Der Tag beginnt früh, an einer Tankstelle neben einer vielbefahrenen Straße in Jerusalem. Die Stimmung unter den 15 israelischen Frauen ist angespannt, aber das ist kaum überraschend – sie werden heute das Gesetz brechen und mit ihm eines der Tabus in diesem Land. Sie beabsichtigen, in die besetzte West Bank zu fahren, palästinensische Frauen und Kinder einzusammeln und sie auf einen Tagesausflug nach Tel Aviv mitzunehmen.
Heute soll der zweite Ausflug dieser Art stattfinden – eine andere Gruppe von Frauen ist mit einer ähnlichen Aktion im August an die Öffentlichkeit getreten. Solche Trips soll es nun regelmäßig geben, um Aufmerksamkeit auf die Gesetze zu lenken, welche die Bewegungsfreiheit der Palästinenser einschränken und um
ken und um die Ängste zu vertreiben, die viele Israelis vor Reisen in die West Bank haben.Diese Reise ist alles andere als gewöhnlich. Jeder Palästinenser braucht eine Erlaubnis, um Israel betreten zu dürfen. Wer dagegen verstößt, riskiert Strafen, im schlimmsten Fall Gefängnis. Für Israelis bedeutet es einen Gesetzesverstoß, wenn sie Palästinenser ohne Erlaubnis über die Grüne Linie schmuggeln.Im Mai schrieb die israelische Journalistin Ilana Hammerman im Magazin der Zeitung Haaretz darüber, wie sie eine solche Tagesreise mit palästinensischen Frauen unternahm. Die Reportage löste eine strafrechtliche Ermittlung gegen Hammerman wegen Verstoßes gegen das israelische Einreisegesetz aus. Doch sie inspirierte eine Gruppe von Frauen dazu, denselben Ausflug zu unternehmen. Danach schalteten sie eine Anzeige in der Zeitung, um öffentlich zu machen, was sie getan hatten. Seither haben Hunderte eine Unterstützer-Petition unterschrieben, und viele Frauen, auf beiden Seiten, sind bereit Widerstand gegen das Gesetz zu leisten.Riki, 63, aus Tel Aviv, möchte wie alle Frauen aus der Gruppe ihren Nachnamen nicht nennen. Sie sagt, sie habe lange gebraucht, bis sie sich für den Ausflug anmeldete. „Ich hatte Bedenken, gegen das Gesetz zu verstoßen. Aber dann wurde mir klar, dass ein Zivilprozess der einzige Weg nach vorne ist, damit das, was ein illegales Gesetz verbietet, legal wird.“Die Frauen brechen in einer Auto-Kolonne auf, ihr Weg führt sie durch einen israelischen Checkpoint für Siedler und in verschiedene Dörfer rund um Hebron. Mehrere Dutzend Palästinenserinnen warten auf sie, jede israelische Fahrerin bekommt Passagiere zugewiesen.Zwei junge Palästinenserinnen klettern ins Auto. Sie nehmen ihre Hijabs ab, darunter kommen enge Jeans und lange Haare zu Vorschein – dieses Aussehen wird gewährleisten, dass sie den Checkpoint, der ausschließlich für Siedler ist, passieren können, ohne dass sie überprüft werden. „Ich habe Angst vor den Soldaten“, sagt die 21-jährige Sara nervös. Doch als das Auto mühelos den Checkpoint passiert, entspannen sie und die 19-jährige Sahar sich merklich.In den Wellen von JaffaSie kramen CDs aus ihren Taschen hervor und schon bald tönt laute arabische Dabke-Musik aus den Lautsprechern, während der Wagen die Autobahn nach Tel Aviv ansteuert. „Es ist, als machten wir uns die Instrumente der Besatzung zunutze“, sagt Irit, eine der Fahrerinnen. „Den Soldaten an den Checkpoints würde nicht in den Sinn kommen, dass israelische Frauen so etwas könnten tun wollen.“Als sie sich Tel Aviv nähern, betrachten die palästinensischen Passagiere stumm die großen Gebäude und die Straßencafés. Besonders beeindruckt wirken sie von den allgegenwärtigen Motorrädern und Mopeds, die durch die Stadt rasen. „Ich würde gerne eines fahren, und zwar so“, sagt Sara und zeigt auf eine Frau in kurzen Shorts, die hinten auf einem Moped sitzt. Doch alle Palästinenserinnen haben vor allem einen Wunsch: an den Strand zu gehen. Für die meisten ist es der allererste Ausflug ans Meer, auch wenn es nur eine kurze Fahrt von ihrem Zuhause entfernt liegt.Die Passagiere schließen sich denen eines anderen Autos an und steuern auf die Promenade in Jaffa zu, der arabisch-israelischen Stadt am Rande von Tel Aviv. Die Frauen sprinten los und stürzen sich in die Wellen, die gegen die hellen Felsbrocken schlagen. „Es ist viel schöner als ich dachte“, sagt Nawal, während sie ihrer siebenjährigen Tochter dabei zusieht, wie sie ausgelassen umherspringt, um den Wellen auszuweichen. „Schöner als im Fernsehen, die Farbe ist umwerfend.“Plaudern über Gesundheit Fatima, 24, schaut in Richtung Horizont. „Ich wusste nicht, dass das Geräusch des Meeres so entspannend ist“, sagt sie. Sara fragt nach einem Stück Papier, sie faltet es geschwind zu einem Papierschiff und schreibt ihren Namen darauf. Sie möchte es im Meer aussetzten – „damit es sich an mich erinnern wird“. Die Gruppe versammelt sich in einem Restaurant in Jaffa – 45 Frauen, darunter sieben Kinder. Eine fröhliche Truppe, die sich über zwei lange Tische verteilt hat. Von weitem wirken sie, als wären sie einfach nur eine gewöhnliche Festgesellschaft. Die Frauen plaudern über Kinder, ihr Gewicht und Gesundheitsfragen. Esti, die schon bei dem früheren Ausflug dabei war, sagt: „Wir wollen, dass mehr Israelis erkennen, dass es nichts gibt, wovor sie sich fürchten müssten. Wir möchten, dass mehr Leute sich weigern, die Ideologie einfach zu akzeptieren, die uns trennt – und dass sie sich weigern, Feinde zu sein.
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