Dann und wann frage ich mich schon, was Schriftsteller – oder Menschen überhaupt – eigentlich inspiriert. Von uns schreibendem Volk wird offenbar erwartet, dass wir bei Workshops aufblühen und gedeihen. Die Leute, die solche Workshops veranstalten, machen sicher gutes Geld damit, sie als eine notwendige Sache zu verkaufen. Aber abgesehen davon, dass sie Gelegenheit boten, alte Bekannte wieder zu treffen oder mir in Erinnerung riefen, dass es in den Köpfen anderer Leute oft bizarrer zugeht, als man denkt, hatte ich selbst, die ich nicht besonders gesellig bin, wenig Freude an den paar Workshops, die ich in meiner Jugend besucht habe.
Als Tutorin habe ich nicht selten das Gefühl, dass solche Workshops oftmals so konzipiert sind, dass sie allen Beteiligten das Gefühl geben, etwas zu leisten, während sie an etwas teilnehmen, bei dem es sich beinahe um das Gegenteil von Schreiben handelt. Sie füllen Stunden, wenn nicht Stundenpläne. Ansonsten kann man vielleicht noch ein bisschen flirten, sollte man den Wunsch verspüren, etwas mit einem Schreiberling anzufangen. Schlecht vorbereitete Workshops können sehr leicht zu einer Demonstration dessen werden, was passiert, wenn die verbal Blinden die kreativ Tauben anleiten – aufgepeppt mit ein bisschen pseudokünstlerischer Schikane und willkürlich eingestreuten, selbsterdachten Regeln. Mehr auf Dominanz ausgelegte Workshops geben den Tutoren die Gelegenheit etwas zu tun, das für gewöhnlich mehr Körperflüssigkeit und ein paar DVDs beinhaltet und in der reizenden Privatsphäre der eigenen vier Wände vonstatten geht.
Doch was ist es, das Sie/mich/oder irgendjemand sonst dazu bringt, sich auf eine Tastatur oder mit einem unhandlichen Kugelschreiber bewaffnet auf ein Notizbuch/ den eigenen Handrücken zu stürzen? Es gibt freilich die allein-und-in-einen-schwarzen-Rollkragen-gekleidet-in-einem-Cafe-sitzen-Option. Doch außerhalb bestimmter toleranter Bohemien-Gebiete könnte ein solches Verhalten verächtliches Schnauben und ein gemurmeltes „Wichser“ bei den Vorübergehenden provozieren – was auch wirklich in Ordnung geht.
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Wenn Sie Glück und einen Verleger haben und ein besserer Small-Talker sind als ich, dann erhalten Sie vielleicht einmal ein Angebot, vorübergehend in ein leer stehendes Ferienhaus, eine Villa in der Toskana, eine Künstlerkolonie oder – à la James Bond – einen teilrenovierten Bau zu ziehen, den sich ein Schurke in einem Vulkan eingerichtet hat. Dorthin könnten Sie und ihre Muse sich dann zum Zwecke ernsthaften Schaffens zurückziehen. Wenn Sie aber einen regulären Job, Freunde, Familie oder einen Liebhaber haben und ihre geistige Gesundheit schätzen, dann ist geographische Isolation vielleicht nichts für Sie.
Ich selbst verfüge nicht über viele der Dinge, die angeblich unerlässlich dafür sind, „ein Leben zu haben“. Trotzdem würde komischerweise sogar ich mich scheuen, an einem malerischen Ort fern herkömmlichen staatlichen Schutzes gefangen zu sein und mich mit verdrossenen Bildhauern, dem Grauen von Gemeinschaftsessen, anderer Leute Verzweiflung über die eigene Kreativität und möglicherweise den obligatorischen Soirees mit Lady Tabitha und ihren seltenen Lamas herumschlagen zu müssen.
Ich kann nicht für andere sprechen, aber für mich erwachsen aus der geistigen Anstrengung etwas und /oder alles zu finden, das zu inspirieren vermag, weitaus mehr Quellen der Inspiration. Dies bedeutet, dass meine Umgebung sich nicht zu ändern braucht, mein Denken es aber durchaus könnte. Noch dazu ist dieser Ansatz billig. Ich behaupte gar nicht, dass er in der Praxis perfekt ist. Doch wenn ich mein Leben mit einer Art interessiertem Enthusiasmus angehen kann, dann kann es inspirierend werden. (Das klingt widerwärtig nach Selbsthilfe, oder? Und trotzdem möchte ich betonen, dass es billig und bequem ist.)
Eine kleine Begegnung mit einem eleganten Harris-Falken
Um einmal ein Beispiel aus der Praxis einzubringen: Brian, der äußert wunderbare Gentleman und Dekorateur, der das Bad meiner Mutter gestrichen hat, ist außerdem Falkner. Hierdurch war es für mich weder sonderlich kompliziert noch schwierig, eine kleine Begegnung mit einem eleganten und hochintelligenten Harris-Falken zu arrangieren. Dieser Falke konnte gar nicht vermeiden, faszinierend zu sein, selbst wenn er es versucht hätte - zum Beispiel indem er einen Anorak tragen oder versuchen würde vorzugeben, er sei eine Stockente.
