Das Kaufhaus Selfridges in London, am vergangenen Mittwochmorgen. Obwohl das Weihnachtsfest vor der Tür steht, scheint das gigantische Einkaufszentrum von kreditkrisenbedingter Leere ergriffen. Die Handtaschen des Designers Marc Jacobs fristen traurig und verlassen ihr Dasein auf den Ablagen, einsam schaukeln die Mäntel von Yohji Yamamoto vor sich hin.
Auf einer der Verkaufsflächen jedoch hat sich fast so etwas wie ein kleiner Auflauf gebildet. In der Abteilung für Damen-Designermode scharen sich vier Frauen um eine Kleiderstange. Die ist mit Kleidern von Givency und Roland Mouret bestückt, dessen Kleider regelmäßig Kultstatur erlangen. Für die hat aber keine der Damen einen Blick übrig – ihre Aufmerksamkeit gilt ganz den Kleidern von Victoria Beckham, die zwischen den Stücken der etablierten Designer präsentiert werden.
Von verschmähtem Fashion-Victim zur gefragten Designerin
Ganz egal, was man von der Gattin des britischen Fußballspielers David Beckham hält - es lässt sich nicht bestreiten, dass 2008 die äußerst bemerkenswerte Neuerfindung ihrer Karriere zu beobachten war. Nach einem relativ traditionellen Übergang vom Popstar zur Fußballergattin scheint das ehemalige Posh Spice zur Mode-Designerin avanciert, der mehr Aufmerksamkeit zuteil wird als Givenchy.
„Ihr Stil hat sich in den vergangenen drei Jahren enorm gewandelt“, sagt die Herausgeberin der britischen Vogue Alexandra Shulman. „Sie hat glaube ich ein Gespür entwickelt, das sie vorher nicht hatte. Sie hat gemerkt, dass das Offensichtliche, Aufsehenerregende nicht immer modisch ist.“ Shulman ist mittlerweile ein so großer Fan der Beckham'schen Kollektion, dass sie selbst ein Kleid bestellt hat – für Modemenschen nach einer Titelgeschichte im Blatt (einer Ehre, die Beckham im April dieses Jahres zuteil wurde) eine der höchsten Auszeichnungen überhaupt.
Die Entwürfe der Frau werden nun zusammen mit denen von Designern verkauft, zu deren Shows Insidern zufolge Beckham noch vor Kurzem die Eintrittskarten verwehrt wurden, die nun aber „ bislang keinen Einspruch erhoben haben“, wie Anita Barr, die Abteilungsleiterin für Frauenmode bei Selfridge`s zu berichten weiß.
Schon im Jahr 2006 hatte Beckham Jeans und Sonnenbrillen entworfen, der jetzige Schritt zu Designer-Kleidern spiegelt augenscheinlich ihre Transformation von der Spielerfrauenaufmachung hin zu einem etwas ausgewählteren Chic. Das Bemerkenswerte daran ist, wie gut sowohl Imagewechsel als auch Modemarke in der Öffentlichkeit ankommen. In Manchester waren Beckhams Kleider schon ausverkauft, bevor sie überhaupt in den Regalen hingen. Und bei Selfridge`s in London waren am Mittwochmorgen nur noch drei Kleider zu haben.
Zweifelsohne hat Beckhams Promistatus gewissen Anteil an ihrem Erfolg gehabt. Ein Garant war er aber keineswegs, gibt die Abteilungsleiterin von Selfridge`s zu bedenken: „Es hätte auch ganz anders ausgehen können.“
Inspirationsquelle Audrey Hepburn
Die von der Kritik gefeierten Kleider, die vielmehr Variationen über ein Thema als eine wirkliche Kollektion sind, sind dem neuen Look verschrieben, den die Beckham sich zugelegt hat. Der besteht im Wesentlichen aus figurbetonten, engtaillierten Cocktailschnitten, die über dem Knie enden. Immer öfter hat Beckham in letzter Zeit ihre Begeisterung für den Film Breakfast at Tiffany`s verkündet und in der Tat ist eine gewisse Ähnlichkeit zwischen ihrem neuen Erscheinungsbild und dem Hepburn’schen Filmlook festzustellen: „Victoria erfindet das Rad nicht neu. Sie nimmt herkömmliche Kleider und macht etwas Besonderes aus ihnen“, sagt Shulman.
Noch vor zwei Jahren hätte man sich kaum vorstellen können, dass Beckham Lob aus dieser Richtung erhalten würde. Ihre Kleiderwahl und viel öfter noch ihr Gewicht sind den Boulevardblättern zwar seit über zehn Jahren Anlass für Kommentare – von der Modewelt wurde sie aber eigentlich nie wirklich ernst genommen. In Spice World – der Film fragt sie in einer Szene, ob sie „das kleine schwarze Gucci-Kleid, das kleine schwarze Gucci-Kleid oder das kleine schwarze Gucci-Kleid“ anziehen solle und genießt ganz offensichtlich die Rolle als die Mode-Besessene Posh Spice. Die allerdings ist in der richtigen Relation zu betrachten – die Girl Group stand ja eher für Massen- als für Klassechic. Erst als das Spicegirl mit dem Drang in den Modeolymp in ihrem Mann einen Seelenverwandten fand, der ihre Liebe für´s Extravagante teilte, kam die Designerin in ihr zum Tragen.
