Schöpfung Zwischen den indigenen Völkern und den Umweltschutzorganisationen besteht ein bedauerlicher Konflikt. Autor Mark Dowie versucht zu vermitteln
Die meisten Konflikte, die Menschen untereinander austragen, haben eine mehr oder weniger gute und eine mehr oder weniger schlechte Seite. Bei der Bewahrung der Schöpfung verhält sich dies anders: Hier kämpfen zumindest teilweise die Guten gegen die Guten. Mag es zunächst so erscheinen, als stünden sich in Sachen Naturschutz und Erhalt der Artenvielfalt Umweltschutzorganisationen auf der einen und habgierige, ausbeuterische Industrieunternehmen auf der anderen Seite gegenüber, so gibt es doch noch einen größeren und beklagenswerteren Konflikt, nämlich den zwischen Umweltschutzorganisationen und der weltweiten Bewegung indigener Völker, die doch beide zu den Guten gehören.
Beide haben das gemeinsame Ziel einer gesunden und artenreichen B
nreichen Biosphäre. Bei beiden handelt es sich um integere Bewegungen, die von Leuten geführt werden, die zu den bewundernswertesten und engagiertesten Menschen überhaupt gehören. Beiden liegt das Wohlergehen des Planeten zutiefst am Herzen und beide tun zusammen so viel für den Erhalt der Artenvielfalt wie kein anderer.Dennoch waren sie hauptsächlich aufgrund ihrer unterschiedlichen Auffassungen über die Natur, radikal unterschiedlichen Definitionen von „Wildnis“ und grundlegenden Missverständnissen bezüglich der Kultur und Wissenschaft des anderen über das gesamte 20. Jahrhundert hinweg zutiefst zerstritten und trugen diesen Konflikt manchmal sogar gewaltsam aus. Während die Naturschützer oft als arrogant wahrgenommen werden, neigen die Indigenen dazu, Umweltschutz mit Imperialismus zu verwechseln. Das Ergebnis dieses hundert Jahre währenden Konfliktes sind tausende geschützter Gebiete, die nicht bewirtschaftet werden dürfen sowie eine hartnäckige Debatte darüber, wer den richtigen Weg für den Umweltschutz in den biologisch artenreichsten Gebieten der Erde bereithält.Flucht und BewahrungDer Konflikt begann in der ländlichen Einöde des Yosemite-Tales in den Bergen der östlichen Sierra Nevada in Kalifornien. Von Mitte des neunzehnten Jahrhunderts bis ins Jahr 1914, als Yosemite zum Nationalpark erklärt wurde, gab es organisierte und teilweise auch gewaltsame Anstrengungen, die Ureinwohner Yosemites zu vertreiben – eine kleine Gruppe von Miwok, die vor 4.000 Jahren dort gesiedelt hatten.In dieser Periode geschah Vergleichbares bei der Errichtung anderer Naturparks der USA: In Yellowstone, Grand Canyon, Mesa Verde, Mount Rainier, Zion, Glacier, Everglades und Olympic wurden tausende von Ureinwohnern aus ihren Wohn- und Jagdgebieten vertrieben, um die neu entstandenen Parks in ihren „natürlichen Zustand“ zu versetzen. Diese Art des Naturschutzes wurde in die ganze Welt exportiert und unter dem Namen „Yosemite-Modell“ bekannt. Es wurde nie gezählt, wie viele aus den Naturschutzgebieten fliehen mussten, sie werden nicht einmal offiziell als Flüchtlinge anerkannt. Man schätzt die Zahl der im vergangenen Jahrhundert im Namen des Naturschutzes Vertriebenen auf fast 20 Millionen, 14 Millionen allein in Afrika.Ich habe alle fünf bewohnten Kontinente bereist, um dieses Thema zu erforschen, habe hunderte indigener Communities besucht, von denen sich einige im Konflikt und einige in Übereinstimmung mit der westlichen Auffassung von Naturschutz befinden. Auch wenn die Spannungen ebenso wie die Arroganz, Ignoranz und die Konflikte, die aus ihnen erwachsen, weiterhin bestehen, so wurde ich doch Zeuge eines ermutigenden Dialogs zwischen formal ausgebildeten Biologen, die früher einmal davon ausgegangene waren, der Mensch sei der Natur abträglich und uralten Gesellschaften von Ureinwohnern, die ihre bemerkenswerten ökologischen Kenntnisse von einer Generation an die nächste weitergegeben haben, ohne auch nur ein Blatt Papier zu beschreiben. Ich traf auf Biologen, die zu der Erkenntnis gelangt sind, dass die große Artenvielfalt der Gebiete, die sie zu beschützen trachten, den Praktiken der Menschen geschuldet ist, die dort in manchen Fällen seit tausenden von Jahren gelebt haben oder noch leben.Festung NaturschutzNaturschutz hat eine dokumentierte Geschichte und eine schriftlich fixierte Tradition. Aborigines, die im Namen des Naturschutzes von ihrem Land vertrieben werden, haben nur ihr Gedächtnis und die bittere mündliche Erzählung, die ich bei meinen Besuchen in den provisorischen Dörfern und Flüchtlingslagern immer wieder gehört habe. Ihre Erfahrungen vor der Vertreibung sind außerhalb der anthropologischen Literatur so gut wie nicht bewahrt. So konnte sich die Vorstellung vom Naturschutz als einer „Festung“ und der Vorzug für eine „jungfräuliche“ Natur in einer Bewegung am Leben erhalten, die dazu neigte, aller Natur außer der menschlichen einen Wert beizumessen und sich weigerte, die positive Wildheit im Menschen anzuerkennen.In diesem Sinne bedienten die wunderschön geschriebenen und viel gelesenen Essays und Memoiren früherer amerikanischer Umwelt-Helden wie John Muir, Lafayette Bunnell, Samuel Bowles, George Perkins Marsh und Aldo Leopold eine Mythologie des Naturschutzes, die bis vor kurzem Natur und Kultur als zwei voneinander getrennte Bereiche betrachtete und Ureinwohner wie Siedler als rücksichtslose Ausbeuter der Natur ohne jeglichen Sinn für Tradition und Verantwortung darstellten, die nichts von Biologie und Artenvielfalt verstehen.Heute haben bis auf wenige Engstirnige die meisten Umweltschützer eingesehen, dass viele Indigene große Flächen biologisch extrem reichen Landes bebauen und die meisten, wenn auch nicht alle, dies hervorragend hinkriegen.Ich hoffe gleichermaßen, dass die Ureinwohner ihr traditionelles Wissen durch das moderne Wissen der Naturschützer ergänzen, um den besten Weg zur Erhaltung der Artenvielfalt zu finden, was nicht nur für ihre eigene Sicherheit, sondern die der ganzen Menschheit von entscheidender Bedeutung ist. Angesichts der enormen Umweltzerstörung und dem ökologischen Chaos, in dem der gesamte Planet sich befindet, angesichts der 40.000 vom Aussterben bedrohten Pflanzen- und Tierarten und dem Ausfall von 60 Prozent der lebenserhaltenden Funktionen des Ökosystems, gibt es hierzu auch schlicht keine Alternative.
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