Ihren ersten TV-Auftritt im britischen Fernsehen hatten die Pogues 1984, in einer Lokalsendung namens South of Watford. Der Moderator hatte sichtlich Mühe, diese Band zu erklären, die irischen Folk spielte, obwohl die Folkszene längst als todgeweiht galt. Nachdem er zunächst, wenig überzeugend, von einem angeblichen Pubrock-Revival faselte, erklärte er die Pogues schließlich zum Inbegriff der Authentizität im Zeitalter von MTV, ignorierten sie doch die anerkannte Regel, laut der ohne „Synthesizer, Pop und Video“ nichts mehr ging.
Tatsächlich waren die Pogues nicht authentischer als die Künstler, deren vermeintlicher Gegenpol sie sein sollten. Die Bandmitglieder waren allesamt in England aufgewachsen, kleideten sich aber wie eine Mischung aus dem irischen Dramatiker Brendan Behan und „dem typischen irischen Großvater“, so Frontmann Shane MacGowan. Auf der Insel wird man übrigens nicht müde zu betonen, dass MacGowan elitäre Privatschulen wie das Royal College of St. Peter in Westminster besucht hat. Was aber letztlich keine Rolle spielt, heißt es doch, dass sich gerade im Rock und Pop jeder ungestraft neu erfinden kann. Überhaupt ist MacGowan nie als Poet der Arbeiterklasse aufgetreten, sondern allenfalls als Poet der Unterschicht der Außenseiter. Und dort, bei den „Junkies, den Säufern, Zuhältern und Huren“, die er in „The Boys From the Country Hell“ besang, stranden nun mal Menschen jeder Gesellschaftsschicht. Dass MacGowan diese Welt aktiv aufsuchte, anstatt durch einen Absturz dort zu landen, mag ungewöhnlich sein. Aber kein anderer hat diese Menschen so lebendig und mit so viel Empathie beschrieben wie er in den Anfangstagen der Pogues: den übel zugerichteten, im Sterben liegenden Strichjungen in „The Old Main Drag“ etwa oder den Pubsäufer, der in „A Pair of Brown Eyes“ vom Krieg und verlorener Liebe singt.
MacGowans Songwriting entwickelte sich zunächst unglaublich rasant. Auf dem 1984er-Debüt Red Roses for Me blitzte ab und zu Brillantes durch – nicht zuletzt „Streams of Whiskey“, ein beispielloser Lobgesang auf die alkoholinduzierte Bewusstlosigkeit. 1985, auf Rum Sodomy & The Lash, wartete MacGowan dann mit weit erstaunlicheren Songs wie „The Sick Bed of Cúchulainn“ auf. Seine Texte bettete er in Melodien, die schon immer da gewesen zu sein schienen. So fügten sich eigene Stücke erstaunlich nahtlos neben traditionellem Material ein.
Joe Strummer musste basteln
Rum Sodomy & the Lash und die EP Poguetry in Motion markieren den Zenit der Pogues. Das Nachfolgealbum If I Should Fall From Grace With God (1987) ist zwar ihr bekanntestes und kommerziell erfolgreichstes, von dort an liefen die Dinge aber hörbar schief. Die Ankunft des Acid House in Großbritannien beeinflusste eine Reihe von Künstlern, selten jedoch waren die Folgen so dramatisch wie bei den Pogues. Musikalisch machte sich das zunächst kaum bemerkbar. MacGowan aber tauchte in die Raveszene ein und hatte damit die Entschuldigung – insofern er diese überhaupt brauchte – jede Menge LSD zu nehmen und das offenbar täglich. Anspielungen auf Heroin tauchten in seinen Texten auf.
Den folgenden geistigen Abbau MacGowans schilderte Akkordeonist James Fearnley im vergangenen Jahr erschütternd in seinem Buch Here Comes Everybody. Als Hell’s Ditch 1990 veröffentlicht wurde, war MacGowan so fertig, dass Produzent Joe Strummer den Gesang Silbe für Silbe zusammenbasteln musste – so viel also zur angeblichen Authentizität der Pogues im MTV-Zeitalter.
Fearnleys Buch schildert den Aufstieg und Niedergang der Pogues so akribisch, dass der Leser Details über Shane MacGowans Penis erfährt. Darüber, wie es mit den Pogues nach MacGowan weiterging, allerdings nichts: Stillschweigend erkennt Fearnley damit wohl an, wie lächerlich die Idee war, ohne MacGowan weiterzumachen. Waiting for Herb (1993) und Pogue Mahone (1995) sind keine schlechten Alben. Die Songs haben ihre Momente und MacGowans vormaliger Nebenmann Spider Stacey wäre in jeder anderen Band ein geborener Frontmann. Ihr Problem war einfach, dass es ihnen nicht gelang, eine Identität zu entwickeln, die stärker als die Sehnsucht des Hörers nach der Vergangenheit gewesen wäre.
Vielleicht wären sie besser bei Joe Strummer geblieben, der MacGowan zunächst ersetzte. Seinem Intermezzo wird hier mit einer Live-CD gedacht. Aber selbst Strummer war als Person nicht so ambivalent und verstörend wie MacGowan. Seinem Schatten konnte keiner entkommen – auch eine Punklegende nicht.
Die Pogues gibt es immer noch, inzwischen ist auch Shane MacGowan wieder dabei. Jedes Jahr im Dezember machen sie eine Tour, die als Vorwand für nostalgische Besäufnisse dient. Die Besprechungen sind in der Regel gut. Irgendwie kommt man aber nicht umhin zu denken, dass MacGowan dafür applaudiert wird, dass es ihm bislang nicht gelungen ist, sich umzubringen. Diese CD-Box macht verständlich, warum er immer noch so viele Fans hat. Umso mehr wünscht man sich, alles wäre anders gekommen.
30 Years The Pogues Boxset, Warner 2013
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