Knapp und protzig - Vics alter Wag-Chic
Der Spielerfrauen-Stil a la Posh, in Großbritannien als Wag (Wifes and Girlfriends) tituliert, war ganz auf ihre schlanke Figur abgestimmt. Trug die stilbildende Vic zu Popsternchenzeiten Miniröcke, entwickelte sie in frühen Tagen in den VIP-Lounges der Fußballstadien eine Vorliebe für Hotpants, die ihre an Twiggy erinnernden Beine noch dürrer aussehen ließen. Und während Frisur, Handtaschen, Sonnebrillen und Schuhe immer größer wurden, wurde der Rest von ihr immer winziger. Zugrunde lag dabei stets der Stolz auf die Geldbörse. Bei den teuren Lederjacken und Designerlabels handelte es sich deshalb auch nie bloß um ein paar stilistische achtziger Jahre Anleihen - der Wag-Look war die wahr gewordene Fantasie eines Teenagermädchens, das davon träumt, was es anziehen würde, wenn es einen Fußballspieler heiraten würde. So betrachtet werden auch der Massenappeal und die Verachtung der Kritiker, die der Inhalt des Kleiderschrank der Beckhamgemahlin auf sich zogen, verständlich.
Auch die Frauen der Teamkollegen ihres Mannes, selbst kaum aus dem Tenniealter heraus, erlagen dem Look, den Beckham vormachte - bei der Weltmeisterschaft 2006 hatten sie sich optisch denn auch schon alle einander angeglichen. Als dann auch noch die jüngeren Fans ihren Stil imitierten, begann der Look sich ein wenig teenihaft auszunehmen und das Ganze war natürlich nicht länger tragbar.
Amerika brachte den Wandel
Auf Photos, die Victoria gegen Ende der Zeit zeigen, zu der ihr Mann in Madrid unter Vertrag war, ist zu sehen, dass sie allmählich Gefallen an längeren Rocksäumen fand. Ihre Garderobe zeugte nun eher von Mode-, als von Körper- und Markenbewusstsein.
Nicht unerheblichen Anteil an dieser Wandlung hatte natürlich Amerika. Amerika und Victoria Beckham - es schien vorbestimmt, dass diese Begegnung das Aufeinandertreffen gleichgesinnter Geister sein würde. Einige Stimmen in der britischen Presselandschaft hatten zuvor noch geunkt, ihr Posh würde ignoriert werden in diesem Land, das sich nicht nur niemals etwas aus den Spicegirls gemacht hatte, sondern auch nichts für Fußball übrig hatte, bewiesen damit jedoch lediglich ihr Unverständnis für das Wesen der amerikanischen Popkultur. Die nämlich erachtet schlank sein als gleichbedeutend mit moralischer Überlegenheit oder zumindest – gleichgültig um wen es sich handelt- zumindest eine Coverstory wert. Die amerikanische Faszination für Prominente garantiert darüber hinaus jedem Interesse, der in L.A. mit Katie Holmes oder Tom Cruise vor die Linse einer Kamera gerät.
Nichtsdestotrotz: Beckham hat mit Bedacht und Umsicht gehandelt. Shulman bestätigt ihr „in Amerika alles richtig gemacht“ zu haben und meint damit insbesonders ihre öffentlichkeitswirksamen Auftritte in amerikanischen TV-Shows. Als Jurymitglied bei Project Runway, einer Art Amerika sucht das Topmodel, erwies sie sich als bewandert in Sachen Modedesign, in ihrer Darbietung in der Modesatire Ugly Betty, dem amerikanischen Pendant zu Verliebt in Berlin nahm sie sich erfrischend selbst auf die Schippe.
Ihr Traum, endlich von der Industrie aufgenommen zu werden, erfüllte sich dann 2008, als Marc Jacobs sie zum Gesicht der Werbekampagne für seine Frühjahr/ Sommer-Kollektion 2008 machte. Manch einem mag die Verbindung der ultimativen Wag und dem Designer, der den Grundge auf die Laufstege brachte, wenig nachvollziehbar erschienen sein, Jacobs aber hat einen Hang zu Promis mit popkulturellem Kitschappeal.
Auch kleine Stolpersteine ließen sie nicht vom Weg abkommen
Vollkommen reibungslos verlief die Transformation der Victoria Beckham indes nicht. Bei einem Fototermin vor einem Jahr lief sie in einem knallig pinkem Kleid und einer knallig pinken Hermes-Handtasche auf, einer Kombination, die Hotpants an Geschmacklosigkeit noch übertraf. Mit der Zeit jedoch wurden die kleidungstechnischen Fehltritte seltener und der neue Look und der internationale A-Listen-Status bescherten ihr zudem größeren Respekt in ihrem Heimatland. Dort nämlich scheint nichts mehr Eindruck zu machen, als eine Landsmännin, die es in Amerika zu Ruhm gebracht hat.
Ein sensibler Punkt bleibt die Frage danach, wer die Beckham-Linie tatsächlich entwirft. Sie hat an prominenter Stelle bereits behauptet, nicht zeichnen zu können, was aber niemanden zu stören scheint. „Ich habe das Kleid nicht bestellt, weil es von Victoria Beckham ist, sondern weil es ein schönes Kleid ist“, erklärt zum Beispiel Shulman. Derweil trägt die Neu-Designerin in der aktuellen Ausgabe der britischen Zeitschrift Harpers Bazaar auf ihre wundersame Wandlung angesprochen bewundernswerte Gedächtnisschwäche bezüglich vergangener Hot-Pant-Zeiten zur Schau und sieht den Unterschied zu früher ganz woanders: „Ich habe es zur Meisterin im geziert Lächeln gebracht“, antwortet sie. Und das, so kann man sich vorstellen, ganz ohne Mühe.
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