Die Täter von nebenan

Amokläufer Nach den Bomben von Kampala führt die Spur der Attentäter nach Somalia. Islamische Milizen könnten sich an Uganda für dessen Part im UN-Friedenskorps gerächt haben

Die ugandische Polizei ist davon überzeugt, dass der Anschlag vom 11. Juli in Kampala, bei dem 74 Menschen ermordet wurden, von der somalischen Gruppe al-Shabaab zu verantworten ist. Sollte sich dies bestätigen, hat die Organisation ihren Aktionsradius deutlich ausgeweitet. Bislang haben die al-Shabaab (auf Arabisch: „die Jugend“) eine recht lokale Agenda verfolgt, auch wenn ihre Rhetorik davon abwich. Hierin spiegelt sich die Geschichte der Gruppe. Die Harakat al-Shabaab al-Mudschahedin (Vereinigung der Mudschahedin-Jugend) ist eine Splittergruppe der Union der Islamischen Gerichte (UIG), einer Koalition islamischer Gruppen, die weite Teile Somalias unter ihre Kontrolle gebracht haben. Die UIG folgen einem strengen Sitten-Kodex auf Basis der Scharia, den sie als Lösung für die vielen Probleme des von Armut und Krieg geplagten Landes ansieht.

Freiwillige aus den USA

Nachdem sie Ende 2006 von der äthiopischen Armee in die Flucht geschlagen wurde, zerbrach die UIG. Was blieb, das waren ihr bewaffneter Arm beziehungsweise ihre Jugendorganisation al-Shabaab. In aufeinander folgenden Feldzügen nahmen Letztere unter der Führung von ranghohen Geistlichen und „Scheichs“ mindestens ein Drittel Somalias, inklusive eines Großteils der Hauptstadt Mogadischu, ein. Ihr Wachstum auf mehr als tausend Kämpfer ging mit zwei wesentlichen Entwicklungen einher: Radikalisierung und Internationalisierung.

Erstere äußerte sich in Exekutionen, der Abtrennung von Gliedmaßen und patrouillierenden jungen Männern, die an die Religionspolizei der Taliban Mitte der neunziger Jahre in Afghanistan erinnerten. Sie fühlten sich legitimiert, ihre puritanischen und zunehmend willkürlicheren Verhaltensregeln durchzusetzen. Die Internationalisierung wiederum lässt sich an einem Treueschwur gegenüber der obersten al-Qaida-Führung sowie ausländischen Freiwilligen in den Reihen der al-Shabaab festmachen. Diese stammen vorrangig aus den USA – es sollen sich, Informationen aus Sicherheitskreisen zufolge, aber auch ein paar Briten in ihren Reihen befinden. Andere Verbindungen zu Militanten im Jemen scheinen sich ebenfalls gefestigt zu haben.

Schon seit geraumer Zeit gibt es Befürchtungen, militante Islamisten-Gruppen aus Somalia könnten auch im Ausland Anschläge verüben. Wenn sich nun al-Shabaab für die Anschläge in Uganda verantwortlich zeichnet, hat dies mit großer Wahrscheinlichkeit lokale Gründe: Uganda stellt das Gros der 5.000 Mann starken Friedenstruppe der Afrikanischen Union, die nach dem Rückzug der äthiopischen Armee 2009 an deren Stelle getreten ist. Sie sind der Hauptgrund dafür, dass Somalias von den Vereinten Nationen unterstützte Regierung noch nicht vollständig von den Islamisten aus Mogadischu vertrieben wurde. Jüngste Versprechen, das UN-Korps verstärken zu wollen, hatten Drohungen der al-Shabaab zur Folge, gegen jedes Land, das mehr Soldaten schicke, den Heiligen Krieg auszurufen.

Sündhaftes Benehmen

Warum wurden Menschen angegriffen, die gerade im Fernsehen das Endspiel der Fußball-WM verfolgten? Erstens, weil sie ein weiches Ziel darstellen. Zweitens, weil die al-Shabaab zuvor bereits klar gemacht haben, dass sie Fußball nicht gutheißen und Spielern als auch Fans in Somalia Gewalt androhten. Hier folgt die Gruppe einer unter Jihadisten weit verbreiteten Ansicht. In einem Posting im Internet äußert ein radikaler Gelehrter die Auffassung, die Weltmeisterschaft in Südafrika sei unislamisch gewesen, da sie Glücksspiel und Wettbewerb mit sich bringe, Frauen zu sehen seien, Spieler sich sündhaft benähmen und Anhänger fluchten. Überdies handle es sich um ein „unnötiges Vergnügen“.

Es gibt Anzeichen auf wachsende Spaltungen innerhalb der al-Shabaab. In den vergangenen 18 Monaten haben viele profilierte Mitglieder aus Empörung unwillkürliche Gewalt angewandt. Einige Analysten glauben, wachsender Extremismus innerhalb radikaler Bewegungen sei Zeichen eines scharfen Konkurrenzkampfes, der zu einer vollständigen Zersplitterung führen könne. Schon anderen Gruppen, die sich von ihren lokalen Wurzeln verabschiedeten, um in ihrer Ausrichtung immer radikaler und internationaler zu werden – in den Neunzigern war dies in Algerien und Ägypten zu beobachten, später im Irak, in Indonesien und Saudi-Arabien – brachte diese Entwicklung schnell den Verlust jeglicher Unterstützung durch die Zivilbevölkerung.

Übersetzung: Holger Hutt

Nur für kurze Zeit!

12 Monate lesen, nur 9 bezahlen

Geschrieben von

Jason Burke | The Guardian

Der Freitag ist Syndication-Partner der britischen Tageszeitung The Guardian

The Guardian

Freitag-Abo mit dem neuen Roman von Jakob Augstein Jetzt Ihr handsigniertes Exemplar sichern

Print

Erhalten Sie die Printausgabe zum rabattierten Preis inkl. dem Roman „Die Farbe des Feuers“.

Zur Print-Aktion

Digital

Lesen Sie den digitalen Freitag zum Vorteilspreis und entdecken Sie „Die Farbe des Feuers“.

Zur Digital-Aktion

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden