Das Erscheinungsbild soll professioneller werden: Jahresparteitag in Doncaster
Foto: Christopher Furlong/Getty Images
Theatralisch, wie es seine Art ist, ließ Nigel Farage den mit Aktivisten der UK Independence Party (UKIP) gut gefüllten Saal zappeln und zählte erst einmal in Ruhe die Gründe auf, die gegen seine Rückkehr ins Amt des Parteivorsitzenden sprachen: Der Zeitpunkt sei ungünstig; die Arbeit in Brüssel nehme ihn sehr in Anspruch; seit einem Flugzeugabsturz habe er Rückenprobleme, sei nicht mehr so belastbar und werde schneller müde als früher. Er sei sich nicht sicher, ob er die Doppelbelastung unter diesen Umständen meistern könne; und dann müsse er auch an seine Familie denken. Jedenfalls habe ihn all das zu der Überzeugung kommen lassen, es sei besser, den Chefposten nicht wieder zu übernehmen. Dann aber habe er die gan
ganze Nacht wach gelegen, nachgedacht, und heute früh, bei einem guten englischen Frühstück – wie man es in Brüssel nicht bekomme –, den Entschluss gefasst, seinen Hut noch einmal in den Ring zu werfen.Das war im September 2010, nachdem die Partei unter dem islamophoben Scharfmacher Lord Pearson bei der Parlamentswahl nur drei Prozent erhalten hatte. Nicht einmal ein Jahr im Amt, musste er zurücktreten. Farage witterte eine einmalige politische Chance. Schließlich war er davon überzeugt, dass die Koalition zwischen Konservativen und Liberaldemokraten beide Parteien in Turbulenzen stürzen würde und Labour die Stammwählerschaft aus der Arbeiterklasse aufgegeben hatte. Außerdem traute er seiner Partei zu, die British National Party (BNP) „vom Markt zu fegen“. Es folgte ein zukunftsweisendes Statement: „In der Partei müssen wir die Ärmel hochkrempeln und professioneller werden. Das politische Potenzial ist vorhanden und größer als jemals zuvor. Wir müssen uns nur ins Zeug legen.“Konservative ÜberläuferVier Jahre später – Farage bereitet sich auf eine weitere Amtszeit als Parteichef vor – scheint es so, als sei diese Forderung weitgehend eingelöst: Der kleine, gegen die EU gerichtete Interessenverband von einst genießt heute den Rückhalt von fast 20 Prozent der Wähler, erhält finanziellen Beistand in Millionenhöhe, will bei der Unterhauswahl im Mai 2015 mindestens 25 Sitze gewinnen und hat mit Douglas Carswell – dem prominenten Überläufer von den Konservativen – bereits jetzt den ersten Ukip-Abgeordneten im Parlament.Doch damit nicht genug: Politiker aus der ersten Reihe der Partei unterbreiten honorige Angebote – von der Abschaffung der Erbschaftssteuer bis hin zum Schutz des staatlichen britischen Gesundheitssystems NHS gegen private amerikanische Dienstleister. Parallel zur programmatischen Spreizung steigen die Einnahmen. Dazu tragen Spenden wohlhabender, euroskeptischer Ex-Torys wie Stuart Wheeler, Paul Sykes oder Arron Banks ebenso bei wie finanzielle Zuwendungen, die es für die Präsenz im Europaparlament gibt. Seit dem Einzug in diese Kammer 2009 gebe es in der Partei einen Mentalitätswandel, meint ein Mitarbeiter aus dem Vorstand. „Als wir Abgeordnete nach Brüssel schicken konnten, erkannten Farage und die Berater, die ihn umgaben, das Potenzial von Ukip. Uns war klar, dass wir allein mit den Leuten, die früher konservativ wählten, unsere Ziele nicht erreichen können. Wir mussten uns auch um alte Labour-Anhänger bemühen, unter denen sich einige der patriotischsten Leute überhaupt befinden.