Diese Morde sind keine politischen Taten

Nordirland Die Regionalregierung aus Katholiken und Protestanten in Nordirland bemüht sich energisch, nach den Attentaten keine Krise des Friedensprozesses herbeizureden

Vor einer Woche sprach ich in Belfast mit ranghohen Vertretern der Sicherheitskräfte, darunter auch Nordirlands Polizeichef Sir Hugh Orde darüber, welche Lehren aus dem Nordirlandkonflikt für Konflikte in anderen Teilen der Welt gezogen werden können. Abschließend fragte ich - allerdings eher rhetorisch - ob es vorschnell von mir sei, die „Troubles“ für beendet zu erklären. Dann erklärte ich noch, ich würde dafür beten, dass es den terrorismusbereiten Dissidenten unter den Republikanern nicht gelingen würde, Mitglieder der Sicherheitskräfte zu töten. Sollte es ihnen doch gelingen, meinte ich, wäre dies zwar ein Tragödie, allerdings keine von „politischer Signifikanz“, solange nicht falsch regiert würde.

Ich ahnte nicht, dass die Tragödie, die ich vorhergesehen hatte, so bald Wirklichkeit werden würde. Ich stehe dennoch zu meinen Worten: Diese kaltblütigen Morde haben keine politische Signifikanz und bedeuten nicht die „Wiedergeburt der Unruhen“, wie auf den Titelseiten einiger Zeitungen zu lesen war. Meine Sorge ist vielmehr, dass unbesonnene Reaktionen auf diese Anschläge eine Rückkehr zu Gewalt auslösen könnten.

Was die Täter verlangen

Die Sinn Féin-Führer Gerry Adams und Martin McGuinness haben sich bemüht, die republikanische Bewegung so geschlossen wie möglich in den Frieden zu führen. Sie gingen behutsam vor, um eine Spaltung – wie sie mit solchen Schritten oft einhergeht – zu vermeiden, und verloren unterwegs nur wenige Anhänger. Es sollte ein für alle mal – nicht viele Male mit vielen verschiedenen Gruppen – Frieden geschlossen werden. Man wollte sichergehen, dass keine zugkräftige terroristische Strömung zurückbleiben würde. Das Ergebnis war im Mai 2007 die Bildung einer neuen Regionalregierung, bestehend aus der pro-britischen, unionistischen Democratic Unionist Party (DUP) und der pro-irischen Sinn Féin.


Die Splittergruppen, die zurückblieben, die Real IRA und die Continuity IRA, haben keine Relevanz und kein politisches Mandat. Sie sprechen für niemanden und für keinen Teil der Bevölkerung. Die Morde, die sie begehen, sind nicht mehr als Morde – es sind keine politischen Taten. Was die Täter verlangen, kann man in Nordirland ungehindert auf politischem Wege erlangen. Es gibt keinerlei wie auch immer geartete Rechtfertigung für physische Gewalt.


Die Lektion von Omagh

Die Osteraufstände im Jahr 1916 wurden durch die Reaktion der britischen Regierung zu einer Massenbewegung für Unabhängigkeit. Die Grausamkeit, mit der sie niedergeschlagen wurden, die massenhafte Inhaftierung Unschuldiger und die aufgezwungene Wehrpflicht trieben die irische Bevölkerung in die Opposition. Dabei waren es stets die Repressalien, die Terrorristen Sympathien und Unterstützung einbrachten. Auch deshalb, weil auf terroristische Gräuel stets Vergeltung folgte, auf die wiederum mit Vergeltung geantwortet wurde, bis schließlich ein veritabler Konflikt da war. Das wird im März 2009 nicht passieren.

Aber es besteht die Gefahr, dass die jüngsten Attentate durch den Versuch, ihnen zu viel Bedeutung einzuräumen, letzten Endes mehr sein könnten als eine persönliche Tragödie. Aufmerksamkeit ist eine weitere Sache auf die Terroristen aus sind. Diese Ereignisse sollten also in ihrem Kontext betrachtet und nicht überhöht werden. Sinn Féin steht vor einer schwierigen Aufgabe, die Einheit der republikanischen Bewegung zu erhalten, andererseits die Morde zu verurteilen, wie sie die früher auch verübt hat, und Gerechtigkeit zu verlangen. Diese Aufgabe sollte ihnen nicht dadurch erschwert werden, dass auf historisch begründeten Sensibilitäten beharrt wird. In Zeiten wie diesen muss man enger zusammenrücken, statt alte Gräben wieder aufzureißen.


In Nordirland haben die Menschen nach dem Selbstmordattentat von Omagh im August 1998, bei dem 29 Menschen ums Leben kamen, eine wichtige Entscheidung getroffen. Diese Gräueltat, die sich nur wenige Monate nach dem Karfreitagsabkommen ereignete, das in beiden Teilen Irlands per Referendum bestätigt wurde, hätte dem Friedensprozess den Todesstoß versetzen und die „Troubles“ aus neue lostreten können. Doch die Mehrheit der nordirischen Bevölkerung erkannte den Anschlag deutlich als ein Tat von Dissidenten, die einzig und allein den Friedensprozess unterbrechen wollten. Dies wurde ihnen nicht gestattet. Die Menschen in Nordirland entschieden sich spontan, den Weg zum Frieden fortzusetzen und den Frieden nicht zur Geisel einer winzigen Minderheit zu machen. Sie lagen damit richtig. Und sie werden wieder richtig liegen.


Jonathan Powell war in den Jahren von 1997 2007 Stabschef unter Tony Blair. Nächsten Monat wird in Großbritannien sein Buch Great Hatred, Little Room über den Friedensprozess in Nordirland veröffentlicht werden.

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Geschrieben von

Jonathan Powell, The Guardian | The Guardian

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