der Ermittlungen war von irakischer Seite bislang nichts zu erfahren. Man verlässt sich voll und ganz auf die angeblichen Geständnisse zweier Verschwörer, die im staatlichen Fernsehen ausgestrahlt wurden. Deren Offenbarungen sollten den Eindruck vermitteln, man habe die Attentäter im Griff. Viele Bagdader scheinen denn auch der Version zu glauben, die Verantwortung liege zumindest teilweise bei Militanten, die mit al Qaida in Verbindung stehen. Die Hoffnung, die Regierung sei in der Lage, die Menschen vor weiteren Anschlägen zu schützen, scheint freilich merklich zurückgegangen.

Die im Kulturministerium angestellte 33-jährige Balsem Ahmed aus dem Westen der irakischen Hauptstadt meint, sie glaube nicht, dass es keine Bomben mehr geben werde. Auch nach der Wahl müsse man damit rechnen. Keiner fühlt sich mehr sicher. Ich habe kein Vertrauen in den Schutz durch die irakischen Sicherheitskräfte. Ich bin in meiner Wohnung gefangen.“

Übersetzung : Holger Hutt

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Geschrieben von

Martin Chulov, The Guardian | The Guardian

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