Der Beschuss einer etwa 120 Kilometer von Seoul entfernten südkoreanischen Insel am Dienstag war nichts weiter als eine Provokation. Wenn auch zugegebenermaßen die in militärischer Hinsicht spektakulärste seit Jahren. Allem unüberlegten Gerede von einem möglichen Atomkrieg, Russlands panischer Warnung vor einer „kolossalen Gefahr“ und der Erschütterung der asiatischen Märkte zum Trotz war der Schritt Pjöngjangs eine todbringende, so doch aber sorgfältig kalibrierte und fest begrenzte Demarche, um die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit zu erregen. Das ist mit Sicherheit gelungen.
Nordkorea greift zu militärischen Mitteln oder droht zumindest damit, wo andere auf Diplomatie setzen. Es ist das einzige wirkliche Druckmittel, das dem Regime zur Verfügung steht. In diesem Jahr hat ein nordkoreanischer Torpedo mit großer Wahrscheinlichkeit einen südkoreanischen Frachter versenkt und 46 Besatzungsmitglieder getötet. Auch wenn Pjöngjang die Verantwortung von sich wies, so nutzten Kim Jong-il und seine Apparatschiks das durch den Angriff entstandene Aufsehen doch dazu, ihre politische Agenda zu verbreiten und ihre geopolitische Bedeutung hochzuspielen.
Der zweite Atomtest im vergangenen Jahr, Pjöngjangs aggressive Entwicklung konventioneller Raketen und seine absurd-kriegerischen Triaden fallen ebenso in diese Rubrik wie die Enthüllung einer weiteren Anlage zur Urananreicherung, die auch für die Herstellung von Atomwaffen genutzt werden kann am vergangenen Wochenende. Nordkorea treibt die „Megafon-Diplomatie“ auf eine neue Stufe: die Megatonnen-Diplomatie.
Zu sagen, dass die Ereignissen vom Wochenanfang kein gutes Licht auf den Norden werfen, wäre eine Untertreibung. Sie machen seinem Ruf als dem gefährlichsten Regime weltweit alle Ehre. Keine andere Regierung geht so unverantwortlich und rücksichtslos mit der Sicherheit seiner Bürger um. Dies vorausgeschickt muss aber auch gesagt werden, dass andere entscheidende Akteure an der Situation ebenfalls nicht schuldlos sind.
Verweigerte Verehandlungen
Während die Regierung Obama bereit ist, mit dem Iran, Syrien, den Taliban und anderen Outcasts der Ära Bush zu reden, verweigert sie sich im Falle Nordkoreas merkwürdiger Weise direkten Verhandlungen. Doch die US-Strategie der „Strategischen Geduld“ hat versagt. Anstatt weise den Rückzug anzutreten, stürzen Pjöngjangs Generäle ungestüm nach vorne. Auch die Sanktionen wirken nicht, wie die aus ausländischen Komponenten bestehende neue Atomanlage eindrücklich unter Beweis stellt. Die Hoffnungen des US-Gesandten Stephen Bosworth, China werde seinen Verbündeten schon im Zaum halten, könnten enttäuscht werden. Im persönlichen Gespräch zeigen sich chinesische Diplomaten alarmiert und kritisch angesichts des kriegerischen Gebarens der Nordkoreaner und weisen darauf hin, ihr Einfluss auf Kim sei begrenzt. Peking geht es um Stabilität und ein gutes Handelsumfeld im asiatischen Raum, weshalb die Chinesen gestern auch dazu aufriefen, Ruhe zu bewahren und die Sechs-Nationen-Gespräche wieder aufzunehmen.
Südkorea ist ebenfalls in keiner besseren Lage, die Ereignisse kontrollieren oder kanalisieren zu können. Als Präsident Lee Myung-bak vor drei Jahren sein Amt antrat, wollte er gegenüber dem Norden eine härtere Gangart einlegen und tat dies für eine Weile auch. Jetzt erscheint es als ein Fehler, dass Seoul von seiner Sonnenscheinpolitik abgerückt ist und Lee wirkt geschwächt. Die einstige asiatische Imperialmacht Japan ist heute politisch ohne Einfluss und versteckt sich hinter seinen von den USA gekauften Raketenabwehrbatterien. Durch ein Mysterium, das es nach eigenem Bekunden selbst nicht verstehen kann, sieht sich Russland auf eine Statistenrolle reduziert.
Überhaupt nichts Geheimnisvolles
Was hingegen Korea angeht, so gibt es überhaupt nichts Geheimnisvolles. Hier handelt es sich ausnahmsweise einmal um ein Rätsel mit einer Lösung. Nordkorea und seine paranoiden, nach Aufmerksamkeit verlangenden Führer wollen ein paar Dinge, die der Süden und der Westen ihnen geben können, wenn sie denn wollen. Erstens will die Regierung Respekt durch die Anerkennung seiner Legitimität, zweitens einen Friedensvertrag, der den Krieg beendet, dem Norden seine territoriale Souveränität garantiert und das Gespenst eines Regimewechsel vertreibt; drittens will Kim eine Beendigung der internationalen Sanktionen und der diplomatischen Isolation – Kim hat keine Lust, länger der oberste Buhmann der Amerikaner zu sein; viertens Lebensmittelhilfen, Elektrizität, finanzielle Unterstützung, Investitionen und die Wiederaufnahme von Handelsbeziehungen. Und schließlich braucht er Unterstützung für seinen jüngsten Sohn, der ihm im Amt des Staatschefs nachfolgen soll.
Und was könnte der Norden als Gegenleistung anbieten? Auch das ist recht einfach zu beantworten: ein Ende der Megatonnen-Diplomatie, ein Ende des einseitigen Wettrüstens (wie es 2007 schon einmal beinahe erreicht worden wäre), eine Normalisierung der Beziehungen und potenziell einen gewaltigen Markt für all die geschäftstüchtigen chinesischen und südkoreanischen Unternehmen nach ostdeutschem Vorbild. Auch wenn ein solcher Deal in den Worten des Weißen Hauses einer „Belohnung für schlechtes Benehmen“ gleich käme, so könnten wir doch gut damit leben, besser jedenfalls, als mit unsicheren Atomwaffenarsenalen. Eine Einigung mit Pjöngjang ist möglich und wünschenswert, weil es in diesem Fall im Kern nicht um unüberwindbare Fragen von Ideologie, Religion, Rasse oder Waffenbesitz geht, sondern um einen Familienstreit um Macht und Geld – und beides ist unendlich teilbar.
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