Ich habe keine Ahnung, ob oder wann Herr Falke Verwendung finden wird. Aber er wird irgendwo irgendetwas angestoßen haben, dass irgendwann etwas anderes anstoßen wird, woraus dann etwas hervorgehen wird – und bis dahin war es einfach toll, ihn getroffen zu haben. Bitte nehmen Sie zur Kenntnis, dass die Von-allem-inspiriert-sein-Option die praktische und sogar für Calvinisten akzeptable Nebenwirkung hat, Annehmlichkeiten dieser Art hervorzubringen. Aus rein professionellen Gründen natürlich.
Zudem werde ich den nächsten Schülern der Schreibkunst, denen ich einen Vortrag halte, erzählen können, wie aufmerksam, beweglich und geschmeidig Kopf und Körper so eines Falken sind und weiterhin erwähnen, dass die Augen dieser Tiere genau jenen Killerfokus haben, den man von einem fokussierten Killer erwartet. Dieser Grad von Fokussierung wäre auch für einen Schriftsteller nicht schlecht. Aber ohne das Töten selbstverständlich. Und auch ohne die aus rohen Küken bestehende Kost.
Apropos gute Augen und Fokussierung: Am vergangenen Freitag gönnte ich mir das Vergnügen, das neue Vielleicht- Shakespeare-Portrait zu besichtigen. Obwohl das allsommerliche Vertiefen in Shakespeare aus meinen Kindheitstagen in mir den Wunsch geweckt hat, Schriftstellerin zu werden, war ich mir angesichts des Umstandes, dass er tot ist und nicht für einen Plausch zur Verfügung steht, nicht sicher, was es mir bringen würde, sein Gesicht zu sehen (wenn es denn überhaupt sein Gesicht ist). Doch es war den Versuch wert, einfach zu sehen, was passieren würde – und möglicherweise zu erkennen, welches Bild des Autors dessen Worte in meinem Kopf entstehen lassen haben.
Extrem aufmerksam wie Shakespeare
Es stellte sich heraus, dass das schon aus ästhetischen Gründen ansprechende Portrait eigentümlich zu überzeugen vermag – die großen, traurigen, klugen Augen, der sexy Mund, das fliehende Kinn, der peinlich akkurate Bart, das seltsam voluminöse weiße Haar, welches möglicherweise katastrophalen Haarausfall verbirgt. Das war eindeutig der Shakespeare, dessen Bild ich in meinem Kopf geschaffen hatte. Wer auch immer auf dem Bild zu sehen ist, sieht intelligent, interessant gefährlich und extrem aufmerksam aus. Extrem aufmerksam zu sein ist übrigens eine Möglichkeit für jeden, der vorhat, sich zum Beispiel des Schreibens als Entschuldigung dafür zu bedienen, dem eigenen Leben keine Aufmerksamkeit zu schenken.
Als ich dann im Zug zurück nach Hause sitze – und diese Worte schreibe – trage ich zwei kleine, noch unreife Früchte der Inspiration mit mir, die noch dabei sind, Wurzeln zu schlagen und miteinander zu wetteifern. Ich habe einen neuen Eindruck von Shakespeare als einer Person aus Fleisch und Blut, die mehr oder weniger ist als die Worte (wie auch immer er aussah). Und ich habe eine kleine Erinnerung an das Risiko, welches das Schreiben birgt, betrachte die große dunkle Seite mit anderen Augen. Außerdem bin ich auf neue Weise dankbar darüber, dass andere vor mir geschrieben haben, mir als Leserin allerhand gegeben haben und mir ermöglichten, selbst eine (ganz, ganz kleine) Autorin zu sein, als Mensch, der sonst keine Anstellung gefunden hätte, einen Beruf zu haben. Und dank dem Harris-Falken bekommen die Shakespeare-Worte „Wer liebt, des Auge schaut den Adler blind“, eine ganz neue Bedeutung.
Morgen werde ich versuchen, etwas Majestätisches und Brauchbares im Waschen und Bügeln der Reisekleidung von einer Woche zu entdecken. Wenn mir das gelänge, wäre ich aber wirklich eine majestätische und brauchbare Autorin. Nun ja, zumindest werde ich die Wäsche für meine nächste Reise fertig haben – die schottische Stadt Ullapool winkt. Vorwärts.
A. L. Kennedy, geboren 1965 im schottischen Dundee, gehört zu den meistbeachteten Autorinnen in Großbritannien. Sie hat mit ihren Short-Story-Sammlungen und Romanen mehrere Preise gewonnen, darunter den Somerset-Maugham-Award. Kennedy lebt als Autorin, Filmemacherin und Dramatikerin in Glasgow.
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