“Farage unternahm mehrere „Common Sense“-Touren, um in Town Halls und Arbeiterclubs zu sprechen. Er schlug dabei weiter die gewohnten Töne an, redete über die teure EU und die sich wie ein Ei dem anderen gleichenden Politiker in Westminster, doch hörten ihm jetzt sehr viel mehr Leute zu. Craig Mackinlay, einst Ukip-Vizevorsitzender und heute Dissident, meint, dass die Partei den Durchbruch geschafft hat, weil sie mit dem Thema Einwanderung den Nerv der Bürger traf. „In den Anfangstagen von Ukip war alles etwas anders. Die Basis setzte sich mehr aus Akademikern zusammen. Die Partei wurde von Leuten gegründet, denen es in der EU zu undemokratisch zuging. Heute dagegen wirkt es so, als drehte sich alles um die Überfremdung. Das Thema scheint die Menschen zu bewegen, und Ukip rührt diese Trommel, so gut es geht. Wenn man ein Ukip-Meeting besucht – ich weiß gar nicht, ob ich das sagen darf –, hat man oft den Eindruck, als versammelten sich dort Leute, die es zuvor schon bei allen anderen Parteien versucht haben. Was sie über Einwanderer sagen, ist manchmal schon ziemlich widerwärtig.“Entgleisungen, EskapadenDie sexistischen, rassistischen und homophoben Kommentare einiger Aktivisten waren den Bemühungen der Partei um ein professionelleres, unverfänglicheres Erscheinungsbild sicher wenig zuträglich. Farage reagierte darauf mit dem für ihn typischen Instinkt. Auf der einen Seite nutzte er die Ausfälle von Ukip-Extremisten als Anlass, um eine Dämonisierung seiner Partei durch Medien zu beklagen, die sich dem „politisch korrekten Establishment“ verkauft hätten. Andererseits verschafften ihm die Entgleisungen einen guten Vorwand, das Team zu erneuern und allzu eigenwillige Parteifreunde abzuservieren. Bekanntestes Opfer des Großreinemachens war der verteidigungspolitische Sprecher Godfrey Bloom, der gesagt hatte, Hilfsgelder für Afrika würden nach „Bongo-Bongo-Land“ fließen, betrunken Reden hielt, notorisch frauenfeindliche Äußerungen schätzte und zuletzt Ukip-Aktivistinnen als Schlampen bezeichnete.Farage dagegen war plötzlich beim Thema Einwanderung sehr vorsichtig, mied islamfeindliche Triaden à la Pearson und argumentierte ganz standortkonform, man brauche mehr hochqualifizierte Einwanderer aus dem Commonwealth. Er verstand es, dies zu sagen, ohne Stammwähler zu verprellen. Es sei in Ordnung, sich Sorgen um den rumänischen Nachbarn zu machen, und doch fühle er sich unwohl, wenn er im Zug hören müsste, wie sich die Menschen in einer ihm fremden Sprache unterhielten. Erst kürzlich plädierte Farage für HIV-Tests bei Einwanderern.Solche Statements könnten ihn mit den neuen Rekruten der Partei in Konflikt bringen, inklusive Tory-Überläufer Douglas Carswell. Dieser meinte, die Idee mit dem HIV-Screening könne man nicht ernst nehmen. Ex-Tory Mark Reckless, der gute Aussichten hat, zum zweiten Ukip-Abgeordneten im Unterhaus zu werden, konzentrierte sich bei seinem Wahlkampf in Rochester mehr auf das Gesundheitssystem und die Bildung als auf Einwanderer und die EU. „Ich bin nicht nur dafür, mehr Macht aus Brüssel zurückzuholen, sondern auch aus Westminster.“ Reckless deutete zugleich an, Macht müsse innerhalb der Partei besser aufgeteilt werden: „Nigel muss sich mit vielem befassen, was in anderen Parteien wohl kaum über den Tisch des Vorsitzenden gehen würde. Ich glaube, er sollte mehr delegieren.“ Die Europa-Abgeordnete Janice Atkinson ist der Auffassung, die jetzige Führungsequipe repräsentiere „nicht notwendigerweise eine neue Ukip“. Anders die Europaparlamentarier, die seien „insgesamt professioneller. Sie vertreten ein ansehnliches Themenspektrum und haben ein strenges Auswahlverfahren durchlaufen, strenger als das der Torys.“Viel weiter scheint der Wandel aber nicht gediehen zu sein. Von den 250 Kandidaten, die für den Wahlkampf 2015 nominiert wurden, sind 90 Männer, die meisten jenseits der 50. Manchen besorgt die Vorstellung, Ukip könnte sich weiter professionalisieren, womit viel von dem verloren gehe, was die Partei in der Vergangenheit in den Augen vieler so menschlich erscheinen ließ – das Chaotische, das Amateurhafte, die Entgleisungen. Ein Angestellter in der Parteizentrale räsoniert: „Leute mit dem großen Geld haben das Kommando übernommen, Nigel Farage ist von ihnen überwältigt. Ich habe Angst, dass wir werden wie all die anderen.“Placeholder authorbio-1
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